FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2006

 



Raimund Pousset (Hg.)

Beltz Handwörterbuch für Erzieherinnen
und Erzieher

Beltz-Verlag, 2006

(511 Seiten, 39.90 Euro)

 


Raimund Pousset ist Diplom-Pädagoge und Supervisor, er war 15 Jahre in der Erzieherausbildung tätig, lehrt heute in der Altenpflege sowie an einer Fachschule für Organisation und Führung. Für sein Handwörterbuch hat er 83 Mitarbeiter aus Wissenschaft und Praxis gewonnen, die sich dem Leser im Autorenverzeichnis gehörig vorstellen. Insgesamt werden 163 Stichworte ausführlich erläutert. Im Folgenden sollen drei Auszüge als Textproben demonstriert werden.

Unter dem Stichwort 'Gruppenpädagogik' schreibt der Herausgeber zur Geschichte:
»Die Gruppenpädagogik entstand im westlichen Teil Deutschlands erst nach dem zweiten Weltkrieg. Aufgerüttelt durch die Folgen des Nationalsozialismus, suchte man in der Jugend- und Erwachsenenbildung nach Möglichkeiten eines neuen Anfangs. Im Vordergrund standen Reeducation und Demokratisierung. In neu gegründeten Weiterbildungseinrichtungen, wie z.B. dem Haus Schwalbach unter der Leitung von Magda Kelber, begann man zunächst mit der Schulung von Lehrenden und Erziehenden.
     Heute gehören zu den wesentlichen Arbeitsfeldern der Gruppenpädagogik sozialpädagogische Einrichtungen sowie Bildungseinrichtungen, in denen persönlichkeitsbildende Lernprozesse in Gruppen stattfinden (z.B. Managementschulung, Jugendhaus, Heime, Hort). Auch die Schulpädagogik ist mit gruppendynamischen Prozessen konfrontiert und bezieht diese teilweise in ihr Konzept mit ein. Durch die Orientierung an einem festen Lehrplan, Faktenwissen und der typischen Schulstruktur kann sie jedoch die Stärken der Gruppenpädagogik nur eingeschränkt nutzen.
     Typisch für die Soziale Gruppenarbeit ist die Konzentration auf Klientinnen, die sich in einer ähnlichen Not- bzw. Mangelsituation befinden (z.B. Scheidungskinder, Problemkinder in Schulen, junge Eltern, Erwerbslose). Sie wurde in den USA als 'group work' bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts praktiziert und nahm ihren Anfang besonders in der stationären und ambulanten Jugendarbeit. Mit der zunehmenden Verbreitung von Erkenntnissen aus →ィ Psychologie, →ィ Soziologie und Sozialpsychologie über die Besonderheiten und Potenziale kleiner Gruppen etablierte sich diese Form sozialer Arbeit schließlich ab etwa 1920 und nahm neben der traditionellen Einzelfallhilfe (case work) einen zunehmend wichtigen Raum ein.
     Heute wird die Soziale Gruppenarbeit nicht zuletzt aus finanziellen Gründen angewendet, da mehrere Klientinnen und Klienten gleichzeitig erreicht werden können. Vor allem aber kommen die potenziellen positiven Effekte einer Gruppenzugehörigkeit zum Tragen, d.h. eine →ィ Gruppe kann so etwas wie Heimat bieten und zur Stärkung des Selbstwertgefühls beitragen, da die Teilnehmenden hier nicht nur Hilfesuchende sind. Damit wird die Gruppe zur wichtigen Bezugsgruppe.« (S. 150)

Die Überschriften der folgenden noch weiter untergliederten Abschnitte lauten:

  • Theoretische Grundlagen
  • Gruppenphasen
  • Methoden
  • Literaturtipps

Die Hauptüberschriften zum Stichwort 'Heimerziehung' (von Birgit Lattschar):

  • Rechtliche Grundlagen
  • Ziele
  • Geschichte der Heimerziehung
  • Heutige Formen der Heimerziehung
  • Literaturtipps

Über die heutigen Formen der Heimerziehung heißt es dort:
Heim. Trotz der massiven Kritik an Heimen als 'totaler Institution' gibt es auch heute noch große Heime mit mehreren Gruppen auf einem Gelände, die über 20 bis 100 Plätze verfügen. Die Kinder leben in Gruppen von meist acht bis zehn Mitgliedern zusammen und werden von drei bis fünf /pädagogischen Mitarbeiterinnen betreut, die im Schichtdienst arbeiten. Die Betreuung findet rund um die Uhr statt.
Kinderdörfer. Ein anderes Arbeitsmodell ist das einer mitlebenden hauptverantwortlichen Erziehungsperson/eines Paares, die/das von weiteren pädagogischen Fachkräften unterstützt wird. Viele dieser älteren Institutionen liegen außerhalb einer Ortschaft, auf dem Heimgelände befindet sich noch eine Heimschule und eventuell Ausbildungswerkstätten. Diese Heime versuchen jedoch, den Ghettocharakter abzubauen, indem sie sich mit Schulen und Ausbildungswerkstätten nach außen öffnen bzw. die Kinder und Jugendlichen öffentliche Schulen besuchen. Auch die Unterbringung erfolgt in familienähnlichen Gruppen mit Ein- oder Mehr-bettzimmern, Wohnräumen und eigener Küche. Viele früher zentral organisierte Versorgungsfunktionen wie Kochen oder Wäsche waschen wurden ganz oder teilweise in die Gruppen übertragen.
Wohngruppen. Sie entstanden zu Beginn der 1970er Jahre aus der Kritik an der bestehenden Heimerziehung in großen Institutionen mit zentraler Versorgung. Im Gegensatz dazu befinden sich Wohngemeinschaften in einem normalen Wohnumfeld, in einem Einfamilienhaus oder einer gemieteten Wohnung und versorgen sich selbst. Die Kinder und Jugendlichen werden von pädagogischen Mitarbeiterinnen im Schichtdienst betreut, bei manchen Modellen wohnt auch eine Mitarbeiterin oder ein Paar in der Wohngemeinschaft und wird durch externe Erzieherinnen unterstützt. Wohngruppen oder Wohngemeinschaften sind selbständige Einrichtungen (Kleinstheime).
Bei Außenwohngruppen handelt es sich um vom Stammhaus ausgelagerte Wohngemeinschaften, die aber Dienstleistungen, wie z.B. therapeutische Angebote des Heimes, in Anspruch nehmen und deren Mitarbeiterinnen in die Gesamtorganisation eingebunden sind. Vor allem Jugendliche werden in dieser Form der Heimerziehung betreut, häufig wechseln sie nach einer Zeit im Stammhaus zur Verselbständigung in eine Außenwohngruppe.
Betreutes Wohnen. Dies wird ebenfalls unter § 34 als 'sonstige betreute Wohnform' zur Heimerziehung gezählt. Im betreuten Wohnen werden Jugendliche und junge Volljährige von pädagogischen Fachkräften in einer eigenen Wohnung betreut. Dies sind vor allem Jugendliche, die zuvor im Heim oder in einer Wohngemeinschaft untergebracht waren und nun 'verselbständigt' werden, oder Jugendliche, die nicht in einer Gruppe (im Heim, in einer Wohngemeinschaft) leben können oder wollen. Die Betreuung in der Wohnung findet ambulant statt, d.h. die pädagogische Fachkraft besucht die Jugendlichen regelmäßig, um sie zu beraten und zu unterstützen.
Erziehungsstellen. Hier leben ein oder mehrere Kinder im Haushalt einer pädagogischen Fachkraft, gemeinsam mit deren Partner und gegebenenfalls leiblichen Kindern. Von einer Pflegefamilie unterscheidet sich das Arrangement durch die professionelle Ausbildung der Fachkraft und deren höhere Entlohnung. Häufig sind Erziehungsstellen an eine Erziehungshilfeeinrichtung angebunden. Die Erziehungsstelleneltern sind dort angestellt und erhalten →ィ Beratung und →ィ Supervision. Diese Art der Fremdunterbringung wird häufig bei jüngeren, aber sehr schwierigen Kindern und/oder Geschwisterkindern gewählt.
Andere Formen der Heimerziehung

  • Mutter und Kind-Heime für minderjährige Mütter und ihre Kinder
  • Erlebnispädagogische Maßnahmen (→ィ Erlebnispädagogik), bei denen durch eine enge Betreuungssituation, verbunden mit Grenzerfahrungen und Naturerlebnissen, besonders schwierige Jugendliche erreicht werden sollen
  • Milieunahe Heimerziehung, bei der die Kinder in ihrem Lebensumfeld bleiben und das Heim 'um die Ecke' liegt
  • Projekte, bei denen die ganze Familie für eine begrenzte Zeit stationär aufgenommen und betreut wird (z.B. die 'Triangel' in Berlin)
  • Geschlossene Heime, in denen Kinder und Jugendliche untergebracht sind, die durch andere Maßnahmen nicht zu erreichen sind bzw. die häufig entweichen.« (S. 163/164)

Die Hauptüberschriften zum Stichwort 'Pflegekinder' (von Irmela Wiemann):

  • Zur Geschichte
  • Formen der Familienpflege
  • Zur besonderen Situation von Pflegefamilien
  • Literaturtipps
  • Kontakte

Zur besonderen Situation von Pflegefamilien schreibt die Verfasserin:
»Pflegeeltern sind in der Regel keine professionellen Anbieter. Sie wollen aus privaten Ressourcen und persönlichen Motiven einem Kind helfen oder die Elternrolle übernehmen. Diese privaten Motive müssen mit den Interessen der öffentlichen Jugendhilfe in Einklang gebracht werden. Pflegeeltern sorgen im Auftrag von Eltern und Jugendamt für die Pflegekinder. § 37 KJHG verpflichtet sie zur Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie des Kindes. Pflegeeltern erhalten Unterhaltszahlungen für die Pflegekinder sowie eine Aufwandsentschädigung für die geleistete pädagogische Arbeit.
     Kinder und Erwachsene einer Pflegefamilie leben in dem Widerspruch, dass sie wie eine richtige Familie zusammenleben und zugleich Institution der öffentlichen Jugendhilfe sind. Zudem sind Pflegeeltern oftmals einem erhöhten Druck aus Kindergarten, Schule, Nachbarschaft und Verwandtschaft ausgesetzt, da Pflegekinder durch ihre mitgebrachten seelischen Verletzungen und frühere Beziehungsabbrüche oftmals →ィ Verhaltenauffälligkeiten haben. Dies führt immer wieder auch zu vorzeitigen Beendigungen von Pflegeverhältnissen.
     Oft kann zu Beginn der Unterbringung nicht vorhergesagt werden, ob das Kind befristet oder auf Dauer in der Pflegefamilie bleiben wird. Je jünger aber ein Kind zu Pflegeeltern und →ィ
Geschwistern kommt, desto stärker entwickelt es eine Bindung, eine emotionale familiäre Zugehörigkeit, ähnlich wie Adoptivkinder. Somit ist mit der Maßnahme Familienpflege strukturell eine Rückführung in die Herkunftsfamilie weniger leicht möglich als in der →ィ Heimerziehung. Dieser Sachverhalt führt in der Praxis immer wieder zu Konflikten zwischen Interessen von Herkunftseltern und Interessen der Pflegekinder. Vor allem in den neunziger Jahren wurde in der Fachwelt kontrovers diskutiert, ob die Pflegefamilie Ersatzfamilie (Pflegekinder werden von ihrer Herkunftsfamilie abgelöst) oder Ergänzungsfamilie (Pflegeeltern kooperieren mit den Eltern) sein soll (Hamburger Pflegekinderkongress 1990).
     Anders als bei der →ィ
Adoption (Annahme als Kind), bei der die Verwandtschaft zu den Herkunftseltern gesetzlich erlischt, bleiben Pflegekinder gesetzlich Kinder ihrer Eltern. Auch wenn Elternrechte entzogen wurden, bleiben die Eltern unterhaltsverpflichtet, und es besteht die gesetzliche Erbfolge.
     Familienerziehung wird - anders als die →ィ
Heimerziehung - von den Herkunftseltern oftmals als Konkurrenz wahrgenommen. Die Pflegekinder leiden dann verstärkt unter Loyalitätskonflikten (lat.: loyal = gesetzlich, pflichttreu gegenüber Instanzen). Die Kränkung, fortgegeben zu sein und negative Identität ("Wenn meine Eltern schlecht sind, bin ich als ihr Kind auch schlecht!") beeinflusst Pflegekinder ähnlich wie bei der Adoption. Erfahrungsgemäß ertragen Pflegekinder ihre Ausnahmesituation dann am besten, wenn eine annähernde Kongruenz der Bedürfnisse von Kind, Herkunfts- und Pflegefamilie erreicht wird und Pflegeeltern und Herkunftseltern einander respektieren und zusammenarbeiten.« (S. 317/318)

Bilanzierende Bewertung: Alle Beiträge sind differenziert untergliedert, gut lesbar und praxisorientiert geschrieben mit zahlreichen Querverweisen und abschließenden Literaturempfehlungen. Im Anhang findet der Leser ein ausführliches Sachwortregister, das allerdings auch die lexikalischen Lücken offenlegt. Die störendste ist das Fehlen der meisten einflußreichen Erzieherpersönlichkeiten. Aber Wörterbücher brauchen viele Auflagen, um zur Reife zu gelangen und weitere Auflagen sind diesem verdienstvollen Werk sehr zu wünschen

Kurt Eberhard  (Oktober, 2006)

 

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