FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2005

 



Bettina Schneuer
und Christian Ankowitsch

»Von mir hat er das nicht!«

Droemer-Verlag, 2005

(239 Seiten, 10 Euro)


Bettina Schneuer, geboren 1964 in Hamburg, ist Juristin und Journalistin, war Redakteurin beim 'Spiegel TV' und ist seit 1994 beim 'Stern'. Christian Ankowitsch, geb. 1959 in Klosterneuburg/Österreich, studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Graz und arbeitet als Journalist für 'Die Zeit' und die 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung'.
Die Autoren leben mit ihren beiden Söhnen in Berlin.

Ihr Anliegen ist weder wissenschaftlich noch journalistisch:
     "Im Fall der Verfasser dieses Buches sind alle äußeren Bedingungen für die Unterschiedlichkeit von Frau & Mann besonders beispielhaft ausgeprägt: Sie ist eine klar-kühl-rationale-gutorganisierte Hanseatin, er ein in allem gegenteilig strukturierter Österreicher, sie eine Verfechterin strenger Tischsitten und er ein Dogmatiker des Laisser-faire, sie eine Anhängerin des gepflegten Hotelurlaubs und er ein Prophet des Campingplatzes, sie eine Freundin gewählter Sprache und er ein Freund der direkten, sie eine Hasserin von Kaugummis & Comics und er ein Befürworter. Und so fort. Genug Gründe also, einander unterschiedlich und daher anziehend zu finden.
     Doch was, wenn zwei solche Menschen Kinder bekommen? Nach welchen Regeln sind diese Kinder zu erziehen? Mehr nach ihrem Naturell oder mehr nach seinem? Mehr nach dem Koexistenz- oder mehr nach dem Kooperationsmodell? Oder auch mal in Form kriegerischer Auseinandersetzungen (natürlich nur, wenn die lieben Kinder [durch]schlafen, also ganz, ganz selten)? Oder pi mal Daumen?
     Gute Fragen, die sich den beiden spätestens bei der Nachricht stellten, es sei ein Kind unterwegs. Fragen, die sich nur beantworten lassen, wenn man den Alltag der beiden Eltern und der beiden Kinder etwas genauer ansieht. Was auf den folgenden Seiten geschehen soll den Lesern zur Unterhaltung. Und der Jungfamilie ebenso." (aus dem Vorwort)

Unter den Hauptüberschriften »Die Schwangerschaft«, »Die Geburt«, »Das Leben danach« werden 45 heitere Episoden, nein 45 alltägliche Episoden heiter erzählt. Ob das gelungen ist, können nur Textproben zeigen. Die erste »Über das Zusammenleben mit drei Männern und die Sehnsucht nach ein wenig Weiblichkeit in all dem Testosteron« stammt von ihr, die andere »Über Aufrüstung im Kinderzimmer, virile Söhne und was man von ihnen lernen kann« von ihm.
"..... Schon beim ersten [Jungen] waren wir uns als aufgeklärt-liberale Späteltern einig: Natürlich wird der Junge geschlechtsneutral erzogen! Vollkommen neutral! So musterte ich vorsorglich alle Kinderbücher aus, in denen die Mamis nur am Herd rumstanden und Teppichfransen kämmten. Anstatt zu Hause auf dem Kanapee rumzugammeln, ging ich schnell wieder arbeiten (und heulte nur heimlich mit Schuldgefühlen unter der Bettdecke, wenn Sohnemann am Morgen mit zarten anderthalb sein Spieltelefon in seinen kleinen Koffer packte und sagte: 'Düüss, geh abaiten!'). Ich bat den Kindsvater mittels entsicherter Smith & Wesson höflich darum, zweimal wöchentlich abends zu kochen - vor den neugierigen Augen des Kindes.....
     Tja! Liebe Alice Schwarzer, ich habe es wirklich versucht! Mein Großer bekam natürlich auch eine Puppe, so eine potthässliche Babypuppe mit Klimperaugen. Und was machte er, mit nicht mal zwei Jahren? Nahm seinen Holzschraubenzieher (ein vorher nicht abgesprochenes Großelterngeschenk) und bohrte ihn stundenlang forschend dem Püppchen zwischen Wimpern und Lider! Ich kaufte ihm ein Holzbügeleisen und eine Kochschürze  er funktionierte sie zu Helikopter samt Landeplatz um. Ich kaufte ihm wegen der Auge-Hand- Koordination hübsche Holzperlen, die man auf Lederbändern zu langen Ketten fädeln kann, er funktionierte sie zu Angelschnüren und Flakgeschützen um (dabei ist der Kindsvater Kriegsdienstverweigerer!). .....
     Seine Vorstellung von einem tipptopp gelungenen Ausflug war zum Beispiel ein Besuch auf dem Recyclinghof. Gerne einmal wöchentlich. Oder ein Sonntag bei der Feuerwehr. Oder stundenlang an einer Großbaustelle ausharren und Betonmischer beobachten, im Regen. Nachmittagelang Werkzeugkisten ein- und ausräumen. Jeden Nachmittag zum Fußballplatz ('will kicken!'). Mammamia, wie laaangweilig! Was habe ich, was haben wir bloß falsch gemacht? .....
     Doch nicht nur der permanente Krach plus eine Invasion von Baggern, Betonmischern und Bausteinen veränderte mein Leben und unsere einstmals wunderschöne, kahle Wohnung. Denn Kinder erziehen ja auch, und zwar ab etwa ihrer ersten Lebenswoche, und zwar ihre Eltern, und zwar vor allem Jungs ihre Väter. Und so kam es, dass der Vater meiner Söhne, ursprünglich wie erwähnt eine echte Susi und bis auf ein, zwei Äußerlichkeiten sowie die komplette Unfähigkeit zu bügeln quasi weiblichen Geschlechts (sogenanntes gefühltes Frausein), unter dem Einfluss des kindlichen Testosterons zusehens vermannte.
     Schlimmste Folge dieses osmotischen Prozesses war, dass der Mann an meiner Seite sich auf einmal für Fußball zu interessieren begann. Er begann sogar, darüber zu fachsimpeln  oder mit den Flanken seines Zweijährigen zu protzen, gerne gegenüber anderen Jungspapis! (Lieber Mann von dir hat er das nicht, das Flanken. Schließlich hat MEIN Großvater zweimal in der deutschen Nationalelf mitgespielt.) Dann räumte er unseren Flur leer  als Trainingsplatz. Ein vorläufiger Höhepunkt seiner Testosteronverblödung wurde erreicht, als ich während der Fußball-EM 2004 zufällig beruflich in Amsterdam weilte (samt Stillbaby!) und, dingeling, eine SMS vom Herrn Papa kam: 'Bring dem Großen bitte ein Fußballshirt mit! Muß van Nistelrooy draufstehen!'" (S.105 ff)

Und nun zum selben Thema der Vater:
"..... Die Erinnerung daran, welch unbehauener Mann man einmal gewesen ist, schwindet mit den Jahren und würde nie wiederkehren, hieße es nicht eines Tages: 'Es ist ein Sohn!'
     In den ersten Monaten verläuft noch alles in gewohnten Bahnen. Der Kleine mag zwar einen Penis haben, dennoch würde man nie auf die Idee kommen, dass man einen kleinen Mann im Arm wiegt. Vielmehr ist es ein süßes, kleines Es, das sich von all den anderen süßen kleinen Essen nicht unterscheidet. Daran kann selbst der Umstand nichts ändern, dass sich der Fünfmonatige eines Tages kaum wickeln läßt, weil er eine Erektion hat. Die geht vorbei, und es ist, als wäre nichts geschehen.
     Zu ändern beginnt sich das Bild des Sohnes  und damit das eigene als Mann erst in dem Moment, da der Bub (wie wir Österreicher sagen) damit beginnt, männliche Verhaltensweisen zu zeigen. Von einem Tag auf den anderen hört er einfach auf, das rundum friedfertige Wesen zu sein, das er bislang war, und beißt das erste Kind. Der Schock über das vermeintliche Monster, das man da großgezogen hat, wird gemildert, wenn der Sohn wenige Tage später mit einer dicken Bisswunde am Oberarm nach Hause kommt; beigebracht hat sie ihm der Softie aus seiner Kindergartengruppe. .....
     Von da an vollzieht sich die Mutation des Sohnes zu einem aus jeder Pore Virilität dampfenden jungen Mann in atemberaubendem Tempo. Kaum sind die den Asphalt mit einem Dampfhammer zertrümmernden Muskelmänner passé, treten an ihre Stelle ganze Heere von berittenen und gepanzerten Rittern (keinesfalls Cowboys und Indianer; die sind definitiv out!), inklusive Waffen. Ja, Waffen. Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern, da unser Großer zum erstenmal zur Waffe griff und diese erhob. .....
     Und warum? Hatten wir nicht alles unternommen, um den Sohn von Waffen fernzuhalten? Ihn friedlich zu erziehen? Warum gab es mit einem Mal kein noch so lächerliches Stöckchen mehr, das er nicht zum Schwert, zur Pistole und zur Laserkanone umdeutete? Woher kannte er das ganze Zeug überhaupt? Und wer war der Fremde eigentlich, der da vor mir stand und mir entgegenschleuderte: 'Ha, ich bin stärker als du! Ich hab ein Laserschwert und besiege dich!'
     Es war unser Sohn. Unser lieber, kleiner Sohn, vollgepumpt mit Testosteron. Und es war, so ergaben die Auskünfte anderer Mamis und Papis von Söhnen, alles in bester Ordnung. 'So sind sie eben!' Die Natur, die Gene, sie bahnen sich in unseren Söhnen ihren Weg, unaufhaltsam. Und verwandeln sie in Prototypen der Männlichkeit: mit dem Laufrad über den Berg rasen, den Ball gegen alles Zerbrechliche kicken, im hohen Bogen durch den Zaun pinkeln, 'boa!' sagen und große Jungs, die sie rüde behandeln, anhimmeln." (S. 112 ff)

Wie man sieht, ist das Lesebuch von Bettina Schneuer und Christian Ankowitsch wirklich amüsant. Das allein ist Grund genug, es zu erwerben zu lesen und zu verschenken. Kann man auch etwas daraus lernen? Kann man etwas aus einem Buch lernen, das fast nur über Mißhelligkeiten und Niederlagen erzählt? Eben das: über Mißhelligkeiten und Niederlagen zu erzählen! In unseren Pflegeelternsitzungen wird oft stundenlang nichts anderes getan und zusammen gelacht, oft ganz ohne psychologische Analyse und Reflexion. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Deshalb empfehlen wir, jenes Büchlein zu lesen oder noch viel besser: einander vorzulesen, denn einsam mag man zwar lächeln, aber lautes Lachen gelingt doch leichter unter lieben Leidensgenossen.

Kurt Eberhard  (Mai, 2005)

 

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