FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2006

 



Jo Eckart

Kinder und Trauma

Was Kinder brauchen,
die einen Unfall, einen Todesfall,
eine Katastrophe, Trennung,
Mißbrauch oder Mobbing erlebt haben

Vandenhoeck & Ruprecht, 2005
(160 Seiten, 17.90 Euro)
 


Frau Dr. phil. Jo-Jacqueline Eckardt arbeitet als Erziehungs- und Mobbingberaterin sowie als Erzieherin in der Kinderschutzstelle 'Nachbarschaft hilft Wohngemeinschaft e.V.' und ist Publizistin in Berlin.

Der Anspruch des Buches laut Klappentext:
»Dieses Buch klärt Eltern darüber auf, was Trauma bedeutet, mit welchen Symptomen zu rechnen ist und wie man traumatisierte Kinder bei der Heilung unterstützen kann. Nicht jedes Kind reagiert gleich. Manche Kinder entwickeln Ängste, andere  reagieren mit Rückzug und Verleugnung, wieder andere werden aggressiv oder verletzen sich selbst. Eltern und Erzieher müssen lernen, die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und auf sie einzugehen. Viele praktische Tipps zeigen, wie eine individuell abgestimmte Begleitung des traumatisierten Kindes aussehen und wie das Selbstvertrauen der Kinder gestärkt werden kann. Einige spezielle Situationen wie Verlust, sexuelle Gewalt, Mobbing, Trennung und Umzug werden gesondert behandelt«

Die Durchführung dieses Programms ist aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich:

Einleitung

1. Kind und Trauma
Was ist Trauma? - Typische Auswirkungen und Symptome - Kinder und Trauma
2. Erste Hilfe
Starke Helfer - Was tun bei Schock? - Professionelle Helfer einschalten
3. Verarbeitung des Traumas
Gefühle zulassen - Miteinander reden - Rituale - Kreative Bewältigungsmechanismen fordern - Entspannung - Spielen - Karitativer Einsatz - Konkrete Hilfe - Selbstwertgefühl aufbauen und Stärken entwickeln
4. Mögliche Symptome
Regression und Verleugnung - Falschinterpretationen, ein verändertes Selbst- oder Weltbild, magische Gedanken - Wut, Aggression, Selbstverletzungen - Schuldgefühle und Scham - Ängste, Panik und Phobien - Intrusionen, Flashbacks, Überflutung, Albträume -  Zwangshandlungen - Physische Symptome und Krankheiten
5. Besondere Situationen
Trennung und Scheidung - Umzug - Trauer über den Tod einer geliebten Person - Sexuelle Gewalt - Mobbing in der Schule - Opfer oder Zeuge einer Gewalttat
6. Das Leben geht weiter
Ausgewählte Literatur zum Thema

Einige Textproben sollen Stil und Inhalt dokumentieren.

Das erste Kapitel beginnt mit einer kurzen und klaren Trauma-Definition:
»Ein traumatisches Erlebnis wird als Einschnitt erlebt, der das bisherige Leben nachhaltig negativ verändert. Es ist mit den vorherigen Lebenserfahrungen nicht vereinbar und verunsichert die Betroffenen zutiefst. Die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen sind der Aufgabe nicht gewachsen. Es gibt sowohl plötzliche Traumata (Typ I) als auch solche, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken (Typ II).« (S. 9)

Anschließend werden diese beiden Typen näher beschrieben.

Im Abschnitt ’Typische Auswirkungen und Symptome’ stellt die Autorin u.a. die vielfältigen Langzeitfolgen dar:
»Zunächst einmal muss von einer tiefen Verunsicherung ausgegangen werden. Opfer haben gelernt: Man kann sich nicht auf das wohlmeinende Schicksal, auf eine 'gute' Welt, auf andere Menschen - und vielleicht noch nicht einmal auf den eigenen Körper - verlassen. Hinzu kommt eventuell auch ein Schuld- oder Schamgefühl, wie wir später noch sehen werden. Bei anhaltendem Trauma, wie etwa bei Missbrauch oder Mobbing, sinkt das Selbstwertgefühl. Mögliche Folgen sind Depressionen, Ängste, Phobien und Neurosen, die später besprochen werden.
     Besonders bei wiederholten oder länger andauernden Traumata tritt zuweilen eine Veränderung der Art und Weise auf, wie Kinder die Welt wahrnehmen. Man spricht in der Psychologie von 'dissoziativen' Strukturen. So gewöhnen sich beispielsweise Kinder, die sexuell missbraucht werden, an, ihre Gefühle während des Missbrauchs einzufrieren. Sie spalten die Gefühle der Verwirrtheit, Scham, Wut oder Verletztheit ab und sind sich nicht bewusst darüber, dass tief innen solche Gefühle existieren. Mit diesem 'Trick' hilft ihnen die eigene Psyche zwar erst einmal bei der Bewältigung des ungeheueren Ereignisses, auf lange Sicht gesehen, fallt es den Kindern aber häufig schwer, spontane Gefühle zu empfinden. Im späteren Leben bleiben sie entweder 'frigide' oder aber sie tendieren womöglich zu extremen Mitteln wie etwa Sucht, Promiskuität, schmerzhaften Selbstverletzungen, um wenigstens für Momente intensive Gefühle zu erleben.
     Andere Symptome, mit denen man bei traumatisierten Kindern rechnen muss, sind: erhöhte Aggression, unsoziales Verhalten, freiwillige Isolation oder Scheu vor anderen Menschen, vermehrte Unruhe, Bettnässen, Stottern, Nägel- und Haarkauen, Selbstverletzungen, Lernstörungen, Schulangst und abfallende schulische Leistungen, Unkonzentriertheit, vermeintliche Gefühlskälte, Sadismus gegenüber Tieren und anderen Kindern, Schreckhaftigkeit und andere Auffälligkeiten. Erkrankungen und physische Unpässlichkeiten können ebenfalls psychosomatischer Natur sein und in direktem Zusammenhang mit dem Trauma stehen.« (S. 14)

Jo Eckardt legt Wert auf einen schrittweisen Prozeß der Traumaverarbeitung:

  1. »Wiederherstellung der Sicherheit (dazu zählen primäre Bedürfnisse wie Wohnung, Essen, Unversehrtheit, Behandlung von Verletzungen, Wärme, Rückkehr in vertraute Umgebung etc.),
  2. Wiederherstellung des Vertrauens (dazu zählen Vertrauen in andere Menschen, Vertrauen in sich selbst, ein positives Selbstbild und Selbstachtung, Vertrauen in die Welt, Verarbeitung von Gefühlen, Ängsten und Vorwürfen ) ,
  3. Integration des Traumas (dazu gehören eine gewisse Akzeptanz, dass ein Trauma geschehen ist, Trauer um das Verlorene, die Verknüpfung von Vergangenem und Aktuellem),
  4. Wiedereintritt ins Leben (dazu gehören das Bewusstsein, dass nichts mehr so ist, wie es war, dass das Leben aber dennoch weitergeht, eine Festigung der bestehenden Beziehungen, die Zuversicht, dass man Probleme meistern kann und der Wille, aus dem Leben das Beste zu machen).« (S. 24)

Den LeserInnen werden eine Fülle praktischer Anregungen geboten, z.B. adaptive Rituale:

  • »Trauerrituale (eine Kerze anzünden, eine Gedenkveranstaltung, Grabbesuche etc.),
  • sich mit Menschen treffen, die das Trauma ebenfalls erlebt haben,
  • eine Gedenkstätte einrichten,
  • ein Fotoalbum anlegen,
  • regelmäßig Tagebuch schreiben,
  • ein Gedicht {Geschichte) schreiben,
  • am Unfallort einen Blumenstrauß, ein Kreuz oder einen Stein hinterlegen,
  • Jahrestage begehen,
  • die erlittenen Schmerzen oder Verluste aufschreiben und in einem Papierschiffchen auf Seereise schicken,
  • sich für einen guten Zweck engagieren.« (S. 48/49)

Sie werden ferner ermutigt, sich nicht nur auf das Schreckliche des Traumas und auf die Opferrolle zu fixieren:
»So verheerend das Trauma für Ihr Kind und für Sie auch gewesen sein mag, bemühen Sie sich darum, nicht nur das 'Schreckliche' zu betonen. Trotz aller Trauer darüber, dass es so gekommen ist und trotz des verständlichen Wunschs, die Zeit könne noch einmal zurückgedreht werden, ist das Trauma nun einmal passiert, und Sie und Ihr Kind müssen lernen, diese Tatsache zu akzeptieren. Wer sich immer nur als 'Opfer' sieht, wird kein neues Selbstbewusstsein entwickeln können. Aus diesem Grund spricht man im Englischen in der Traumaliteratur auch nicht von 'victims', sondern von 'survivors', also von Überlebenden. Machen Sie sich einmal mit diesem Gedanken vertraut: Ihr Kind ist nicht 'Opfer' eines Traumas, denn es hat ja das Trauma überlebt. Darin drückt sich seine Stärke aus, auf der man aufbauen kann.« (S. 78)

Im letzten Kapitel wird schließlich sogar auf den biographischen Gewinn der Traumaerlebnisse, nämlich auf die Reifungserfahrungen hingewiesen:

  • »Beziehungen zu Anderen, tiefere Verbundenheit,
  • Wertschätzung des Lebens, andere Prioritätensetzung,
  • neue Möglichkeiten, Veränderungswillen,
  • persönliche Stärken, Bewältigungsmöglichkeiten,
  • religiös-spirituelle Veränderungen,
  • Mitgefühl mit anderen, Empathie.«  (S. 157)

Bilanzierende Bewertung:

Die wichtigsten Vorzüge des Buches:

  1. Jo Eckardt kann offenbar auf einen reichen Fundus einschlägiger Erfahrungen zurückgreifen.
  2. Sie bietet eine Fülle praktischer Anregungen.
  3. Das Buch ist in einer klaren, allgemeinverständlichen Sprache geschrieben.  

Die auffälligsten Nachteile:

  1. Die Autorin stellt sich weder biographisch noch wissenschaftlich vor, dadurch wird eine Objektivität vorgespiegelt, die es gerade auf dem Gebiet der Traumapsychologie nicht geben kann (bspw. hat sie offenbar ein sehr distanziertes Verhältnis zur psychoanalytischen Traumatheorie und auch zur neuropsychologischen Traumaforschung).
  2. Die in der sozialen Praxis häufigste und in den Auswirkungen besonders destruktive Form der Traumatisierung bleibt unberücksichtigt - ein typisches Beispiel für Vernachlässigung der Vernachlässigung.
  3. Keine Abbildungen, keine Graphiken, kein Sachwortverzeichnis, als Nachschlagewerk also wenig tauglich.

Insgesamt also nur eingeschränkt empfehlenswert!

Christoph Malter (April 2006)

 

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