FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Erfahrungsbericht / Jahrgang 2005

 

Über die Rückführung eines Pflegekindes

Von Heidrun Michel

 

Noch heute bin ich Pflege- und Adoptivmutter von insgesamt drei Kindern. Leider habe auch ich die traurige Erfahrung der Rückführung eines Kindes gemacht und möchte darüber berichten.

Zu Beginn des Jahres 1992 bekamen mein (früherer) Ehemann und ich, die schon eine 3½-jährige Pflegetochter hatten, ein weiteres Pflegekind, einen Jungen im Alter von ca. 6 Monaten. Die Eltern von Patrick, ein Mann weit über die 40 und eine junge Frau von Anfang 30, lebten zuvor gemeinsam mit dem Jungen in einer Einraumwohnung. Der Mann war Alkoholiker und die Frau psychisch krank und sehr labil. Die Herausnahme des Kindes aus der Familie erfolgte wegen Vernachlässigung des Jungen. Während eines Krankenhausaufenthaltes des lebergeschädigten Mannes, war die Frau nicht mehr im Stande, das Kind einigermaßen zu versorgen. So bekam ich ein halb verhungertes, sehr gestörtes Kind, das ich in den kommenden Monaten aufpäppelte. Der Kontakt zu den leiblichen Eltern wurde von vornherein gepflegt.

Es wurde zu meiner Enttäuschung sehr schnell klar, dass die Eltern das Kind zurückbekommen würden, weil sie alles darauf setzten und auch wussten, was man tun und sagen musste, um eben beim Jugendamt das Richtige zu sagen. Der Kontakt meines Mannes und mir zu den leiblichen Eltern war recht friedlich. Bei einem gemeinsamen Gespräch aller Beteiligten beim Jugendamt gelang es den Eltern dann ohne weiteres, das Jugendamt davon zu überzeugen, dass eine baldige Rückführung angedacht war.

Die Hochzeit der Eltern war schon geplant. Das Jugendamt machte zu meinem Erstaunen den Eltern keinerlei Auflagen, z.B. - erst einmal für eine bessere Wohnung zu sorgen, - den Mann in eine Entziehungskur zu schicken, - die Frau psychisch wirkungsvoll zu behandeln, um eine Wiederholung zu vermeiden usw. Es war für uns lediglich „dummes Geschwafel“ und wir als Pflegeeltern sahen schon die Gefahr, dass eine Rückführung nicht unbedingt erfolgreich sein müsste. Wir sahen uns chancenlos, dagegen anzugehen, fanden uns aber damit ab und wollten im Sinne des Kindes mit den Eltern zusammen arbeiten. Außerdem besorgte ich der Familie dann eine größere Wohnung. Es gelang uns, mit den Eltern einen guten Kontakt herzustellen und diesen auch nach der Rückführung beizubehalten.

Wir hatten nun die einmalige Gelegenheit zu sehen, was mit dem Kind weiter geschieht. Der kleine Patrick kam zurück zu den Eltern. Nach 8-monatiger Pflege bei uns hatte er sich sehr an unsere günstigen Familienumstände gewöhnt. Unsere Tochter war auch sehr traurig, ihren kleinen Bruder zu verlieren. So freuten wir uns über regelmäßige Besuche.

Nach einigen Wochen hatten wir die Gelegenheit, einen fast gleichaltrigen Jungen als Pflegekind zu bekommen. So nahmen wir den kleinen Timo sehr glücklich auf. Die beiden Jungen hatten in nächster Zeit regelmäßigen Kontakt. Die leiblichen Eltern waren auf diese Art und Weise auch friedlich gestimmt und hatten keine Angst, wir würden Patrick wieder bekommen. Aber die ersten schwarzen Wolken kamen in Sicht. Obwohl sie nun viel besser wohnten und auch finanziell gar nicht so schlecht dastanden, begann der Mann wieder verstärkt zu trinken. Zu allem Übel wurde die Frau wieder schwanger. Damit war die Katastrophe vorprogrammiert. Die Beiden waren mit dem Jungen schon stark überfordert, das war überall deutlich zu spüren. Den ganzen Tag über lief der Fernseher. Der Junge schlief und aß, wann er wollte. Nachts turnte er herum. Noch hochschwanger, musste die Frau den Jungen, der mittlerweile 2 Jahre alt war, herumschleppen. Erziehungsmäßig waren sie vollkommen überfordert und der Umgang mit Patrick war nicht kindgemäß.

Durch die Geburt des zweiten Kindes verschlechterte sich diese Situation noch mehr. Mein Mann holte die Mutter aus dem Krankenhaus ab, weil der Vater sich um so etwas nicht kümmerte. Das Baby machte der Familie zu schaffen, vor allem der Frau, die mehr und mehr von ihrem trinkenden Mann allein gelassen wurde. Sie vertraute sich uns an und wir wendeten uns ans Jugendamt mit der Bitte, das Schlimmste zu verhindern. Die zuständige Sozialfürsorgerin kam dann auch prompt zu einem Besuch. Doch anstatt einfühlsam zu intervenieren, erzählte sie den Eltern, dass sie von uns benachrichtigt wurde, mal nach dem Rechten zu sehen, und zerstörte somit das Vertrauensverhältnis zwischen den leiblichen Eltern und uns in einem dummen Satz. Der Kontakt war danach nicht mehr derselbe.

Trotzdem ließen wir es uns nicht nehmen, die Beziehungen wieder in Gang zu bringen. Wir wollten doch wenigstens das Schlimmste verhindern helfen. Ein halbes Jahr später erfuhren wir, dass die Frau an Krebs litt, den sie einfach ignorieren wollte. Wir standen ihr noch einige Zeit bei, so gut es ging. Dann starb sie. Nur wenige Wochen danach starb auch ihr Mann an seiner Alkoholkrankheit. Obwohl der Mann bei der Beerdigung seiner  Frau schon offensichtlich von seiner Krankheit gezeichnet war, unternahm das Jugendamt nichts, die Kinder anderweitig unterzubringen. Sie lebten mit einem fast ständig betrunkenen Mann zusammen, der mehrere Blutstürze erlebte und dann schließlich starb.

Die Kinder waren nun „frei“. Zunächst gab es da die Restfamilie, die die Kinder schnell aufnahm, aber dann doch nicht richtig wollte. Dann suchte das Jugendamt eine Adoptivfamilie. Wir waren die ersten Ansprechpartner. Wir hätten die Kinder sofort als Pflegekinder genommen. Doch als Adoptivkinder konnten wir sie nicht ohne weiteres aufnehmen, weil mein Ehemann und ich (ich hatte gerade meine Prüfung als Lehrerin bestanden) beide noch keine Anstellung hatten. Wir hatten schon zwei Kinder als Pflegekinder, für zwei weitere Kinder hätten wir die Wohnung wechseln müssen. In unserer finanziell unsichereren Situation war uns dies nicht möglich.

Die Kinder kamen dann in eine andere Adoptivfamilie, die in der Nähe von Freunden wohnt. Ich habe – Gott sei Dank – immer nur das Beste gehört und erfahren, dass es ihnen sehr gut geht. Darüber bin ich sehr glücklich. Ich hatte immer ein sehr schlechtes Gewissen, dass wir die Kinder nicht mehr aufgenommen hatten. Aber es war trotzdem für uns die richtige Entscheidung. Wir sind überzeugt davon, dass man Patrick die Rückführung hätte ersparen müssen, weil das Scheitern der Eltern vorprogrammiert war.

s.a. Zur Problematik der Rückführung von Pflegekindern (Voruntersuchung der Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien, C. Malter)

 

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