FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Erfahrungsbericht / Jahrgang 2007

 

Kinderschutz: Der ganz normale Wahnsinn Berliner Sozialarbeit

von Karsten Paulmann

 

Berlin - Er fühlte sich von CareChild angegriffen. Der Artikel über nicht engagierte Sozialpädagogen, im Zusammenhang mit der Berliner Kinderschutz Hotline, wurmte ihn.  Er ist einer dieser Sozialarbeiter. Jetzt kommt er selbst zu Wort und schildert den ganz normalen Wahnsinn eines Berliner Sozialarbeiters.

Nach dem Tod des kleinen Kevin in Bremen, unter der offenbar unzureichenden Aufsicht des Jugendamtes, hat es in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion um Kinderschutz und die Rolle der Jugendämter gegeben. Zahlreiche Politiker und Fachbeamte aus den oberen Etagen der Behörden haben sich zu Wort gemeldet. SozialarbeiterInnen, die direkt mit den Kindern, ihren Eltern und ihrem übrigen sozialen Umfeld arbeiten, sind dabei kaum zu Wort gekommen. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit, denn je weiter jemand von der direkten und unmittelbaren Arbeit mit unseren Klienten entfernt ist, desto weniger weiss er über die praktische Arbeit, desto abstrakter und klischeehafter werden die Aussagen.

Konstruierte Wirklichkeit - politisch korrekt
Das hierarchische System der Verwaltung gestattet es dem einfachen Sozialarbeiter nicht, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden (aus diesem Grund können mein Name und meine Arbeitsstelle hier nicht genannt werden). Es ist wie überall: Informationen werden über eine lange Kette von Vorgesetzten so lange gefiltert und bearbeitet, bis sie politisch genehm sind. So entsteht eine konstruierte Wirklichkeit, wie sie die Politiker gerne hätten und die hat mit dem Alltag von Kindern, Familien und Sozialarbeit eben nur noch entfernt zu tun.

Gute Nachrichten - Schlechte Nachrichten
Dazu kommt ein weiteres Phänomen. In der Regel wird das Jugendamt in der Öffentlichkeit negativ wahrgenommen. Dabei zeigt sich die zwiespältige Haltung der Gesellschaft im Umgang mit Eltern- und Kinderrechten. Also heißt es entweder: „Musste das herzlose Jugendamt diesen bemitleidenswerten Eltern das Kind wegnehmen?“ Oder: „Warum hat das Jugendamt so lange zugesehen und nichts unternommen?“ Laut einer aktuellen Unicef-Studie zur Gewalt gegen Minderjährige sterben in Deutschland jede Woche im Schnitt zwei Kinder an den Folgen von Misshandlungen oder Vernachlässigung - bei fast 15 Millionen Kindern unter 18 Jahren. Flugzeuge sollten nicht abstürzen, tun es aber gelegentlich trotzdem und trotz aller Sicherheitsvorkehrungen. Es gibt keine totale Sicherheit.

Aber: Was gut läuft im Jugendamt, was Schicksale wie das des kleinen Kevin verhindern hilft, interessiert die Öffentlichkeit genauso wenig wie die vielen Flugzeuge, die nicht abstürzen.

Der ganz normale Wahnsinn
Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, als direkt in diesem Bereich arbeitender Sozialarbeiter den Alltag zu schildern und zwar in einer Art teilnehmender Selbstbeobachtung: Ich schildere den Ablauf eines Tages (im Oktober 2006) so distanziert und objektiv wie es mir möglich ist, quasi als wäre ich ein Journalist und würde mir selbst bei der Arbeit zusehen. Ich versichere, dass alle geschilderten Ereignisse sich an diesem einen Tag ereigneten und dass ich der Versuchung widerstanden habe, zusätzliche Ereignisse hineinzupacken, um den Arbeitsaufwand aufzublähen – von notwendigen Rückblenden einmal abgesehen.

24 Minuten Zeit pro Familie
Es hat sich auch so genug ereignet und so ist dieser Tag ein Tag wie jeder andere. Alltag eben.
Alle Namen wurden geändert. Gelegentliche Bemerkungen über die generellen Arbeitsbedingungen habe ich eingefügt, wo ich es für das Verständnis für notwendig gehalten habe: Ich arbeite in einem Berliner Jugendamt, in einem sogenannten Problembezirk. Zusammen mit meinen 18 KollegInnen, von denen aber nicht alle Vollzeit arbeiten, bin ich zuständig für ein Einzugsgebiet, in dem etwa 15.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben. Im Durchschnitt betreut jede(r) mit einer Vollzeitstelle laufend etwa 70 Familien, wobei zu beachten ist, dass die Arbeitszeit von Angestellten 34,65 Wochenstunden beträgt, seit Senat und Gewerkschaften in Berlin sich vor drei Jahren auf eine Reduzierung der Arbeitszeit und eine entsprechende Reduzierung des Gehalts geeinigt haben – und die meisten von uns sind Angestellte. Diese furchtbar abstrakten Zahlen werden etwas anschaulicher, wenn wir sie auf die durchschnittlich pro Woche für eine Familie zur Verfügung stehende Zeit umrechnen. Nach Abzug von Urlaub, Krankheit und nicht klientenbezogener Arbeit bleiben demnach im Durchschnitt pro Woche pro Familie für Gespräche plus Aktenführung 24 Minuten; im Jahr 1999 waren es noch 30 Minuten.

Dienstbeginn
8:45 Uhr. Der Tag beginnt wie jeder. Routine. Kurz die KollegInnen begrüßen, Tee kochen, Computer einschalten, Anrufbeantworter abhören. Heute sind es 5 Anrufe. Frau P. meldet sich und bittet um einen Termin. Das Familiengericht hat sie schriftlich aufgefordert, sich beim Jugendamt zu melden, nachdem sie meine Einladung zunächst ignoriert hatte. Es geht darum, dass sie es bisher unterlassen hat, für ihr Kind die Erbschaft des verstorbenen Vaters auszuschlagen, da dieser überschuldet war und das Kind sonst seine Schulden erben würde. Das Familiengericht will von mir eine Stellungnahme, ob deshalb der Mutter die Vermögenssorge entzogen werden muss. Ich versuche, Frau P. anzurufen, sie nimmt nicht ab. Es gelingt mir erst nachmittags beim 4. Versuch, sie zu erreichen.

Ich habe den Eindruck, Frau P. versteht nicht, worum es geht. Sie ist Roma und weiß nicht, was wir von ihr wollen. Ich verabrede mich mit ihr für morgen und werde dann versuchen, ihr zu erklären, welche Schritte sie jetzt unternehmen muss. Da ich es selbst nicht genau weiss, werde ich vorher noch einen Kollegen aus der Vormundschaft fragen müssen.

Eifersüchtiger Türke mit "Spezialausbildung"
Frau B., Richterin beim Familiengericht, fragt an, ob der Termin in Sachen D. in der kommenden Woche um eine Stunde vorverlegt werden kann. Das geht; da sie aber mitgeteilt hat, dass sie heute nicht im Gericht ist, kann ich sie erst morgen anrufen. Es geht um die Auseinandersetzung um Sorge- und Umgangsrecht zwischen noch sehr jungen türkisch-stämmigen Eltern. Hauptproblem: Der Vater ist extrem eifersüchtig, belagert und verfolgt die Mutter nahezu täglich, lärmt vor ihrer Wohnung, tritt gegen die Tür. Es gab bereits mehrere Polizeieinsätze. Nachdem die Mutter ihm deshalb den Umgang mit dem Kind verweigert hat, ist er eine Weile fast täglich bei mir erschienen und hat zusätzlich mich belagert.

Ich müsse doch als Vertreter des Jugendamtes jetzt sofort dafür sorgen, dass er sein Kind sehen könne. Dabei erwähnte er, dass er in einer Spezialeinheit der türkischen Armee ausgebildet worden sei und bewegte sich dazu wie ein Karatekämpfer. Ich fragte mich, will er mich beeindrucken, will er mir drohen? Jedenfalls musste ich ihm erklären, dass das Jugendamt keine Macht habe, die Mutter zu zwingen, sondern dass das nur das Familiengericht könne. Ich würde noch am gleichen Tag das Familiengericht per Fax informieren und um einen schnellen Anhörungstermin bitten. Allerdings müsse er sofort damit aufhören, der Mutter nachzustellen. Vermutlich wird es einen betreuten Umgang geben müssen, um durch die Anwesenheit professioneller Betreuer sicherzustellen, dass die Situation nicht weiter eskaliert und die Eltern hoffentlich lernen, vernünftiger miteinander umzugehen.

Hilfe für Martin
Ein Betreuer aus einer Tageseinrichtung bittet um eine außerordentliche Hilfekonferenz wegen unvorhergesehener Probleme mit Martin (11). In dieser Einrichtung werden nach der Schule verhaltensauffällige Kinder und solche mit erheblichen Lernschwächen betreut. Der Betreuer sagt am Anrufbeantworter nicht genauer, worum es geht, und da ich ihn heute trotz mehrerer telefonischer Versuche nicht erreiche, werde ich es wohl erst morgen erfahren.

Herr S. und die 19 Kinder
Der Familienhelfer A. aus der Familie M. ruft an. Es geht um einen dringend notwendigen Wohnungswechsel. Familie M. macht viel Arbeit. Nachdem Frau M., die aus einem der baltischen Länder stammt, im Dezember letzten Jahres sehr jung mit 28 Jahren an Krebs gestorben ist, kümmert sich ihr Partner, Herr S., um deren drei Kinder zwischen einem und zehn Jahren. Dabei sind die beiden
älteren Töchter gar nicht seine leiblichen Kinder – der Vater soll im Baltikum oder in Weißrussland inzwischen an Alkoholmissbrauch gestorben sein – und beim jüngsten Sohn ist die Vaterschaft noch nicht endgültig festgestellt (das gerichtliche Verfahren läuft seit etwa einem Jahr), weil Frau M. eigentlich mit dem Sohn von Herrn S. verheiratet war und dieser als der Vater gilt. Herr S. geht aber davon aus, dass er der Vater ist und ich neige dazu, ihm zu glauben.

Das Leben ist halt vielgestaltig und als Sozialarbeiter habe ich schon vieles erlebt, aber Herr S. ist auch für mich ein Phänomen, da er mit verschiedenen Frauen 19 (neunzehn) eigene Kinder gezeugt hat, die alle bei den Müttern lebten oder noch leben. Wie dem auch sei: Herr S. hat von Anfang an erklärt, er werde sich selbstverständlich um die Kinder kümmern, das sei er seiner verstorbenen Partnerin und den Kindern schuldig. Auch die älteren Töchter erklärten klar, dass sie bei Herrn S. bleiben wollten. Und bis heute kümmert sich Herr S. mit allen seinen Kräften um die Kinder.

Am Tag nach dem Tod der Mutter besuchte ich zum ersten Mal die Familie; der Sozialdienst der Klinik hatte mich informiert. Die Kinder haben längst eine Vormünderin, Herr S. und die Kinder bekamen einen Familienhelfer und zwar innerhalb einer Woche. (Natürlich tauchte auch die Frage auf: Können wir die beiden Mädchen bei Herrn S. lassen, besteht nicht auch die Gefahr sexueller Übergriffe?)

Die baltischen Behörden wurden über den Internationalen Sozialdienst über das Schicksal der Kinder informiert, haben aber bis heute für die jüngere der beiden keinen Pass ausgestellt – sie verlangen alle nötigen Dokumente mit beglaubigter Übersetzung eines beglaubigten Dolmetschers –, weshalb sie keine gültige Aufenthaltserlaubnis hat, weshalb es Probleme mit der Zahlung der Sozialhilfe gab und weshalb es bis auf weiteres keinen Wohnberechtigungsschein geben kann, weil die Gesetze verlangen, dass dazu eine gültige Aufenthaltserlaubnis vorliegen muss.

Nun ist aber die Wohnung mit drei kleinen Zimmern inzwischen zu eng geworden, denn seit April dieses Jahres wohnt auch noch die 15-jährige Jessica bei Herrn S. Jessica ist eines der 19 Kinder von Herrn S. und auch wenn es unglaublich klingt und in einem Familienroman als furchtbare Übertreibung gelten würde, starb ihre Mutter, bei der sie bis dahin lebte, ebenfalls im Dezember letzten Jahres.

Da die Mutter in einem anderen Bezirk lebte, wurde für Jessica eine andere Vormünderin eingesetzt und sie zunächst in einem Heim untergebracht. Jessica nahm dann nach mehr als 10 Jahren zum ersten Mal wieder Kontakt zu ihrem Vater auf und beschloss sofort, bei ihrem Vater leben zu wollen – gegen die Bedenken aller übrigen Beteiligten, die wie ich davon ausgingen, dass das eigentlich nicht lange gut gehen könnte. Aus diesem Grund bekam Jessica auch einen anderen Sozialarbeiter, der sich in ständiger Absprache mit mir auf sie konzentrieren sollte.

Aber Jessica war in keiner von drei versuchten Einrichtungen mehr zu halten, auch wenn der Vater sie selbst zurückbrachte, lief sie immer wieder weg. Inzwischen wissen wir definitiv, dass es nicht gut geht und sind zusammen mit dem Vater entschlossen, für Jessica eine neue geeignete Einrichtung zu suchen, aber wir scheitern immer noch an Jessicas entschlossenem Widerstand: „Ihr könnt sagen, was ihr wollt, ich bleibe bei meinem Papa!“ Auch eine inzwischen für Jessica eingesetzte Betreuungshelferin, die sie bei der Suche nach einer Einrichtung begleiten soll, brachte noch nicht den gewünschten Erfolg. (Auf Jessica werde ich später noch zurückkommen, weil sich an diesem Tag noch einiges ereignete.)

Außerordentliche Hilfekonferenz
Herr H. bittet um eine außerordentliche Hilfekonferenz wegen Elvis A. Elvis (16) ist ein UMF, ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der also ohne Eltern in Berlin aufgetaucht ist und eine Weile bei seinem älteren Bruder in dessen Familie gelebt hat. Das ging nicht lange gut, der Bruder erklärte, er sei überfordert, Elvis wurde in einem Heim untergebracht und zeigt erhebliche Entwicklungsrückstände in seiner intellektuellen und emotionalen Entwicklung. Die Schule fällt ihm sehr schwer. Elvis ist Roma, er stammt aus Serbien und jetzt taucht das Problem auf, das er nach dem Sitten seiner Sippe heiraten soll. Das werden wir wohl nicht verhindern können; die Erfahrung lehrt, dass unsere Argumente dagegen wenig zählen. Die Frage ist, kann Elvis dann weiter in der Einrichtung leben oder wird er in die Sippe seiner „Ehefrau“ umziehen (wahrscheinlich). Wird er dann ausreichend gefördert? Auch Herrn H. kann ich heute telefonisch nicht erreichen.

Melanie & John
10 Uhr. Hilfekonferenz mit Melanie (17), ihrem 2-jährigen Sohn John, der Großmutter und zwei BetreuerInnen von Melanie. John lebt seit einigen Monaten bei der Großmutter in Pflege, Melanie erhält eine ISE = Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung mit eigener Wohnung. Vorher waren Melanie und John zusammen über ein Jahr lang in einer Mutter-Kind-Einrichtung untergebracht.

Es stellte sich aber heraus, dass Melanie auch mit intensiver Betreuung nicht in der Lage war, sich ausreichend um John zu kümmern: Sie hatte zunehmend John den Betreuerinnen überlassen und ihre schulische Ausbildung vernachlässigt, um sich selbst auf der ständigen Suche nach einem geeigneten Partner (Geborgenheit!) immer mehr zu verlieren. Nachdem sie schließlich tagelang mit John verschwunden war, ohne sich zu melden, auch in der Schule nicht mehr auftauchte, war für alle Beteiligten – Vormünderin Johns, Großeltern, Betreuerinnen, Jugendamt – klar, dass das angestrebte Ziel in absehbarer Zeit nicht zu erreichen wäre: nämlich Melanie zu befähigen, mit Erreichen des 18. Lebensjahres eigenverantwortlich ihr Kind zu versorgen und zu erziehen.

Die Großeltern erklärten sich bereit, John in Pflege zu nehmen (notfalls auch auf Dauer) und Melanie wurde die Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung angeboten.

Ziele:
1. eine Ausbildung oder eine berufsvorbereitende Maßnahme beginnen,
2. auf das Leben in einer eigenen Wohnung mit 18 Jahren vorbereiten,
3. Klarheit über die eigene Lebensplanung entwickeln (mit oder ohne John).

Nichtplanbarer Tagesablauf
Zwischendrin klingelt in schöner Regelmäßigkeit das Telefon. Es ist leise gestellt, damit es nicht zu sehr stört, und mit einem Blick auf die Nummer auf dem Display entscheide ich, ob ich rangehe oder nicht. Meistens gehe ich nicht ran, persönliche Gespräche gehen vor und können nicht ständig unterbrochen werden. Dann schaltet sich der Anrufbeantworter ein, den ich dann bei Gelegenheit abhöre.

Zwischendurch schaut mein Kollege W. zur Tür rein, der für Jessica zuständig ist, weil ich seinen Anruf ignoriert habe. Der Vater hat angerufen und ist jetzt mit Jessica bei ihm, weil sie wieder einmal für längere Zeit und auch über Nacht verschwunden war. Ich bitte meinen Kollegen, mit dem Gespräch zu warten, bis ich mit meinem Gespräch fertig bin. Der Tagesablauf im Jugendamt lässt sich nur bedingt im voraus planen.

Keine Zuverlässigkeit von Melanie
Beinahe täglich passiert Unvorhergesehenes. Dann müssen Prioritäten neu gesetzt werden. Was weniger wichtig ist, muss warten. Die heutige Hilfekonferenz mit Melanie sollte einer Auswertung der Entwicklung der letzten Monate dienen und es zeigte sich, dass Melanie wenig, zu wenig wirklich umgesetzt hatte. Ihre Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz hat sie nur sehr sporadisch durch Fragen beim Bäcker- oder Zigarettenladen wahrgenommen. Sie war weder beim Job-Center noch bei der speziellen Jugendberatungsstelle, die ich ihr empfohlen hatte.

Gespräche mit ihren BetreuerInnen hat sie ebenfalls kaum geführt. Vor allem aber hat sie kaum ihren Sohn bei den Großeltern besucht; die Großmutter hat alle Daten aufgeschrieben und die Besuche haben eher ab- als zugenommen, zu wenig Regelmäßigkeit, zu wenig Zuverlässigkeit. Unter diesen Umständen kann Melanie in absehbarer Zeit ihren Sohn nicht zu sich nehmen. Darauf reagiert sie wie gewohnt: Sie heult: „Ihr macht mich immer nur schlecht, ihr gebt mir keine Chance!“ und verlässt das Gespräch. Wir verbliebenen Helfer vereinbaren ein neues Gespräch in sechs Wochen.

Zehn Minuten Pause. Ich laufe einmal um den Block. Luft holen. Durchatmen.

Medienspektakel um Jessica
11:20 Uhr. Und schon sitze ich im Besprechungszimmer mit Jessica, ihrem Vater, meinem Kollegen W. und dem Leiter unserer Arbeitsgruppe. Jessica war vom vergangenen Freitag bis Samstag wieder einmal verschwunden. Der Vater fand sie in der Nachbarschaft, umgeben von einer Schar Jungs mit arabischer Herkunft. Er traute sich nicht, sie da wegzuholen, befürchtete handgreifliche Auseinandersetzungen, rief deshalb die Polizei und ließ sie zum Kindernotdienst bringen, wie es vorher mit uns besprochen worden war.

Rückblende: 5. 10., 14 Uhr. Jessicas Betreuerin ruft an (der für Jessica zuständige Kollege hat Urlaub): Jessica sei am Abend zuvor von drei Jungs mit einem schwarzen Auto entführt und dann in einem Wald vergewaltigt worden. Die Jungs hätten sie gegen Morgen zurückgebracht. Jessica hätte sich nicht nach Hause getraut, sei in der Gegend herumgeirrt und habe sich schließlich im Büro der Betreuerin gemeldet. Jetzt sitze sie zu Hause und dort drehe gerade RTL einen Bericht, der abends um 18 Uhr bei „RTL-Explosiv“ gesendet werden solle.

Ich rufe sofort bei Jessicas Vater an. Er ist aufgeregt, bestätigt die Angaben. Ja, die Polizei war da, hat Jessica angehört. Jetzt macht RTL ein Interview mit Jessica in ihrem Zimmer. Ich kann es kaum glauben. Wie haben die denn davon erfahren? Herr S. meint, irgendeiner seiner Bekannten, die er angerufen habe, als Jessica verschwunden war, hätte wohl die „BZ“ („die waren auch schon da“) und RTL informiert. Ich bitte Herrn S., mir den Reporter ans Telefon zu holen. Ich frage den Herrn, ob er glaube, dass es angebracht sei, in einer solchen Situation mit einem 15-jährigen Mädchen ein Interview zu machen. Ich hielte das für geradezu pervers. „Das sehe ich anders ... Interesse der Öffentlichkeit usw.“

Immer wenn man jemanden braucht
Ich informiere den Reporter, dass Jessica eine Vormünderin habe und er kein Interview ohne deren Einverständnis machen dürfe. Ich gebe ihm die Telefonnummer der Vormünderin und bitte ihn, dort anzurufen. Ich würde jetzt ebenfalls sofort die Vormünderin anrufen und sie veranlassen, ihre Zustimmung zu verweigern. Ich rufe bei der Vormünderin an, sie nimmt nicht ab. Ich rufe ihren Vertreter an, er nimmt nicht ab. Die Zeit drängt. Ich rufe die Leiterin der Vormundschaft an. Die Vormünderin ist zu einem Hausbesuch. Die Leiterin wird sie telefonisch informieren. Ich rufe die Betreuerin an. Sie soll sich heute um Jessica, ihren Vater und die drei anderen Kinder kümmern, beruhigen. Wenn sie Hilfe braucht, soll sie anrufen.

Ich rufe die Kripo an: Der zuständige Kollege ist bereits unterwegs in der Gegend und ermittelt. Ich informiere meinen Chef. Der beauftragt mich, sofort die wesentlichen Fakten aufzuschreiben und ein Fax an den Fachbereichsleiter zu schicken, wegen RTL und Öffentlichkeit. Ich schreibe in aller Eile das Nötigste zusammen und verschicke das Fax.

Gegen 17 Uhr ruft die Vormünderin an: Der Reporter habe sie nicht angerufen. Daraufhin habe sie selbst bei RTL in der Redaktion angerufen und auf die Rechtslage hingewiesen. Sie habe noch keine Rückmeldung erhalten und könne nicht sagen, ob der Beitrag gesendet würde oder nicht. Der Kripobeamte ruft an: Ja, er hat mit Jessica gesprochen. Es ist alles nicht so eindeutig, wie es scheint.

Die "wichtigen Fragen"
Er will Jessica in einigen Tagen noch einmal befragen, wenn sie zur Ruhe gekommen ist. Jetzt ist er unten auf der Straße und befragt Kinder aus der Nachbarschaft: „RTL ist auch da, die drehen jetzt hier unten auf der Straße. Alle wissen schon Bescheid und reden von der angeblichen Vergewaltigung.“ Na, wunderbar, das wird sicher eine Spitzenstory für RTL. Der Fachbereichsleiter ruft an, will wissen, was da auf uns zukommt, ob er den Stadtrat informieren muss.

Die „wichtigen“ Fragen muss er gar nicht direkt stellen, ich höre sie sozusagen zwischen den Zeilen, schließlich bin ich Sozialarbeiter: „Haben wir Fehler gemacht? Können die uns am Zeug flicken?“ Ich meine, nein, jedenfalls keine gravierenden Fehler. Wir sind seit langem ganz nah dran an der Familie und an Jessica. Wir haben die Diagnose einer Kinder- und Jugendpsychiaterin, wonach Jessica lernbehindert ist und am Rande einer geistigen Behinderung steht.

Jessica in Gefahr
Wir wissen aus unseren Gesprächen mit mir, dass sie ihre eigene Situation nicht realistisch einschätzen kann, in einer Welt lebt, die von ihren Wunschvorstellungen geprägt wird und die problematische Wirklichkeit weitgehend ausblendet. Wir wissen, dass sie Situationen nicht richtig einschätzen kann und deshalb potenziell gefährdet ist, wenn sie sich draußen mit anderen einlässt, insbesondere mit männlichen Jugendlichen.

Wir sind uns mit dem Vater einig, dass er sich nicht adäquat um sie kümmern kann und dass sie besser in einer betreuten Einrichtung mit hoher Betreuungsintensität leben sollte, aber Jessica wehrt sich bisher mit Händen und Füßen dagegen, will unbedingt bei ihrem Vater bleiben. Gegen ihren Willen können und wollen wir sie nicht unterbringen und einen entsprechenden Gerichtsbeschluss konnten wir bisher nicht mit Aussicht auf Erfolg beantragen; dafür müssen schwerwiegende und konkrete Hinweise auf eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegen. Und selbst wenn wir einen solchen Beschluss bekommen, wird sie voraussichtlich für ein paar Tage oder maximal Wochen in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung aufgenommen und dann wieder entlassen.

Damit wird das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben.

Ich sehe zu, dass ich um 18 Uhr zu Hause bin und sehe mir „RTL-Explosiv“ an. Kein Bericht über Jessica. Ich bin erleichtert. Stattdessen ein Bericht über einen sogenannten „Starfotografen“ der gerade sehr rüde zwei 15-jährige Mädchen dazu bewegen will, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen und ihnen bedeutet, wenn sie sich so prüde verhielten, werde das nie was mit ihrer Karriere.

Zurück in die Gegenwart: Jessica hat ein dickes blaues Auge: „Ich hab’ noch mehr blaue Flecke.“ Sie zeigt ihre Oberarme, voller blauer Flecke: „Die haben mich da getreten.“ Mehr wollen wir jetzt nicht sehen. Jessica gibt an, sie sei von anderen Mädchen geschlagen und getreten worden, „wegen Jungs“. Mehr will sie darüber nicht erzählen. Jessica bleibt dabei: „Ich will in kein Heim. Ich will bei meinem Papa bleiben. Sonst bringe ich mich um.“ Wir bleiben auch dabei: „Wir machen uns Sorgen, denn so bringst du dich selbst immer wieder in Gefahr. Deshalb werden wir eine Einrichtung suchen, die dich schützen kann und von wo aus du deinen Papa regelmäßig besuchen kannst, in der Nähe von Berlin.“

Wir wissen, dass wir Jessica nicht überzeugen können, alles hängt davon ab, dass wir zusammen mit dem Vater beharrlich und geduldig dabei bleiben, vor allem, dass der Vater beharrlich bleibt, in ihr keine neuen Erwartungen weckt, sie könne ihn doch wieder herumkriegen, sie weiter bei sich zu behalten.

Auf der Suche nach geeigneter Hilfe für Jessica
Das ist schwer für den Vater, aber er gibt sich große Mühe. Wir vereinbaren: Jessica kann noch eine Woche beim Vater bleiben, damit wir Zeit haben, geeignete Einrichtungen zu finden. Die kann sie sich dann zusammen mit ihrer Betreuerin ansehen und bei der Entscheidung mitarbeiten. In dieser Woche darf sie ohne Begleitung des Vaters nicht das Haus verlassen. Sie muss auch nicht zur Schule (da könnte sie leicht wieder verschwinden). Wir wissen: Es wird schwer sein, die geeignete Einrichtung zu finden.

Jessica braucht eine besonders enge Betreuung, da ist die Auswahl nicht groß. Wir wissen auch: Alles hängt davon ab, ob sich dort eine Betreuerin findet, bei der es bei Jessica klick macht, mit der sie eine tragfähige Beziehung aufbauen kann. Jessica: „Lasst mich doch endlich in Ruhe. Kümmert euch lieber um meine Schwester. Die hat drei Kinder, jedes von einem anderen Vater, und ist mit denen hier in die Gegend geflüchtet, weil das Jugendamt in xxx ihr die Kinder wegnehmen wollte.“ Der Vater bestätigt das. Jessica kennt nicht die genaue Adresse, wo ihre Schwester sich jetzt bei irgendwelchen Bekannten aufhalten soll; sie weiß auch nicht, wo genau sie vorher gewohnt hat. Ich nehme die Jessica bekannten Daten auf und werde später beim Jugendamt in xxx anrufen, um zu klären, ob an der Geschichte ernsthaft etwas dran ist.

Zum Schluss bitten wir den Vater noch, gleich mit Jessica zur Ärztin des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes zu gehen, damit ihre Verletzungen diagnostiziert und dokumentiert werden. Der Vater ist einverstanden. Es ist zu überlegen, gegen die Mädchen eine Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten.

13.30 Uhr. Mittagspause. Am Nebentisch unterhalten sich zwei offenkundige Mitarbeiter einer Bundesbehörde darüber, wie sie Steuern sparen: „Ist doch ganz einfach, Mensch. Ich bin mit erstem Wohnsitz bei einer Freundin in Bonn gemeldet. Da kann ich jeden Monat eine Heimfahrt absetzen.“

14 Uhr. Meine Kollegin L. bittet mich, an einem Krisengespräch teilzunehmen. Sie hat heute Tagesdienst, kümmert sich also um alles, was neu hereinkommt. Ich bin heute ihr Vertreter und habe daher die Aufgabe, sie bei Bedarf zu unterstützen. Sie hat telefonisch und per Fax eine Meldung des Kindernotdienstes erhalten. Es geht um Pawell (3 Jahre) und Justyna (3 Monate):

Meldung des Kindernotdienstes
„ ... wurden die o. g. Geschwister durch den Polizeiabschnitt xx in den Kindernotdienst gebracht. Eine Inobhutnahme wurde notwendig, da die Kindeseltern stark alkoholisiert und nicht in der Lage waren, die Kinder adäquat zu versorgen.

Hintergrund:
Die Eltern sind seit 6 Monaten ohne festen Wohnsitz. Die noch aktuelle Meldeadresse ist in der xxx. Aktuell hatte die Familie Unterschlupf bei einem alkoholkranken Bekannten gefunden. Nach einem Trinkgelage kam es am heutigen Abend zu Streitigkeiten und der Bekannte verwies die Familie seiner Wohnung. Er holte die Polizei zu Hilfe. Laut Polizeibericht waren alle anwesenden Erwachsenen sehr stark alkoholisiert. Die Wohnung sei in einem stark verwahrlosten Zustand gewesen.

Vereinbarung:
Die Kinder werden durch den Kindernotdienst in Obhut genommen... Die Kindesmutter ist darüber informiert.“

Meine Kollegin hat die Eltern für 14 Uhr eingeladen und ich nehme an dem Gespräch teil. Solche Gespräche führen wir grundsätzlich zu zweit. Die Mutter kommt pünktlich, ihr Partner ist nicht dabei: „Er mußte zum Zahnarzt.“ Die Mutter, etwa Mitte 20, hat eine frische Narbe an Kinn: „Ich bin hingefallen. Seit die Kinder weg sind, habe ich nichts mehr gegessen.“

Nein, so stimmt das nicht, wie es im Polizeibericht und in der Nachricht des Kindernotdienstes steht. Sie waren gar nicht betrunken, höchstens ein bißchen. Es war einfach so, dass ihr Bekannter sie nach einem Streit loswerden wollte und sie nicht wussten, wohin. Da hat er die Polizei gerufen. Der Bekannte hat eine Ein-Zimmer-Wohnung, da haben sie die letzten Monate gewohnt. Er hat unten geschlafen, sie zu viert auf dem Hochbett. Ja, sie sind noch in einer Wohnung in der Nähe gemeldet, die haben sie aber verloren, die wurde gekündigt, da wohnen sie nicht mehr.

Seit drei Jahren leben sie in Berlin, sind aus Polen gekommen, wohnen mal hier, mal da bei Bekannten. Arbeit oder sonst wie festes Einkommen haben sie nicht, Verwandte unterstützen sie finanziell. Sie wollte sich hier selbständig machen – die sogenannte Scheinselbständigkeit - und arbeiten, irgendwas, da kam die neue Schwangerschaft dazwischen, das Kind war nicht geplant. Beide Kinder wurden hier geboren. Deshalb war sie mit den Kindern schon öfter bei einer Kollegin vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst.

Sie sind ja nun EU-Bürger, da brauchen sie keine Aufenthaltserlaubnis mehr. Sozialhilfe bekommen sie aber auch nicht, krankenversichert sind sie hier nicht, Kindergeld haben sie beantragt, ist aber noch nicht entschieden. Wie es jetzt weitergehen soll? Ja, das weiss sie im Moment auch nicht. Sicher, sie wollen sich jetzt eine neue Wohnung suchen, jetzt sind sie wieder bei anderen Bekannten, aber das ist auch nicht auf Dauer. Ja, sie ist einverstanden, dass die Kinder erst mal im Notdienst bleiben, bis ausreichend klar ist, wie es weitergeht. Wir geben ihr die Adresse, damit sie die Kinder besuchen kann.

Wir teilen ihr mit, dass in zwei Tagen in unserer Teamsitzung entschieden wird, wer von uns sich weiter um sie und die Kinder kümmern wird. Vorher werden wir bei der Kollegin vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst nachfragen, welchen Eindruck sie hat. Alle neuen Fälle werden einmal wöchentlich in der Teamsitzung verteilt, im Idealfall nach den besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen der KollegInnen und nach der jeweiligen aktuellen Belastung. Besonders schwierige Fälle werden grundsätzlich zu zweit bearbeitet, idealerweise von einer Frau und einem Mann.

Der Druck steigt spürbar
Bei 14 Frauen und vier Männern ist das nicht immer möglich. Durch die gemeinsame Fallverteilung wissen alle über alle Fälle wenigstens das Nötigste. So können wir kollegial für eine einigermaßen gleichmäßige Belastung sorgen. In letzter Zeit, seit dem Tod von Kevin in Bremen, häufen sich Meldungen von Familienangehörigen, Nachbarn, Kitas, Schulen, Polizei. Allen Meldungen muss umgehend nachgegangen werden, meistens durch Hausbesuche zu zweit. Manchmal geht das einfach nicht zu zweit, dann muss eine(r) alleine los. Der Druck steigt spürbar, alle sind angespannt. Es wird immer schwieriger, neue Fälle zu verteilen, weil alle das Gefühl haben, die Grenze ihrer Belastbarkeit längst erreicht zu haben.

15 Uhr. Ich bin müde, erschöpft. Ich muss unbedingt noch im Jugendamt xxx anrufen, ob Jessicas Schwester dort bekannt ist. Ich versuche es drei mal unter drei verschiedenen Telefonnummern, erreiche niemand, auch nicht den Bereitschaftsdienst. Das dürfte eigentlich nicht sein. Ich muss es morgen wieder versuchen.

Unser Tagesdienst ist für Anrufe und für Besucher täglich von 9 bis 16 Uhr besetzt, donnerstags von 12 bis 18 Uhr. Danach sind in Berlin die Notdienste für Kinder und Jugendliche rund um die Uhr erreichbar.

Da liegt noch die Post von heute: Das Vormundschaftsgericht bittet um einen Bericht über die Geschwister M. aus dem Baltikum, die bei Herrn S., Jessicas Vater, leben. Dafür werde ich mir irgendwann zwei bis drei Stunden Zeit nehmen müssen. Der Stadtrat hat den „Prüfbericht“ für H., einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling aus Vietnam, unterschrieben. Das bedeutet, der Junge kann für ein weiteres Jahr in einem Heim betreut werden, sofern er nicht zwischenzeitlich von der Ausländerbehörde abgeschoben wird.

Keine Jugendhilfe ohne bürokratische Prüfung
Jede Jugendhilfe muss inzwischen, je nach Höhe der Kosten, vom Stadtrat, vom Leiter des Jugendamtes oder vom Fachbereichsleiter geprüft und genehmigt werden. Gelegentlich kommen Rückfragen, ob die Hilfe tatsächlich notwendig ist. Das macht zusätzlich Arbeit, dann muss noch mal eine Extrabegründung geschrieben oder die Akte vorgelegt werden. Monatlich bekommen wir die aktuellen Zahlen über unser Budget. Demnach liegen wir ständig über dem Limit, geben zu viel Geld aus. Als würden sich die Notlagen nach unserem Budget richten. Die Leistungsstelle teilt mit, dass die schulische Nachhilfe für M., der im Heim lebt, bewilligt wurde. Für K., einen weiteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, schickt die Feuerwehr eine Rechnung für einen Transport ins Krankenhaus. Die Senatsverwaltung teilt mit, dass für die 16-jährige und hochschwangere A., ebenfalls unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, der zufolge sie mit ihrem Baby in einer bestimmten Einrichtung leben und betreut werden kann. Ein Kollege bittet mich, eine kolumbianische Mutter, die kein deutsch spricht, mit einem auf spanisch geschriebenen Brief auf die Hilfemöglichkeiten des Jugendamtes hinzuweisen. Mache ich doch gerne, wenn ich mal Zeit habe, ist mal was anderes.

Ach, und da ist noch ein Brief, VERTRAULICH, der meine Gehaltsabrechnung enthält: Vergütungsgruppe IVb, Steuerklasse I, 0,5 Kinder, macht nach 25 Jahren im öffentlichen Dienst:
Euro 1.598,50 netto, Tendenz: sinkend. So viel ist der Gesellschaft meine Arbeit wert.

Liegengeblieben ist, wie meistens, der Schreibkram. Schliesslich muss ich meine Arbeit dokumentieren, Vermerke, Berichte, Stellungnahmen, Hilfepläne, Befürwortungen schreiben. Es gibt Hilfen, die so dringend waren, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, die dafür eigentlich notwendigen Hilfepläne zu schreiben.

Erst die Kinder, dann die Akten
Unter den zahlreichen Zeitungsartikeln, die sich in den letzten Wochen mit dem Jugendamt beschäftigt haben, ist mir eine Überschrift besonders aufgefallen: Erst die Kinder, dann die Akten. 16.30 Ich kann jetzt keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich könnte keinen einzigen Satz mehr vernünftig zu Papier bringen. Zeit, Feierabend zu machen.

Vielleicht kommen ja mal wieder ruhigere Zeiten.
 

18. April 2007, carechild

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