FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2006

 

 Hebammen und Eltern fordern ein zeitgemäßes Gesetz
für Leistungen bei Familienplanung, Schwangerschaft,
Geburt und Mutterschaft

 

Noch immer sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Versorgung während einer normalen Schwangerschaft und Geburt nicht im Sozialgesetzbuch (SGB V) festgeschrieben. Zuständig für diese Kernbereiche ist unverändert die veraltete Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911. Das bedeutet, dass im SGB V Schwangerschaft und Geburt als gesunde, physiologische Ereignisse nicht benannt sind und deshalb bei Gesetzesänderungen und neuen Gesetzen wie dem Präventionsgesetz oft keine Berücksichtigung finden.

Um diesen Missstand zu beheben, haben die Berufsverbände der Hebammen, das Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland und die Vernetzungsstelle der Berliner Geburtshäuser gemeinsam einen Antrag zur Gesetzestextänderung beim Bundesministerium für Gesundheit eingereicht. Der Vorschlag zur Gesetzesänderung beinhaltet die Überführung der leistungsrechtlichen Regelungen zu Schwangerschaft und Geburt aus der Reichsversicherungsordnung in das Sozialgesetzbuch und eine Anpassung der Systematik von bereits vorhandenen Paragraphen an moderne Gegebenheiten, so auch die Regelungen zu Hebammenhilfe und hebammengeleiteten Geburtshäusern.

Schwangerschaft und Geburt sind keine Krankheiten

Ausgangspunkt der Reformvorschläge ist der Bedeutungsverlust der gesunden Schwangerschaft und Geburt. Das zeigt sich daran, dass in den letzten Jahren vorwiegend solche Regelungen Anwendung fanden, die eigentlich für die Behandlung von Krankheiten konzipiert worden sind. Dadurch gerät der besondere Status von Schwangerschaft und Geburt als primär gesunder Vorgang im menschlichen Leben zunehmend aus dem Blickfeld. Die Vernachlässigung der normalen Schwangerschaft und Geburt spiegelt sich auch in der Vernachlässigung zeitgemäßer gesetzlicher Regelungen für Hebammen wieder.

Familien sind eine wichtige Grundlage für die künftige Entwicklung des Landes. Den Kinderwunsch zu fördern ist daher zentrales Ziel aktiver Politik. Die Politik ist bestrebt, strukturelle Barrieren und Benachteiligungen für Familien abzubauen und Anreize für Menschen zu schaffen, sich für Kinder zu entscheiden. Unbestritten ist zwischenzeitlich, dass die Überalterung der Gesellschaft und der Bevölkerungs-Rückgang zu einer Überlastung der sozialen Sicherungssysteme und der sozialen Infrastruktur führen. Gerade in Zeiten des Geburtenrückgangs bedarf es optimaler Rahmenbedingungen für eine angemessene medizinische und psychosoziale Versorgung vor, während und nach der Geburt eines Kindes. Diese sollte sich an dem Leitgedanken von Gesundheitsförderung und Prävention ausrichten, wobei Frauen unabhängig von Gesundheit oder Krankheit einen Anspruch auf Hebammenhilfe und ärztliche Hilfe haben. Eine sorgfältige Gesetzgebung zu Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft korrespondiert mit der gesellschaftlichen Wertschätzung für Frauen bzw. Paare, die eine Familie gründen.

Zusammenfassung der Änderungsvorschläge

Im Zentrum der angestrebten Reform steht der §24 SGB V.
Darin wird in Absatz 1 gefordert, dass sich die Zielsetzung der Maßnahmen bei Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft wesentlich von der Krankheitsbehandlung unterscheiden muss.

Im Wesentlichen werden folgende Paragraphen berücksichtigt:

§ 24 a Familienplanung und Empfängnisverhütung,
§ 24 b Schwangerenbetreuung,
§ 24 c Geburtshilfe,
§ 24 d Leistungen bei Mutterschaft,
§ 24 e Häusliche Pfl ege und Haushaltshilfe in der Schwangerschaft und nach der Geburt,
§ 24 f Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln,
§ 24 g Schwangerschaftsabbruch,
§ 24 h künstliche Befruchtung,
§ 24 i Mutterschaftsgeld,
§ 24 j Tertiäre medizinische Prävention für Mütter und Väter.

Darüber hinaus werden auch Änderungen bzw. Ergänzungen vorgeschlagen in

§ 91 Gemeinsamer Bundesausschuss,
§ 121 a Leistungen durch Beleghebammen,
§ 134 b Versorgung in Geburtshäusern und anderen von Hebammen geleiteten Einrichtungen,
§ 291 a Elektronische Gesundheitskarte und
§ 301 Abrechnung der Hebammen, Entbindungspfl eger und von Hebammen geleitete Einrichtungen.

Hebammen sind auch in der Familienplanung tätig

Der neue § 24 b ersetzt den bisherigen § 24 a SGB V. In den bisherigen Regelungen wird nur der Anspruch auf Empfängnisverhütung durch Ärzte beschrieben. Der Begriff der Familienplanung geht aber darüber hinaus. Im SGB V wird bisher nur die künstliche Befruchtung und Behandlung abgedeckt. Entsprechend dem Grundsatz „Gesundheitsförderung vor Behandlung“ muss Aufklärung und Beratung im physiologischen Bereich der Fruchtbarkeit gerade auch am Übergang der Empfängnisverhütung zum Kinderwunsch als Bestandteil des Leistungsspektrums von Hebammen genannt werden. Laut EWG Richtlinie 155/1980 EWG tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Hebammen in der Familienplanung eigenverantwortlich tätig werden können. Bereits heute sind Hebammen im Rahmen der Wochenbettbetreuung, auf dem Gebiet der Familienplanung tätig.

In Absatz 2 wird der Anspruch junger Frauen auf empfängnisverhütende Mittel zur Vermeidung von Teenager-Schwangerschaften beschrieben. Dies ist sinnvoll, führt jedoch zu einer Einschränkung auf ärztlich verordnete Mittel, so dass hauptsächlich die „Pille“ verordnet wird. Problematisch erscheint hierbei, dass die Infektionsprophylaxe durch Kondome und die Verantwortungsübernahme des männlichen Partners für die Verhütung dabei in den Hintergrund tritt. Es ist wünschenswert, dass auch andere wirksame empfängnisverhütende Mittel – insbesondere Kondome – kostenlos abgegeben werden und dass Hebammen in eine, an der Lebenswelt junger Frauen und Männer orientierte Familienplanung einbezogen werden.

Da einige im Rahmen der Schwangerenvorsorge gemäß den Mutterschaftsrichtlinien vorgenommenen Untersuchungen für die Frauen weit reichende Konsequenzen und ethische Probleme nach sich ziehen können, soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, zusätzlich zur medizinischen Aufklärung eine unabhängige Beratung in Anspruch zu nehmen. Dieser Anspruch wird in § 24 Abs. 2 Nr. 3 formuliert.

Freie Wahl des Geburtsortes

Der § 24 c befasst sich mit „anderen Einrichtungen“, in denen Frauen gebären können. Die RVO hatte 1911 insbesondere den, inzwischen selten gewordenen, Typus des Entbindungsheimes im Blick. In den zurückliegenden zwanzig Jahren sind in Deutschland zahlreiche Geburtshäuser und weitere von Hebammen geleitete Einrichtungen entstanden.

Bislang ist in der Rechtssprechung streitig geblieben, ob durch die Regelungen in der RVO eine ausreichende leistungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der Betriebskosten in Geburtshäusern und anderen von Hebammen geleiteten Einrichtungen durch die Krankenkassen gegeben ist. Der Grundsatz der Gleichbehandlung muss hier zur Anwendung kommen, wenn Krankenhäuser im Rahmen der DRG - Regelung ihre Betriebskosten für eine ambulante Geburt zur Deckung bringen können, einem Geburtshaus oder einer anderen von Hebammen geleiteten Einrichtung jedoch keine Betriebskosten zugestanden werden.

Auch im Hinblick auf die Wahlfreiheit von Frauen bezüglich des Ortes, an dem sie ihr Kind zur Welt bringen möchten, ist es angezeigt, die Geburtshilfe für von Hebammen geleitete Einrichtungen leistungs- und vertragsrechtlich abzusichern. Am Ende der DRG - Einführung wird es sich als Kosten sparend, sicher und effektiv erweisen, wenn die teure Hochleistungsmedizin im Rahmen der Geburtshilfe vorrangig den Frauen zu Gute kommt, die sie aus medizinischem Grund benötigen. Gesunde Frauen mit normalem Schwangerschaftsverlauf müssen zwischen einer Klinikgeburt und der Geburt in einer von Hebammen geleiteten Einrichtung wählen können, ohne dass ihnen finanzielle Nachteile entstehen. Analog zu § 24 c muss auch das Leistungserbringungsrecht für diese Einrichtungen geregelt werden.

Entsprechend werden Regelungen in § 134 vorgesehen, in dem bereits das Leistungserbringungsrecht der Hebammen verankert ist. Geburtshäuser weisen einen hohen Qualitätsstandard auf. Neben dem jährlichen Qualitätsbericht zur außerklinischen Geburtshilfe in Deutschland bestätigen auch andere Studien seit Jahren den hohen Sicherheitsstandard in der außerklinischen Geburtshilfe. Darüber hinaus wurde gemeinsam vom Netzwerk der Geburtshäuser, den Berufsverbänden und Krankenkassen ein Qualitätsmanagementsystem spezifisch für Geburtshäuser entwickelt. Dieses System wurde nach internationalen Anforderungen aufgebaut und geht weit über das bisher geforderte Qualitätsmanagement in Gesundheitseinrichtungen hinaus.

Hebammenbetreuung auch für Pfl ege- und Adoptionskinder und bei spätem Schwangerschaftsabbruch

Auch der § 24 d, Leistungen bei Mutterschaft, ist aus der RVO übernommen und präzisiert worden. Die Defi nition der Mutterschaft ist notwendig, damit Mütter und auch Väter mit in Pfl ege genommenen oder zur Adoption vorgesehenen Säuglingen sofortigen Anspruch auf Unterweisung in der Pflege und Ernährung des Säuglings erhalten und eine kontinuierliche Überwachung des Gesundheitszustandes des Säuglings im häuslichen Umfeld stattfi nden kann.

Im § 24 g wurde in die Beratung der Frau vor einem medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 des StGB, der bis zum eigentlichen Geburtstermin möglich ist, die Hebamme einbezogen. Auch hier hat die Frau ein Anrecht auf Hebammenbetreuung vor, während und nach dem Eingriff.

Hohe Anforderungen erfordern bessere Vergütung

In §121 wird bisher nur die Vergütung für die Belegärztliche Versorgung geregelt. Der Gesetzesentwurf schlägt eine Ergänzung für Beleghebammen vor. Im Rahmen der DRG-Einführung wird die geburtshilfliche Versorgung zunehmend durch Beleghebammen sichergestellt, deren Finanzierung und Kalkulation innerhalb der DRG jedoch nur unzureichend abgebildet wird. Die hohen Erwartungen an die Tätigkeit der Beleghebammen müssen mit der Vergütung in Einklang gebracht werden, um auch langfristig eine gute Versorgung in geburtshilfl ichen Abteilungen sicherstellen zu können.

Fazit

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen am Beginn des Lebens werden mit diesen Änderungen auch in Deutschland in eine zeitgemäße Fassung gebracht und damit den modernen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. Frauen und Kinder als Leistungsempfänger benötigen Unterstützung zur schnellen Umsetzung für diese Gesetzesinitiative.

Berlin, Frankfurt und Karlsruhe, Mai 2006

 

Den gesamten Text des Entwurfs können Sie auf Anfrage erhalten beim

Bund Deutscher Hebammen e.V.
Gartenstraße 26, 76133 Karlsruhe
Tel. 0721/ 98189-0, Fax 0721/ 98189-20
info@bdh.de, www.bdh.de

Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V.
Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt/M.
Tel. 069/ 79534971, Fax 069/ 79534972
geschaeftstelle@bfhd.de, www.bfhd.de

Geburtshaus für eine selbstbestimmte Geburt -
Beratung und Koordination e.V.
Schönfließerstr. 17, 10439 Berlin
Tel. 030/ 32609038
kontakt@berliner-geburtshaeuser.de
www.berliner-geburtshaeuser.de

Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland e.V.
Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt/M.
Tel 069/ 71034475, Fax 069/ 71034476
info@geburtshaus.de, www.geburtshaus.de

Zusammenfassung: Änderungsvorschlag zur Übernahme der Inhalte sowie Ergänzungen der §§195 – 197 Reichsversicherungsordnung (RVO) ins Dritte Kapitel, Dritter Abschnitt Sozialgesetzbuch V (SGB V)

 

 

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