Die Herausgeber: Prof. Dr. med. Henning Schauenburg, Arzt für Neurologie/Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker, Familientherapeut. Oberarzt der Klinik für Psychosomatische und Allgemeine Klinische Medizin der Universität Heidelberg; Lehrdozent in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie. Wissenschaftliche Arbeiten u.a. zur Psychotherapie-Ergebnisforschung, stationären Psychotherapie und Therapeutenpersönlichkeit. Dr. rer. nat. Birgit Hofmann, Arbeitspsychologin, Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) in freier Praxis, Forschungsprojekte an der Universität Potsdam; Spezialisierung auf Zwänge, Ängste. Depressionen und Arbeitsstörungen; wissenschaftliche Arbeiten vor allem über Ängste, Zwänge, Depressionen, Arbeitsstörungen und Psychohygiene für Psychotherapeuten.
Die Programmatik des Sammelbandes ist aus dem Vorwort der Herausgeber ersichtlich: »In den letzten Jahren haben sich hier leichte, aber bedeutsame Verschiebungen ergeben. Die Therapie mit Antidepressiva wird inzwischen kritischer gesehen (großer Plazebo-Effekt, hohe Drop-out-Quoten, Suizidgefahr unter SSRI, hohe Rückfallgefahr bzw. geringe Nachhaltigkeit nach Absetzen etc.). Psychotherapeutische Verfahren sind auf der anderen Seite noch besser untersucht. Dies gilt insbesondere für den Gesichtspunkt der Rückfallprophylaxe oder den Einsatz bei "therapieresistenten" bzw. chronischen Depressionen. Nicht zuletzt haben erste neurobiologische Untersuchungen, die den 'somatischen' Effekt von Psychotherapie auf depressionsrelevante Hirnstrukturen zeigen konnten, ihren Anteil an der inzwischen gebesserten Legitimation der Psychotherapie bei der Behandlung der Depression. …. Eine kompetente. d. h. von qualifizierten und engagierten Therapeuten durchgeführte Psychotherapie erweist sich, unabhängig von der therapeutischen Ausrichtung, für die meisten Formen der Depression als gleich wirksam. Dies macht die Beantwortung der viele Praktiker brennend interessierenden Frage nach einer differenziellen Indikation (welcher Patient von welcher Art von Therapie profitieren kann) sehr schwer. Auch heute, 6 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage, erscheint es kaum möglich, Studien zu finden, die über den bloßen Vergleich zweier Therapiemethoden hinaus Aussagen über die Passung der jeweiligen Methode für bestimmte Patienten mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen ermöglichen. Angesichts des Wissens über unspezifische Wirkfaktoren in der Psychotherapie verwundert dies auch nur wenig. Selbst wenn es eine solche Passung geben sollte, erscheint in unserer psychotherapeutischen Versorgungslandschaft die Vorstellung recht utopisch, dass diese in der Praxis auch zu differenziellen Zuweisungen führt. Zu sehr hängen die Indikationsstellungen von persönlichen Präferenzen der Patienten und von dem vor Ort gegebenen "Angebot" an Therapieverfahren ab. Dennoch sollten alle Kliniker sich in der Verantwortung sehen, die Frage der evtl. fehlenden Passung zwischen dem eigenen Therapieangebot und den Möglichkeiten und Wünschen von depressiven Patienten im jeweiligen Einzelfalloffen und vorbehaltlos zu erwägen.«
Mitwirkende Autoren:
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Manfred E. Beutel, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Univ. Mainz
Prof. Dr. med. Thomas Bronisch, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Psychiatrische Klinik, München
Dr. med. Dipl.-Psych. Gerhard Dammann, Universitäre Psychiatrische Kliniken, Basel
Priv.-Doz. Dr. med Michael Dettling, Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie Charité, Berlin
Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Sabine Gollek, Univ.klinikum Leipzig, Klinik für Psychiatrie
Prof. Dr. phil. Martin Hautzinger, Psychol. Inst. Abt. für Klinische und Entwicklungspsychologie der Univ. Tübingen
Dr. phil. Dipl.-Psych. Andrea Heindl, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Dr. phil. Dipl.-Psych. Nicolas Hoffmann, psychother. Praxis in Berlin
Priv.-Doz. Dr. Dr. Dorothea Huber, Klinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und medizinische Psychologie, München
Prof. Dr. med. Dr. phil. Hans-Peter Kapfhammer, Klinik für Psychiatrie, Mediz. Univ., Graz
Dr. med. Johannes Kipp, Ludwig-Noll-Krankenhaus, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Kassel
Dr. med. Johannes Kornacher, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Dr. med. Almuth Massing, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse, Göttingen
Dr. med. Carolin Opgen-Rhein, Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie Charité, Berlin
Dr. med. Michael Purucker, Klinik für Psychiatrie. Psychotherapie und Psychosomatik Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Prof. Dr. phil. Günter Reich, Ambulanz für Familientherapie und Ess-Störungen, Göttingen
Prof. Dr. med. Christian Reimer, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Justus-Liebig-Universität, Gießen
Prof. Dr. med. Ulrich Rüger, Univ.klinik für Psychosom. Medizin und Psychotherapie, Göttingen
Dipl.-Psych. Ulrike Rupprecht, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Dr. med. Dipl.-Psych. Isa Sammet, Abt. Innere Medizin, Psychosom. Medizin/Psychotherapie der Univ.klinik Tübingen
Dr. phil. Elisabeth Schramm, Univ.klinik Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Freiburg
Dr. med. Herbert Will, Psychoanalytiker, Oberarzt in der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der TU München
Prof. Dr. med. Manfred Wolfersdorf, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Jedem der achtzehn Kapitel wurde ein kurzer Überblick vorausgeschickt. Diese Extracta sollen im folgenden wiedergegeben werden.
1. M. Hauzinger, T. Bronisch: Symptomatik, Diagnostik und Epidemiologie »Depressionen sind psychische Störungen, bei denen die Beeinträchtigung der Stimmung, Niedergeschlagenheit, Verlust der Freude, emotionale Leere, Antriebslosigkeit, Interessenverlust und zahlreiche körperliche Beschwerden wesentliche Merkmale sind. Andere psychische Störungen, bei denen auch das affektive Erleben beeinträchtigt ist und im Mittelpunkt der Symptomatik steht, sind neben den Depressionen Manien, Persönlichkeitsauffälligkeiten, Ängste, Furcht- und Trauerreaktionen. Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen mit einer Lebenszeitprävalenz von 25% bei Frauen und 12% bei Männern. Das Lebenszeitrisiko für Suizid bei Patienten mit depressiven Erkrankungen liegt zwischen 2 und 8 %, je nach Ausprägung des Risikos (ambulant vs. stationär behandelte Patienten, ohne oder mit Suizidalität vor stationärer Aufnahme). Depressive Störungen haben neben subjektivem Leid viele krankheitsbedingte Ausfallzeiten, Einschränkungen im sozialen Funktionieren und körperliche Krankheiten bzw. Anfälligkeiten zur Folge. Über drei Viertel der depressiven Patienten leiden parallel an einer anderen psychischen Störung (Komorbidität). Depressionen werden heute anhand des Auftretens depressiver bzw. manischer Episoden in unipolare bzw. bipolare affektive Störungen mit unterschiedlichem Schweregrad und unterschiedlichem Verlauf, nicht anhand möglicher Ursachen unterteilt. Die Mehrzahl der Patienten erleidet im Laufe ihres Lebens mehrere depressive Episoden.« (S. 1)
2. M. Dettling, C. Opgen-Rhein: Therapeutische Versorgung »In diesem Kapitel wird aus unterschiedlichen Perspektiven der Zustand der therapeutischen Versorgung depressiv erkrankter Menschen in Deutschland dargestellt. Zunächst erfolgt eine Übersicht über die Anzahl behandelnder Therapeuten in Deutschland. Daran schließen Beispiele für gesellschaftliche Einstellungen zur Volkskrankheit Depression und geeignete antidepressive Therapien an. Vergleichend wird dann dargestellt, wie hoch die tatsächliche reale Behandlungsquote der Betroffenen ist. Abschließend werden Konzepte zur qualitativen Verbesserung der therapeutischen Versorgung der Depression in Deutschland beschrieben und Überlegungen für weitere Verbesserungen angestellt.« (S. 13)
3. B. Hofmann. N. Hoffmann: Verhaltenstherapie »In diesem Kapitel werden zuerst die theoretischen Grundlagen eines Arbeitsmodells zur Depressionsentstehung beschrieben. Danach wird ein verhaltenstherapeutischer Ansatz anhand eines Fallbeispiels illustriert. Dabei wird unterschieden zwischen kurzfristig und längerfristig wirksamen Therapiemaßnahmen, die ausführlich erläutert werden.« (S. 23)
4. H. Schauenburg: Psychodynamische Psychotherapie »Das Kapitel gibt zunächst eine Übersicht über psychodynamische Krankheitsmodelle zur Depression. Zentral ist die Annahme eines depressiven Grundkonflikts und seiner Bewältigung. Es werden verschiedene (maladaptive) Formen der Verarbeitung geschildert, die allgemein als „objektsuchend’. und „objektmeidend“ beschrieben werden können. Die Darstellung der Behandlung erfolgt getrennt für die akute Depression sowie für die regressiven (abhängigen) und (pseudo)progressiven (autonomen) Verarbeitungsformen des depressiven Grundkonflikts.« (S. 45)
5. D. Huber, H. Will: Psychoanalyse »Das Kapitel bietet einen Überblick über Fragen der psychoanalytischen Diagnostik, Indikationsstellung und Behandlung depressiver Störungen. Die derzeitige Situation der psychoanalytischen Therapieforschung in der BRD wird kurz skizziert. Hervorgehoben wird der Beitrag des Depressionsforschers S.J. Blatt und seine Bedeutung für die differenzielle Indikationsstellung und Therapie der Depression. Schließlich werden anhand mehrerer Fallbeispiele Wirkfaktoren und Veränderungsmöglichkeiten in der analytischen Psychotherapie Depressiver diskutiert. Depression gilt heute als eine Volkskrankheit. Nach Schätzungen der WHO wird in 15 Jahren die Depression weltweit die zweithäufigste Erkrankung sein. Ergebnisse epidemiologischer Forschung zeigen, dass die Depression eine wiederkehrende Störung ist und für eine beträchtliche Anzahl von Patienten (10-30%) chronisch wird. Außerdem finden wir oft Depression mit Persönlichkeitsstörungen verbunden. Auch sind die Rückfallquoten auf jede Form von Kurzpsychotherapie erschreckend hoch (Roth u. Fonagy 2005), was zu einem neuen Interesse an psychoanalytischen Langzeitbehandlungen geführt hat. Depressionen bilden heute die größte Patientengruppe in der psychoanalytischen Praxis.« (S. 65)
6. S. Gollek: Gesprächspsychotherapie »Zunächst werden in diesem Kapitel nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung der Gesprächspsychotherapie die drei Basisvariablen der therapeutischen Beziehung definiert. Anschließend wird auf die Therapieziele und die Indikationskriterien zur Gesprächspsychotherapie eingegangen. Danach werden die Gesprächsregeln für die Behandlung einer Depression aufgezeigt. Ein Fallbeispiel soll schließlich den Verlauf einer prozessorientierten Gesprächstherapie transparent machen.« (S. 77)
7. E. Schramm: Interpersonelle Psychotherapie (IPT) »Die Interpersonelle Psychotherapie nach Klerman und Weissman gehört zu den wirksamsten psychologischen Depressionstherapien. Es handelt sich ursprünglich um ein Kurzzeitverfahren, bei dem die gezielte Auseinandersetzung mit der depressiven Störung und die Bewältigung damit verbundener zwischenmenschlicher Schwierigkeiten im Vordergrund steht. Der theoretische Hintergrund beruht auf den Ideen der Interpersonellen Schule nach Sullivan und auf der Bindungstheorie Bowlbys. Bei 12-20 wöchentlichen Einzelsitzungen liegt der Behandlungsschwerpunkt im „Hier und Jetzt“. Orientiert am medizinischen Krankheitsmodell kann die Therapie mit oder ohne begleitende Medikation durchgeführt werden.« (S. 87)
8. E. Schramm: Das ‚Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy’ zur Behandlung der chronischen Depression »In der Vergangenheit galt die chronische Depression als behandlungsresistente Störung. Bei dem hier beschriebenen Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) von James McCullough handelt es sich um die einzige Psychotherapieform, die spezifisch zur Behandlung chronischer Depressionen entwickelt wurde. Der in einem Manual beschriebene Ansatz (McCullough 2000; dt. Übersetzung und Bearbeitung: Schramm et al. 2006) integriert in innovativer Weise behaviorale, kognitive und interpersonelle Strategien. Das CBASP ist empirisch überprüft und hat sich als wirksam erwiesen. Im deutschsprachigen Bereich ist die Methode noch wenig bekannt. Neben der Herleitung des Verfahrens werden im vorliegenden Beitrag die wichtigsten therapeutischen Strategien und Techniken beschrieben und an einem Fallbeispiel verdeutlicht. Der therapeutischen Beziehungsgestaltung kommt hierbei eine herausragende Bedeutung zu. Abschließend werden der derzeitige Forschungsstand zu diesem Verfahren sowie die Indikationsbereiche erläutert.« (S. 98)
9. G. Reich. A. Massing: Familien- und Paartherapie bei Depressionen »Familien- und Paardynamik bei depressiven Störungen werden beschrieben, ebenso Indikationen und Kontraindikationen zur Einbeziehung von Partnern und Familien in die Behandlung. Anhand einer klinischen Typologie und von Fallbeispielen werden die therapeutischen Schritte erläutert.« (S. 108)
10. B. Hofmann. Nicolas Hoffmann: Therapeutische Hilfen bei der Sinnfindung »Zunächst wird auf das Erleben von Sinnlosigkeit im Rahmen einer Depression und einige prädisponierende Bedingungen eingegangen. Danach werden gestaffelte therapeutische Hilfestellungen zur Sinnfindung vorgestellt und anhand eines Beispiels illustriert.« (S. 121)
11. M. Wolfersdorf, J. Kornacher, U. Rupprecht, A. Heind!, M. Purucker: Stationäre Psychotherapie der Depression »Die stationäre Psychotherapie der schweren Depression stellt aufgrund des mehrdimensionalen Krankheitsprozesses mit spezifischer Psychopathologie und Komorbidität besondere Anforderungen an die Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Die Behandlung muss neben den affektiven, intentional-psychomotorischen und vegetativen Symptomen auch die depressiven Denkinhalte bzw. Einstellungen sowie die Beeinträchtigung der Leistungs- und Beziehungsfähigkeit und körperlichen Belastbarkeit berücksichtigen. Milieutherapie und gezielte Fachpsychotherapie sind ein dominierender Bestandteil stationärer Therapie. Das hier vorgestellte mehrdimensionale Behandlungskonzept ermöglicht eine störungsspezifische Behandlung und wurde vom AK Depressionsstationen Deutschland/Schweiz (Sprecher: Prof. Dr. med. M. Wolfersdorf, Bayreuth) entwickelt.« (S. 129)
12. H-P. Kapfhammer: Zur Kombination und Interaktion von Psycho- und Pharmakotherapie bei Depressionen »Pharmakologische und psychotherapeutische Ansätze sind in der Behandlung eines depressiven Patienten sehr wohl zu integrieren. Dies trifft auch für die psychodynamische Psychotherapie zu. Bewusste und unbewusste Bedeutungsverschiebungen, die sich mit der Einführung von Medikamenten ergeben, müssen in typischen Übertragungs- und Gegenübertragungsmustern systematisch reflektiert werden. Depressive Typologie und depressiver Verarbeitungsmodus eines Patienten geben wichtige Hinweise, wie ein individueller Patient emotional auf den Parameter 'Medikation' reagieren kann. Spezielle Fragen ergeben sich, wenn die Kombinationsbehandlung in einem 'therapeutischen Dreieck' durch einen Psychotherapeuten und einen Pharmakotherapeuten getrennt erfolgt.« (S. 140)
13. U. Rüger. C. Reimer: Besonderheiten der Therapeut-Patient-Beziehung bei depressiven Patienten »Die Arzt-Patient-Beziehung spielt bei der Behandlung jeder Erkrankung eine wichtige Rolle. Bei den depressiven Erkrankungen kommt aber eine Besonderheit hinzu. Hier sind Beziehungsstörungen ein zentraler Aspekt der Erkrankung selbst. Damit ist die jeweils aktuelle Therapeut-Patient-Beziehung bei der Behandlung depressiver Erkrankungen in gleicher Weise sowohl von krankheitsbedingten Beziehungsstörungen als auch durch die mit der Grundpersönlichkeit des betreffenden Patienten sich konstellierenden Beziehungsmuster geprägt. Allerdings haben diese beiden Aspekte im zeitlichen Längsschnitt und in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf ein jeweils unterschiedliches Gewicht. Dies wird an einigen ausgewählten Fallbeispielen verdeutlicht.« (S. 154)
14. T. Bronisch: Suizidalität und Krisenintervention »Suizidideen, Suizidversuche und Suizide sind die Komplikation depressiver Störungen und deren Behandlung. Die Bedeutung des Suizids wird hartnäckig unterschätzt. Er gehört in den meisten europäischen Ländern und in den USA zu den zehn häufigsten Todesursachen: In einigen Altersgruppen kommt auf 50 Todesfälle ein Suizid. In Deutschland nahmen sich im Jahr 2003 8179 Männer und 2971 Frauen das Leben. Die Suizidziffer für das Jahr 2003 beträgt damit für Männer 20,3 und für Frauen 7,04 (pro 100.000 Einwohner). Das Lebenszeitrisiko für Suizid bei Patienten mit depressiven Erkrankungen liegt zwischen 2 und 8 %, je nach Ausprägung des Risikos (ambulant vs. stationär behandelte Patienten, ohne oder mit Suizidalität vor stationärer Aufnahme). Erkennen von Suizidalität und Einschätzen der Suizidgefährdung, insbesondere nach einem Suizidversuch, sind von entscheidender Bedeutung für den mit depressiven Patienten arbeitenden Psychotherapeuten. Bei der Krisenintervention ist das Herstellen und Aufrechterhalten einer therapeutischen Beziehung zum Suizidenten der spezifische Faktor einer erfolgreichen Behandlung depressiv suizidaler Patienten. Häufige Fehler im Umgang mit Suizidalen sind eine Bagatellisierungstendenz sowie eine - meist unbewusste - Ablehnung des suizidalen Patienten.« (S. 165)
15. J. Kipp: Depression im Alter »Mit der Unterscheidung des dritten und vierten Lebensalters wurde versucht, der zeitlichen Ausdehnung des Alters gerecht zu werden. Psychoanalytische Therapie kann im dritten Alter in ähnlicher Weise durchgeführt werden wie in früheren Lebensaltern, jedoch sollte bei älteren Patienten auf die spezifische Übertragungskonstellation und auf die narzisstische (Beziehungs-)Problematik besonders geachtet werden. Sind die Depressionen in Alterskrisen entstanden, ohne dass eine absolute Vereinsamung eintrat, so reichen relativ kurze Zeitspannen für eine erfolgreiche Behandlung aus. Bei Menschen mit einer langjährigen depressiven Problematik, die sich erst im Alter zu einer Therapie entschließen, dauert die Behandlung naturgemäß länger. Die Behandlung von Patienten im vierten Lebensalter, bei denen körperliche Faktoren und Gedanken an das Ende des Lebens viel mehr im Vordergrund stehen, ist noch nicht ausreichend untersucht. Wir möchten aufgrund unserer Erfahrungen in der Klinik grundsätzlich dazu ermutigen, sich auch an die Psychotherapie sehr alter Menschen, sei es als Einzel- oder Gruppentherapie (vgl. Kipp u. Groß 2004), heranzuwagen.« (S. 181)
16. M.E. Beutel: Trauerreaktionen und ihre therapeutische Begleitung »Es werden Erscheinungsformen, Verlauf von Trauerprozessen und Abgrenzung gegenüber pathologischer Trauer dargestellt. Risikomerkmale für Erkrankungen nach dem Tod einer nahe stehenden Person werden beschrieben. An Hand eigener Studienergebnisse und klinischer Beispiele werden klinische Kriterien zur Abgrenzung von der Depression und Strategien der therapeutischen Begleitung von Trauerprozessen herausgearbeitet.« (S. 182)
17. G. Dammann: Psychotherapie der affektiven Störungen im Wochenbett »Wochenbettdepressionen und postpartale affektive Dysphorien ("Heultage") sind häufige psychische Störungen, deren ätiopathogenetische Mechanismen noch weitgehend unklar sind. die aber noch immer häufig endokrinologisch erklärt werden. Obwohl inzwischen als gesichert gelten kann, dass eine Depression der Mutter Auswirkungen auf die frühe Mutter-Kind-Interaktion ("bonding behaviour" und "attachment style") haben kann, werden Bedeutung und Notwendigkeit der Behandlung dieser Störungsbilder weitgehend unterschätzt. Ausgehend von heute als gesichert geltenden Befunden werden die bisherigen Ergebnisse von Therapiestudien, ein mögliches interpersonelles Behandlungs-Rationale, stationäre Mutter-Kind-Einrichtungen und einige fallbezogene Besonderheiten bei den Therapien von jungen Müttern dargestellt.« (S. 192)
18. I. Sammet: Qualitätssicherung bei der Behandlung depressiver Störungen »Wie in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung sind auch in der Psychotherapie qualitätssichernde Maßnahmen obligat. Dazu gehört neben unterschiedlichen Konzepten zur Verbesserung der Struktur- und Prozessqualität die Beurteilung der Therapieergebnisse anhand des klinischen Urteils und psychometrischer Verfahren. Für die Behandlung von Patienten mit depressiven Störungen ist neben dem Einsatz allgemeiner psychodiagnostischer Instrumente die Anwendung störungsspezifischer Verfahren mindestens vor und nach Therapie erforderlich. Aus Gründen der Standardisierung ist es wünschenswert, die zu verwendenden Erhebungsinstrumente zu vereinheitlichen. weswegen an dieser Stelle Vorschläge gemacht werden. Je nach Therapiesetting werden zur Selbsteinschätzung das Beck-Depressions-Inventar (BDI). die Allgemeine Depressionsskala (ADS), der Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D) oder die Hospital Anxiety and Depression Scale(HADS-D) empfohlen. Als Fremdbeurteilungsskalen können die Hamilton Depressions-Skala HAMD oder die Montgomery-Asberg-Depression-Rating-Scale (MADRS) eingesetzt werden. Die Ergebnisse der psychometrischen Verfahren können im Rahmen von Qualitätszirkeln in klinischen Falldiskussionen nutzbar gemacht werden.« (S. 203)
Bilanzierende Bewertung: Der von Birgit Hofmann und Henning Schauenburg herausgegebene Sammelband überzeugt durch seine schulenübergreifende Berücksichtigung der unterschiedlichen psychotherapeutischen Methoden, durch die Mitwirkung therapieerfahrener Autoren aus Wissenschaft und Praxis und durch übersichtliche, gut verständliche Textgestaltung. Er kann deshalb allen Sozialpraktikern, die mit depressiv Erkrankten zu tun haben, sehr empfohlen werden.
Kurt Eberhard (Mai 2007)
s.a. Typologie der depressiven Verstimmungen
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