FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2001

 

Susanne Lambeck

’Was ist los im Kopf des Kindes beim Besuchskontakt?’

In: Paten, Heft 1/1999
(
http://moses-online.org/Paten/besuchskontakte.htm)
(s.a.
www.moses-online.de)

 


Besuchskontakte von Pflegekindern zu ihrer Herkunftsfamilie sind hochproblematisch. In nur wenigen Fällen spricht von Anfang an viel dafür, gleich mit regelmäßigen Kontakten zu beginnen, und sogar dann können sie sich als destruktiv erweisen. Andererseits gelingen sie manchmal auch gegen erhebliche anfängliche Bedenken. Eine sehr überzeugende Diskussion dieser Problematik liefert die Psychologin und Psychotherapeutin Susanne Lambeck.

Sie stützt sich nicht auf die Bindungstheorie, die in diesem Zusammenhang oft mißverstanden wird, weil immer wieder psychopathologische Angstfixierungen wie gesunde Vertrauensbindungen abgesichert und unterstützt werden, sondern auf die beunruhigenden Forschungsergebnisse der Neuropsychologie. Aus der dortigen Traumaforschung schlußfolgert sie:

„daß Besuchskontakte bei Kindern, die Deprivations- oder Gewalterfahrungen in ihrer Ursprungsfamilie erlitten haben, zur weiteren Traumatisierung der Kinder beitragen können.“ .....

„wenn die Erfahrungen eines traumatisierten Kindes aus Angst und Streß bestehen, dann werden die neurochemischen Antworten auf Angst und Streß zu den wichtigsten Baumeistern des Gehirns.“ .....

„Hohe Cortisol-Konzentrationen während der empfindlichen drei ersten Lebensjahre erhöhen diejenige Aktivität in der Gehirnstruktur, welche für Vorsicht und Aufmerksamkeit (locus ceruleus) verantwortlich ist. Im Ergebnis wird das Gehirn in Hinsicht auf ständige Alarmbereitschaft verknüpft, erklärt Perry. Kinder mit höheren Cortisol-Konzentrationen haben eine geringere hemmende Kontrolle. Sie haben Probleme mit Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle. Traumatisierte Kinder fallen jedoch nicht immer durch große Unruhe und geringe Selbstkontrolle auf. Sie können auch im Gegenteil sehr ruhig, in sich gekehrt und wie erstarrt wirken. (Eine erhöhte Cortisol-Konzentration findet sich auch bei depressiven Symptomen.) Als Folge der Schädigung des Gehirns durch einen ständig erhöhten Streßhormonspiegel sind bestimmte Regionen im Cortex und im limbischen System (das für Gefühle einschließlich Bindung verantwortlich ist) bei mißhandelten gegenüber nicht mißhandelten Kindern 20 bis 30% kleiner.“ .....

„Bei Erwachsenen, die als Kinder mißhandelt wurden, ist der erinnerungsbildende Hippocampus kleiner, als bei nicht mißhandelten Erwachsenen.“ .....

„Der leichteste Streß und die kleinste Furcht setzen eine neue Welle von Streßhormonen frei. Das bewirkt Hyperaktivität, Angst und impulsives Verhalten oder den erneuten inneren Rückzug. Personen mit Angststörungen haben hoch organisierte und stabile Furchtnetzwerke, die schon durch kleinste Hinweisreize aktiviert werden können (Lang 1979). Je häufiger die Erinnerung an das Trauma aktiviert wird, desto mehr wird die Erinnerung die Struktur des Gehirns bestimmen (Stimulation). Nur wenn die Kinder konsequent andere Erfahrungen machen dürfen, ist zu hoffen, daß sich die Verdrahtung des Gehirns in Richtung ständige Alarmbereitschaft zugunsten anderer Verknüpfungen - im Sinne des Prunings - abschwächt.“

Lambeck schließt ihre Ausführungen mit einer Empfehlung, die wir aus 20-jähriger Erfahrung mit vernachlässigten, mißhandelten und mißbrauchten Pflegekindern voll bestätigen können:
“Der Körper hat sein eigenes Gedächtnis, woran auch eine noch so nette und fachlich kompetente Begleitung von Besuchskontakten nichts ändert und ändern kann. Zum Zeitpunkt der Pubertät, wenn die Kinder sich mit ihrer Herkunftsfamilie auseinandersetzen wollen und müssen, und wenn sie Kontakt zu ihrer Ursprungsfamilie wollen, sollte er ihnen ermöglicht werden. Bis dahin aber sollte ihnen die Chance gegeben werden, ein Stück ihrer Kindheit in der Ruhe verbringen zu dürfen, die nötig ist, den Teufelskreis zwischen Streßerleben und dem organisierten Streß im Gehirn eventuell durchbrechen zu können.“

Je mehr man den seelisch und hirnorganisch verletzten Pflegekindern am Anfang ungestörte Liebe, Ruhe und Stetigkeit bietet, desto eher kann man ihnen die Begegnung mit der traumatisierenden Herkunftsfamilie zumuten – aber oft muß man mehrere Jahre geduldig warten, es sei denn die Herkunftsfamilie hat inzwischen selbst eine erfolgreiche Therapie durchlaufen.

Kurt Eberhard (Juni 01)

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