FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2001

 

Erfahrungen mit Verfahrenspflegschaft

Von RA Peter Hoffmann, Hamburg (Mai 01)

 

Vorbemerkung: Während der diesjährigen Tagung „Tag des Kindeswohls“ diskutierten Fachkräfte aus den unterschiedlichsten Disziplinen das neue Verfahrensrecht. Die Beiträge und Referate werden im "Handbuch für Verfahrenspfleger" veröffentlicht, das voraussichtlich im Spätsommer d.J. im Bundesanzeigerverlag erscheinen wird. Zur Diskussion stellen möchten wir die von Rechtsanwalt Peter Hoffmann aus Hamburg geschilderten Fälle aus seiner Praxis.
Anmerkung: Seit dem 1. Juli 1998 ist in Verfahren der Familien- und Vormundschaftsgerichte der „Verfahrenspfleger für das Kind“ vorgesehen:
§ 50 FGG [Pfleger für das Verfahren]
(1) Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.
(2) Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn
1. das Interesse des Kindes zu dem seinem gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht.
2. Gegenstand des Verfahrens Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls sind, mit denen die Trennung des Kindes von seiner Familie oder die Entziehung der gesamten Personensorge verbunden ist (§§ 1666, 1666 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs), oder
3. Gegenstand des Verfahrens die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson (§ 1632 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder von dem Ehegatten oder Umgangsberechtigten (§ 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ist.
Sieht das Gericht in diesen Fällen von der Bestellung eines Pflegers ab, so ist dies in der Entscheidung zu begründen, die die Person des Kindes betrifft.
(3) Die Bestellung soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Kindes von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten werden.
(4) Die Bestellung endet, sofern sie nicht aufgehoben wird,
1. mit der Rechtskraft der das Verfahren abschließenden Entscheidung oder
2. mit dem sonstigen Abschluß des Verfahrens.
(5) Der Ersatz von Aufwendungen und die Vergütung des Pflegers bestimmen sich entsprechend § 67 Abs.3.
C.M. (Juni 01)


Fall 1

Das Anfang 1997 geborene Kind befindet sich seit April 1997 in Obhut der Pflegeeltern, war zuvor drogenkrank zur Welt gekommen, hatte Entzugserscheinungen, während der kurzen Zeit bei den Herkunftseltern waren dem Kind unter ungeklärten Umständen Drogen bzw. Medikamente zugeführt worden, was einen weiteren Krankenhausaufenthalt des Kindes zur Folge hatte.

Rückführungsversuche ab Mai 1999 führen zu einem Verbleibensanordnungsantrag der Pflegeeltern, die vortragen, daß ein Eltern-Kind-Verhältnis zwischen dem Kind und ihnen entstanden ist. Es findet Umgang mit den Herkunftseltern in unterschiedlicher Frequenzen statt. Es wird eine Verfahrenspflegerin bestellt, die als "Rechtsanwältin, Sozialpädagogin, Mediatorin" firmiert. Diese Verfahrenspflegerin vertritt eindeutige "Umgewöhnungstheorien". Entgegen aller Drogenschädigung, Instabilität der Herkunftseltern betreibt sie die Rückführung des Kindes. Selbst dann als ein 110-seitiges äußerst qualifiziertes Gutachten (Fr. Dr. von Studnitz, Kiel) dringend im Interesse des Kindeswohls sich für einen Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie ausspricht, beharrt die Verfahrenspflegerin weiterhin auf ihrer Position und verlangt 14-tägige Umgangskontakte (während das Gutachten allenfalls monatlichen Umgang für wenige Stunden im Interesse des Kindeswohls zulassen will).

Der Richter beim Amtsgericht schürte ebenfalls von Anfang an die Rückführungsgedanken der Herkunftserltern und verweist auf die angeblich besonders qualifizierten Ausführungen der Verfahrenspflegerin.

Mit der Funktion einer neutralen Person, die das Interesse des Kindes wahrnimmt, hat dies nicht das geringste zu tun. Vielmehr geht es alleine darum, daß eine Stimme mehr da ist, die im Verfahren mitredet und versucht (von Seiten des Gerichts durch die entsprechende Bestellung des Verfahrenspflegers), die selbst vertretene Position durch diese zusätzliche Stimme im Verfahren zu stärken.

Fall 2:

Es handelt sich um ein kompliziertes Verfahren, welches zunächst als Adoptionssache (Adoption der nichtehelichen Tochter durch den nichtehelichen Vater mit Zustimmung der Kindesmutter) geführt wurde und aufgrund der Gesetzesänderung zum 01.07.1998 in ein kontroverses Sorgeverfahren übergeleitet werden musste, nachdem die Kindesmutter die notariell erteilte Zustimmungserklärung zur Adoption anfechten und das Kind zurück haben wollte, welches schon seit längerer Zeit beim Kindesvater lebte.

Die hier eingeschaltete Verfahrenspflegerin zeichnete sich im wesentlichen dadurch aus, daß sie weitgehend unqualifiziert Auffassungen vertrat, die auch weit neben den qualifizierten Erkenntnissen des kinderpsychologischen Gutachtens lagen und sich im wesentlichen mit Positionen "wie "Kinder gehören zur Mutter" etc. Glücklicherweise hat - dem Gutachten folgendend - entgegen den Ausführungen der Verfahrenspflegerin das Oberlandesgericht die Sorgeentscheidung zu Gunsten des Kindesvaters bestätigt.

Fall 3:

Hier wurde ein drei Monate altes Kind in eine Adoptionspflegefamilie gegeben, nachdem die noch sehr junge Kindesmutter das Kind in einem Heim zurückgelassen hatte und spurlos verschwunden war. Die Mutter hatte zwei Jahre zuvor bereits ein anderes Kind zur Adoption freigegeben und zeigte auch an diesem Kind kein Interesse. Die Kindesmutter lebte offenbar irgendwo im "Milieu" ohne festen Wohnsitz. Im Rahmen des Adoptionsverfahrens setzte der Richter am Amtsgericht einen ihm gut bekannten Verfahrenspfleger ein, der es für richtig hielt, die Kindesmutter im Milieu zu ermitteln, was ihm auch nach kurzer Zeit gelang. Er beantragte daraufhin die Aufhebung der beim Jugendamt eingerichteten Amtsvormundschaft in eine Einzelvormundschaft. die von einer "Berufsvormünderin" dann übernommen wurde. Der Verfahrenspfleger erhielt den Beschluß noch am gleichen Tage(!). Der Verfahrenspfleger und die Vormünderin drängten nun die Kindesmutter zum Umgang und zum Herausgabeverlangen des Kindes aus der Pflegefamilie, in der das Kind in der Zwischenzeit eineinhalb Jahre lebt. Auch der für längere Zeit wegen zahlreicher Gewaltdelikte (angeblich zwei Dutzend Verfahren) für längere Zeit inhaftierte Kindesvater wurde zum Umgang geradezu gedrängt. Obwohl von allen Seiten - selbst von der Vormünderin - erhebliche Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter geäußert werden, sind auf Antrag der Vormünderin und mit Unterstützung des Verfahrenspflegers Umgangskontakte durchgesetzt worden, die nunmehr zweimal wöchentlich stattfinden. Die Aktivitäten des Verfahrenspflegers sind derart grotesk, daß man einfach exemplarisch eines seiner Schreiben beifügen muß. Ich verweise insoweit auf die Anlage. (Anm. muß ich noch aus dem Beipack rausfischen)

Als Fazit aus diesem Verfahren ist sicherlich die Notwendigkeit zu ziehen, daß die Kompetenzen des Verfahrenspflegers klar umrissen werden müssen und Beschwerdemöglichkeiten geschaffen werden müssen, wenn der Verfahrenspfleger derart weit über seine Kompetenzen hinausgeht.

Fall 4:

Hier ist das wenige Monate alte Kind in eine Pflegefamilie gegeben worden mit dem Hinweis, die Adoptionsmöglichkeit würde sich sicherlich noch ergeben. Die Kindesmutter verlangte nach einem Jahr das Kind zurück. Die hier eingeschaltete Verfahrenspflegerin (Psychologin) äußerte sich wie eine Sachverständige, während das Gericht (sogar ein Oberlandesgericht!) auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtete. Die Verfahrenspflegerin setzte sich nicht mit der Situation des Kindes und den allgemein anerkannten Grundsätzen der Bindungslehre auseinander, sondern verwies auf ihre Diplomarbeit, die etliche Jahrzehnte zurückliegen dürfte. Die allgemeinen Ausführungen der Verfahrenspflegerin wurden akzeptiert, die Ausführungen der Pflegeeltern zu den konkret gewonnenen Bindungen des Kindes, zu den Erkenntnissen der Bindungslehre auf internationaler Ebene mit zahlreichen Zitaten hingegen nicht. Die Ausführungen der Verfahrenspflegerin führten dazu, daß das Kind herausgenommen wurde, was unter dramatischen Umständen geschah: Das Kind fing, als ihm die Situation der Wegnahme bewußt wurde, laut und verzweifelt an zu schreien. Es streckte beide Arme nach den Pflegeeltern aus und rief immer wieder „Mama, Mama, Papa, Papa!". Das Schreien war auch bei geschlossener Wohnungstür noch zu hören, als die Verfahrenspflegerin mit dem Kind bereits auf der Straße war. Die Verfahrenspflegerin hat sich mit den wesentlichen Positionen des Pflegekinderwesens überhaupt nicht auseinandergesetzt. Das Gericht ist fatalerweise der kaum begründeten Auffassung der Verfahrenspflegerin gefolgt, wonach das Kind bei einer Herausnahme keinen Schaden erleiden würde.

Fall 5:

Hier geht es um ein adoptiertes Kind, welches von den Adoptiveltern nach massiven Integrationsschwierigkeiten in einer Heimeinrichtung im Ausland untergebracht wurde. In dem hoch streitig geführten Verfahren um die elterliche Sorge, welches an einem sehr kleinen Amtsgericht in dörflicher Umgebung durchgeführt wird, nutzt die Verfahrenspflegerin ihre Position ganz offensichtlich dazu, den Adoptiveltern aus abwegigen Motiven heraus, die mit dem Verfahren gar nichts zu tun haben, in erheblicher Weise zu schaden. Es erweist sich als sehr mühsam, die von der Verfahrenspflegerin immer wieder aufgestellten Positionen argumentativ zu widerlegen und nachzuweisen, daß anderweitige Motive eine Rolle spielen. Es handelt sich hier um einen klaren Machtmißbrauch und Amtsmißbrauch.

Fazit:

Die Serie der Fälle läßt sich beliebig fortsetzen. Es läßt sich zusammenfassend feststellen, daß, - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die Einrichtung des Verfahrenspflegers eine katastrophale Verschlechterung der Position der Pflegeeltern gebracht hat, und zwar ganz einfach deshalb, weil mit dem Verfahrenspfleger ein neuer, völlig unberechenbarer und unkalkulierbarer "Machtfaktor" eingeführt wurde, dessen Kompetenz an keiner Stelle überprüft oder eingegrenzt werden kann, die Verfahrenspfleger nehmen teilweise die Rolle eines "Zweitrichters" ein. Die Verfahrenspfleger werden gerne von Richtern zur Verstärkung ihrer eigenen - teilweise ja abwegigen - Position einbezogen. Durch die entsprechende personelle Auswahl ist gewährleistet, daß eine dem Richter genehme Position auch vertreten wird. Es ist vollkommen beliebig und auch zufällig, und auch in keiner Weise kontrollierbar, welchen Wissensfundus der Verfahrenspfleger überhaupt hat. Die Positionen werden meistens heftig vertreten, inhaltlich aber völlig inkompetent. Sach- und Fachkenntnisse fehlen in den meisten Fällen. Die Positionen ergeben sich meist mehr aus dem "Empfinden" des jeweiligen Verfahrenspflegers, als daß sie tatsächlich fachlich oder sachlich begründet werden.

s.a. Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven der Verfahrenspflegschaft

s.a. http://www.rechtsanwalthoffmann.com

 

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