FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2002

 

Die Wustrauer Forderungen

 

Vorbemerkung: Im Spiegel 41/2002 wird der Jugendpsychiater Prof. Dr. Blanz aus Jena zitiert:
„Geschlossene Heime bräuchten wir für unter 14-Jährige, aus denen sie nicht abhauen können, nicht um zu strafen oder sie wegzusperren, sondern um Defizite auszugleichen und ein paar Werte zu vermitteln.“
Es gibt viele, die sich geschlossene Heime wünschen, aber meistens aus einer ganz anderen, nämlich aus der law-and-order-Ecke. Prof. Blanz steht mit seinen pädagogischen und therapeutischen Motiven aber nicht allein. Unterbringungsmöglichkeiten in geschlossenen Einrichtungen aus Sorge um die Kinder und Jugendlichen fordert auch der Verband Anwalt des Kindes (VAK):
„Bei Kindern und Jugendlichen, bei denen Suchterkrankungen oder Verwahrlosung bereits soweit fortgeschritten sind, dass sie sich freiwillig keiner wie auch immer gearteten Therapie zu ihrer Gesundung stellen, müssen geeignete Einrichtungen zur Verfügung stehen, in denen sie zumindest vorübergehend festgehalten werden können, um die Voraussetzungen für therapeutische Maßnahmen erst zu schaffen.“
Im folgenden stellen wir die ’Wustrauer Forderungen’ des VAK im Gesamtzusammenhang zur Diskussion.
K. E. (Okt. 2002)


Richter und Richterinnen sowie Staatsanwälte und Staatsanwältinnen bringen ihre Betroffenheit zum Ausdruck und verlangen grundlegende Änderungen im Bereich des Familien- und Jugendrechtes.

"Kriminelle Kinder/Kinderkriminalität als Aufgabe auch für Familiengerichte - Ursachen und Lösungsmöglichkeiten"

war im September 2000 das Thema einer einwöchigen Tagung der Deutschen Richterakademie für Richter und Staatsanwälte in Wustrau.

Schon zu Beginn der Tagung war eine große Unzufriedenheit der Teilnehmer deutlich.

Verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen wird von den dafür zuständigen Behörden - so die eigene Erfahrung aus der täglichen Praxis - nicht oder nur mehr oder weniger zufallsabhängig die konkrete Hilfe gewährt, die tatsächlich im Einzelfall auch geeignet ist, sie vor einem weiteren Abgleiten in Verwahrlosung und Kriminalität zu bewahren.

Die einmütig verabschiedete Feststellung am Ende der Tagung:

"Die Entwicklungen im Kinder- und Jugendbereich haben zu Zuständen geführt, die nicht verantwortbar sind. Der Schutz des Kindes verlangt die Vermeidung widersprüchlichen Verhaltens staatlicher Institutionen und Kommunen.

Polizei, Gericht, Jugendamt, Sozialamt, Schule und Kindereinrichtungen arbeiten getrennt voneinander teilweise sogar gegeneinander. Ihr Handeln ist zum Wohle des Kindes zusammenzuführen."

Die beteiligen RichterInnen und StaatsanwältInnen wollten es nicht bei dieser Aussage, mit der zunächst nur das "Jammertal" - als unzureichend empfundener - gesetzlicher Rahmenbedingungen beweint wird, belassen. Sie nutzten die Zeit und haben konkrete Forderungen zur Änderung dieser Bedingungen verabschiedet.

Der Verband Anwalt des Kindes e.V. Potsdam , der auf dieser Tagung durch seinen Präsidenten Richter am Amtsgericht Hans-Christian Prestien vertreten war, unterstützt diese Forderungen. Erläuterungen zu diesen, aus der Sicht des Verbandes Anwalt des Kindes e.V. wichtigsten Forderungen, mögen hilfreich sein, Missverständnissen vorzubeugen.

".........Folgendes ist zu veranlassen...“

- im Bereich des Gerichts

1. In Umsetzung der UN – Kinderkonvention ( Artikel 9,18) ist § 613 ZPO dahingehend zu erweitern, dass der Lebensmittelpunkt und Umgangskontakte der Kinder (Beziehungssituation) zu klären sind

2. Folge der Nummer 1 muss ein entsprechender Gebührentatbestand für Anwälte sein

3. gleichwertige Vergütung des Verfahrenspflegers mit den Interessenvertretern der Erwachsenen

4. staatliche Qualifikation des Familienrichters durch Fortbildung in pädagogischer und kindespsychologischer Hinsicht analog dem Fachanwalt für Familienrecht

5. Schaffung des Kindschafts- und Jugendrichters in Personalunion ( Erziehungsrichter“)

6. Pflicht zur Einbeziehung der Erkenntnisse der Familiengerichte durch die Staatsanwaltschaft bei JGG – Verfahren

- im Bereich der Jugendhilfe:

1. Bundeszuständigkeit für die Sicherstellung der Jugendhilfeaufgaben durch die Jugendämter (Organisation/Finanzierung )

2. Berichtspflicht von Polizei, Sozialamt, Schule und Kindereinrichtungen gegenüber dem Jugendamt, bereits wenn Kinder auffällig werden, in der Konsequenz auch Änderung des § 50 Abs. 3 SGB VIII

3. Realisierung der Trennung von Jugendhilfe und Führung von Vormundschaften/ Pflegschaften durch Gewinnung ehrenamtlicher Vormünder/Pfleger entsprechend dem Verfahren bei der Gewinnung von Jugendschöffen ( § 53 Abs. 1 SGB VIII )

4. im Jugendhilfeverfahren Einrichtung einer dem Verfahrenspfleger entsprechenden Person zur Wahrung der Interessen des Kindes ( z.B. bei Teamentscheidungen )

5. Einrichtung einer besonderen Abteilung bei den Jugendämtern als Familiengerichtshilfe entsprechend der Jugendgerichtshilfe

6. Anordnungen der Gerichte sind von den Jugendämtern umzusetzen und zu finanzieren

7. Erweiterung der tatsächlichen Unterbringungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen in geschlossenen Einrichtungen ( zur Zeit nur 137 Plätze in Deutschland!)

Dieser Forderungskatalog wurde allen Justizministern der Länder und dem Bundesjustizministerium mit der Bitte um Beantwortung bis April 2001 zugestellt.

Die Antworten aller Ministerien liegen vor und können in der Geschäftsstelle angefordert werden.

Im Bereich des Gerichts

1. In Umsetzung der UN-Konvention zum Schutz der Kinderrechte (Artikel 9,18) ist §613 ZPO dahingehend zu erweitern, dass Lebensmittelpunkt und Umgangskontakte der Kinder (Beziehungssituation) zu klären sind.

2. Folge von Nr. 1 muss ein entsprechender Gebührentatbestand für Anwälte sein.

Diese Gesichtspunkte erscheinen als fast untergeordnete Einzelheiten Regelungen, die geeignet sind, den Blick für das Kind in den Scheidungsverfahren zu schärfen. Sie haben allerdings so lange Bedeutung, solange die vorstehenden zentralen NOT-wendigkeiten nicht erfüllt sind. (Schaffung besonderer Abteilungen für Kinder- und Jugendangelegenheiten /Ausbildung).

Im Scheidungsverfahren ist danach gesetzlich sicherzustellen, dass Richter und Anwälte sich auch tatsächlich den gelebten oder derzeit nicht mehr lebbaren Beziehungen der Kinder zuwenden, statt die Frage der elterlichen Sorge lediglich formal abzuhandeln.

3. Gleichwertige Vergütung des Verfahrenspflegers mit den Interessenvertretern der Erwachsenen

Mit dem Vertreter der Kindesinteressen = “Verfahrenspfleger” ist eine Figur in das Rechtssystem eingeführt worden, das den Anschein erweckt, als wolle der Gesetzgeber mit dem Schutz des Kindes in gerichtlichen Verfahren Ernst machen.

Bei genauerem Hinsehen kommen dem fachkundigen Betrachter nagende Zweifel:

Der Gesetzgeber meint, dass eine Vertretung für Kinder schon allein mit dem gesunden Menschenverstand eines Laien möglich erscheint, im Grundsatz offenbar ehrenamtlich und wenn, ausnahmsweise berufsmäßig, dann nur gegen geringes Entgelt gewährleistet werden kann.

Falls jemand doch berufsmäßig es wagt, Kinder im Einzelfall zu vertreten, wird er obendrein lange auf die  ohnehin gering bemessene Entlohnung warten müssen. Bis zu 1 Jahr und mehr ist offenbar keine Seltenheit.

Über Ausbildungsvoraussetzungen der "Anwälte des Kindes" schweigt das Gesetz.

Jeder Eingeweihte weiß jedoch: Um das Kind sachgerecht vertreten zu können, bedarf es des gleichen Anforderungsprofils im Hinblick auf die persönliche Kompetenz, wie es oben für die Person des Kindschafts- und Jugendrichters gezeichnet worden ist.

Für alle Erwachsenen wird qualifizierter Rechtsschutz in Form von Rechtsanwälten notfalls auf Staatskosten bei allen auch nur materiellen Streitigkeiten zur Verfügung gestellt. Jeder Bürger soll danach in die Lage versetzt werden, sein Recht bei Gericht in bestmöglicher Form behaupten und durchsetzen, in rechter Form das Gericht zum Handeln zu seinen Gunsten  veranlassen zu können.

Bei den Kindern sieht dies offenbar anders aus:

Ob sein Vertreter weiß, mit welchen Mitteln er das Gericht, zum Schutz des Kindes, in Anspruch nehmen kann, welche Anträge mit welcher Begründung zielführend sind, ob seine Berichte im Einzelfall zum Konfliktabbau beitragen oder das Gegenteil bewirken, und wie die Sprache des Kindes überhaupt in die Erwachsenensprache übersetzt werden kann; all das scheint noch dem bloßen Zufall überlassen.

Das Kind, das sich seinen schlecht bezahlten und unausgebildeten Vertreter nicht einmal selbst aussuchen kann, genießt somit offenbar einen anderen, weil erheblich geringeren Stellenwert, als die durch einen Konflikt betroffenen erwachsenen Bürger dieses Landes.

Damit aber wird es auch daran gehindert, dem oft nicht besonderes qualifizierten Richter zu ermöglichen, von seinen Machtmitteln in erster Linie zum Schutz des Familiensystems als Ganzes Gebrauch zu machen, statt einzugreifen und Elternrechte aufzusplitten oder zu beschneiden und somit notgedrungen zum Zerfall familiärer Bindungen und Beziehungen beizutragen.

War das beabsichtigt?

Wenn nicht, bedarf es einer umgehenden Aufwertung dieser für die Familie und damit Gesellschaft so wichtigen Position:

  • Die Honorierung muss den Anwaltshonoraren mindestens vergleichbar sein.
  • Klare Zugangsvoraussetzungen für diesen Beruf müssen festgeschrieben werden.
  • Der Einsatz darf nicht von dem Richter abhängig sein, dessen Arbeit nicht  zuletzt auch der Kontrolle   des Anwalts des Kindes unterliegt.
  • Der Verfahrenspfleger muss als eigenständige freie Institution der Jugendhilfe im Gesetz verankert  und damit entsprechend gefördert und begleitet werden.

4. Staatliche Qualifikation des Familienrichters durch Fortbildung in pädagogischer und kindespsychologischer Hinsicht analog dem Fachanwalt für Familienrecht

Der einzelne Familienrichter ist derzeit zuständig für die Eheauflösung, für Unterhaltsstreitigkeiten, Fragen der Zuweisung der Wohnung und des Hausrates, Ausgleich des erworbenen Vermögens und der Rentenanwartschaften. All dies betrifft Auseinandersetzungen von Erwachsenen um im wesentlichen materielle Dinge. Sie machen den weit überwiegenden Teil der anfallenden Akten aus.

Fragen der elterlichen Sorge, der Aufrechterhaltung von oftmals für die psychische Gesundheit der Kinder entscheidenden Beziehungen zu Eltern-, Großeltern- Stiefelternteilen, Pflegeeltern oder Geschwister verlangen nach einem grundlegend andersartigen Vorgehen als bei der richterlichen Entscheidung über materielle Ansprüche Erwachsener. Während dort ein endgültiger Rechtsspruch für Klarheit und Rechtsfrieden sorgen mag, wird durch richterliche Entscheidungen, die zu einem Sieger- und Verlierer- Verhältnis der Eltern führen, allzu oft die ohnehin durch Trennung belastete Beziehung des Kindes zu ein zu einem erwachsenen wichtigen Bindungspartner überlastet und auch zerstört.

Durch die gesetzliche Entscheidung ist der Konflikt der Eltern oft nicht nur nicht gelöst, sondern verfestigt sich weiter und wird das Kind gewissermaßen auf Dauer zwischen

"Feindeslager" gestellt, zum Schauspielern und oft letzten Endes zum Verzicht auf die Beziehung zu einem für das Kind wichtigen Beziehungspartner gezwungen. Das Kind wird damit allzu oft um eine unbeschwerte Kindheit gebracht.

Der Richter, der in erster Linie dem Kind und der Familie als Ganzes verpflichtet ist müsste:

ཉ  in der Lage sein, sich innerlich von den oft durch die anwaltliche Vertretung  verstärkten Auseinandersetzungen der Erwachsenen um ihre eigenen Interessen an der eigenen „materielle“ Zukunftssicherung  zu distanzieren,

ཉ  erkennen, wann das Kind in Wahrheit von den Erwachsenen zum Faustpfand zur Durchsetzung von z.B. Unterhaltsansprüchen gemacht wird,

ཉ  müsste um Konfliktverläufe und -dynamik bei den Auseinandersetzungen der Erwachsenen wissen

ཉ  müsste um Entwicklungsverläufe und Risiken für die psychische Gesundheit der Kinder in den unterschiedlichen Altersstufen wissen,

ཉ  müsste mit dem Ziel der Konfliktbegrenzung und - auflösung im Interesse des Kindes verhandeln können,

ཉ  müsste wissen , zu welchem Zeitpunkt welche Einwirkung richterlicher Macht vorläufig oder endgültig am ehesten geeignet ist, das Kind vor Schaden zu bewahren,

ཉ  müsste pädagogisch kompetent sein, wenn er auf Antrag der Eltern "sie bei der Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben unterstützen soll (§ 1631 Abs. 3) und

ཉ  müsste von sich aus für das Kind andere Verfahren eröffnen, wenn er z. B. durch eine Unterbringungsgenehmigung für ein Kind von dessen Not und Bedürftigkeit im Hinblick auf eine möglicherweise objektiv falsche Sorge- oder Umgangssituation, in die das Kind eingebunden ist, erfährt.

Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter werden nur auf die Menschheit losgelassen, wenn sie durch ein besonderes längeres Studium und Prüfungen entsprechende Fähigkeiten nachweisen können.

Aus welchem sachlichen Grund kann der Staat davon ausgehen, dass ein gelernter Jurist, der in seiner Ausbildung gelernt hat, Gesetze zu deuten und auf Streitigkeiten von Erwachsenen anzuwenden, über all diese Fähigkeiten ohne zusätzliche Ausbildungsgänge verfügt ?

Dass davon tatsächlich nicht ausgegangen werden kann, dürften allein die Zahlen einer Sondererhebung 1994/1995 zu der Frage belegen, welche Richter in Brandenburg beispielsweise bei Ihren Entscheidungen über die Scheidung es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen haben. Der prozentuale Anteil der Scheidungsverfahren, die mit der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge endeten, deutet auf gravierende Unterschiede der Einstellung und Arbeitsweise der in den jeweiligen Gerichtsbezirken handelnden RichterInnen hin.

Landesweit schwanken die Zahlen zwischen 6,5% (Sachsen-Anhalt) und 23,6 % (Saarland).

Im Land Brandenburg betrugen die Anteile prozentual in den einzelnen Gerichtsbezirken:

Bad Liebenwerda

4,3% LG-Bezirk Cottbus

Cottbus

20,1

Guben

0,0

Lübben

2,4

Senftenberg

0,0

Bernau

12,5 LG-Bezirk Frankurt/Oder

Bad Freienwalde

3,3

Eberswalde

4,3

Eisenhüttenstadt

22,4

Frankfurt/Oder

9,3

Fürstenwalde

5,6

Schwedt

4,2

Strausberg

1,4 LG-Bezirk Neuruppin

Neuruppin

0,0

Oranienburg

11,9

Perleberg

1,6

Prenzlau

9,3

Zehdenick

0,0

Brandenburg /Havel

19,0 LG-Bezirk Potsdam

Königs-Wusterhausen

14,9

Luckenwalde

4,1

Nauen

18,4

Potsdam

14,7

Rathenow

65,7

Zossen

5,2

5. Schaffung des Kindschafts- und Jugendrichters in Personalunion (Erziehungsrichter)

Gewaltbereitschaft, und sonstige strafrechtlich bedeutsamen Auffälligkeiten bei Jugendlichen, sind allzu oft ein "Hilfeschrei" des Kindes, mit dem es auf Störungen seiner familiären Beziehungen aufmerksam macht, die nicht allein durch jugendgerichtliche Maßnahmen, sondern nur, oder auch, durch familienrichterliche Intervention behoben werden können.

Wie aber sehen die Möglichkeiten der Justiz aus, beide Interventionsmöglichkeiten im Blick zu behalten und flexibel mit der jeweils richtigen Intervention das Kind oder den Jugendlichen vor Wiederholungszwängen zu bewahren ?

Von einzelnen Ausnahmen abgesehen ist der mit dem "Fall" befasste Jugendrichter eine andere Person als die, die das Amt des Familienrichters wahrnimmt. Zwar ist auch Jugendrecht in erster Linie "Erziehungsrecht" und nur dann Jugendstrafrecht, wenn die erzieherischen Mittel versagen.

Wie aber kann familienrichterliche Intervention im Einzelfall den ihr gebührenden Vorrang vor im Einzelfall zu weitgreifenden und damit weiter stigmatisierenden Sanktionen des Jugendrichters erhalten, wenn es bei den beiden Seiten ein und derselben Medaille unterschiedliche Antwortgeber gibt, die beide nicht entsprechend zielgerichtet ausgebildet sind, allzu oft auch sonst keinerlei Verbindung zueinander haben und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln operieren ?

Die Konsequenz muss sein:

Gesetzlich ist sicherzustellen, dass bei den Amtsgerichten besondere Abteilungen für Kindschafts- und Jugendsachen gebildet werden und den hier eingeteilten Richtern alle Verfahren zugeordnet werden, die sowohl Fragen der elterlichen Sorge im weitesten Sinn als auch alle Jugendverfahren nach dem JGG betreffen. Von allen anderen Konfliktfeldern sind diese Richter freizuhalten.

Zu Nr. 4 und 5)

Nur entsprechend aus- und fortgebildete Vertreter des Staates, deren gesamte arbeitsmäßige Konzentration dem Kind und der Familie als Ganzheit zugewandt ist, sind in der Lage, dem Kind in seiner konkreten Notsituation gerecht zu werden. Die gleichzeitige im Übermaß bestehende Verpflichtung des Familienrichters, über ganz andere Interessen streitenden Erwachsenen gerecht zu werden, muss ihn geradezu hindern, sich in der gebotenen Sorgfalt dem Kind zuzuwenden.

6. Pflicht zur Einbeziehung der Erkenntnisse der Familiengerichte durch die Staatsanwaltschaft bei JGG Verfahren

Im Bereich der Jugendhilfe

1.Bundeszuständigkeit für die Sicherstellung der Jugendhilfeaufgaben durch die Jugendämter (Organisation/ Finanzierung)

Dies wird wohl eine, wenn auch wünschenswerte, Utopie bleiben.

Bundesgesetzliche Zuständigkeit für klare Rahmenbedingungen der Organisation und Finanzausstattung der Jugendämter, soweit sie die Felder Familien- und Jugendgerichtshilfe betrifft, würde vermeiden helfen, dass manche Verpflichtungen zwar auf dem Papier stehen, ihre Verwirklichung aufgrund von unzureichender personeller, oder finanzieller Ausstattung der Ämter allzu schnell dem Rotstift der Kommunen zum Opfer fallen.

2. Berichtspflicht von Polizei, Sozialamt, Schule und Kindereinrichtungen gegenüber dem Jugendamt, bereits wenn Kinder auffällig werden, in der Konsequenz auch Änderung des §50 Abs. 3, SGB VIII.

Gerade in den sich häufenden Fällen von Schulverweigerung wird deutlich, dass oft zu lange zugewartet wird, bevor das Gericht mit seinen weiterreichenden Möglichkeiten zur Ermittlung und Behebung der Ursachen eingeschaltet wird. Nach einer längeren Dauer der Schulverweigerung ist das Kind oder der Jugendliche nicht oder nur noch mit unverhältnismäßigem Aufwand zur Ausnutzung der bestehenden Bildungschancen zu bewegen.

Sein geistiges Wohl ist massiv gefährdet, ohne dass etwas geschieht.

Häufig bleiben Informationen der Schule bei den Schulämtern oder bei den Jugendämtern hängen, ohne dass das Gericht davon in Kenntnis gesetzt wird.

§50 Abs. 3 SGB VIII ist dahin zu ergänzen, dass diese Fälle zugleich von den Schulen auch unmittelbar den Gerichten zu melden sind. Gleiches gilt bei Kinderdelinquenz im Hinblick auf polizeiliche Berichtspflichten.

3. Realisierung der Trennung von Jugendhilfe und Führung von Vormundschaften/Pflegschaften durch Gewinnung ehrenamtlicher Vormünder/Pfleger entsprechend dem Verfahren bei der Gewinnung von Jugendschöffen (§ 53 ,Abs.1, SGB VIII)

Das Gesetz sieht im Falle der Vormundschaft vor, dass Privatpersonen zu Vormündern bestellt werden sollen.

Die Amtsvormundschaft ist ausdrücklich nachrangig und soll nur eintreten, wenn solche Personen nicht gefunden werden.

Die Praxis sieht genau umgekehrt aus.

Es muss darum gehen, gezielt Vorgaben des Gesetzes zu etablieren, wie Privatvormünder für Kinder gefunden werden können. Die Wustrauer Forderung dazu zeigt eine von sicher mehreren denkbaren Möglichkeiten auf.

4. Im Jugendhilfeverfahren die Einrichtung einer dem Verfahrenspfleger entsprechenden Person zur Wahrung der Interessen des Kindes ( z.B. bei Teamentscheidungen)

Wie kann begründet werden, warum es die parteiliche Kindesvertretung in Verwaltungsverfahren der Jugendhilfe anders als vor Gericht nicht geben soll?

Sind die SozialarbeiterInnen des Jugendamtes z.B. im Hilfeplanverfahren weniger als die Richter in der Gefahr, für das Kind oder die Familie wichtige Gesichtspunkte unberücksichtigt zu lassen. Sind die Maßnahmen, die oft zur Vermeidung sonst drohender Gerichtsverfahren den Eltern nahegebracht und zur Zustimmung unterbreitet werden von vornherein als die RICHTIGEN anzusehen?

Warum hat das Kind im Konzert seiner oft hilf- und sprachlosen Eltern und der Fachkräfte des Jugendamtes keine wirksame eigene Stimme - auch dann nicht, wenn es um Herausnahme und Dauerpflege und um Regelung seiner weiteren Beziehungen zu den Eltern geht?

Und wie verträgt sich dies mit der Vorgabe der UN- Konvention zum Schutze der Kindesrechte, in der auch für das Verwaltungsverfahren eine geeignete Interessenvertretung gefordert wird ?

Auch hier ist nachzubessern!

5. Einrichtung einer besonderen Abteilung bei den Jugendämtern als Familiengerichtshilfe, entsprechend der Jugendgerichtshilfe

Es ist sicherzustellen, dass speziell kompetente Fachkräfte der öffentlichen Jugendhilfe die gesetzlich bereits verankerte Verpflichtung der Jugendhilfe zur Unterstützung des Familiengerichts wahrnehmen (§ 50 SGB VIII).

Wegen der sachlichen Nähe und Verbindung zur Jugendgerichtshilfe (s. o.) sollte dies in enger Verzahnung oder gar in Personalunion mit der Jugendgerichtshilfe organisiert sein.

6. Anordnungen der Gerichte sind von den Jugendämtern umzusetzen und zu finanzieren

Es kann nicht sein, dass der im Verhältnis zu den Eltern einzige Machthaber, der regulierend in Rechtsstellungen eingreifen kann und muss, tatenlos zusehen muss, wenn Anordnungen, die gezielt zur Abwendung weiterreichender Eingriffe (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) von den Jugendämtern als Kompetenzüberschreitung angesehen und letzten Endes nicht ausgeführt werden.

7. Erweiterung der tatsächlichen Unterbringungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen in geschlossenen Einrichtungen ( z. Zt. nur 137 Plätze in Deutschland!)

Bei Kindern und Jugendlichen, bei denen Suchterkrankungen oder Verwahrlosung bereits soweit fortgeschritten sind, dass sie sich freiwillig keiner wie auch immer gearteten Therapie zu ihrer Gesundung stellen, müssen geeignete Einrichtungen zur Verfügung stehen, in denen sie zumindest vorübergehend festgehalten werden können, um die Voraussetzungen für therapeutische Maßnahmen erst zu schaffen. Sie sich wie bisher mangels geeigneter Einrichtungen sich selbst zu überlassen, kommt nach Auffassung des Verbandes Anwalt des Kindes einer Körperverletzung durch Unterlassen, zumindest einer unterlassenen Hilfeleistung sehr nahe. Im Gesetz sind die Voraussetzungen für eine aus diesen Gründen notwendige geschlossene Unterbringung klar zu definieren und von den Fällen rein psychiatrischer und damit medizinischer Indikation abzugrenzen.

Dem Verband Anwalt des Kindes geht es darum, dass diese Forderungen keine Utopie bleiben und strebt entsprechende Gesetzesänderungen an.

Ausführungen von
Hans-Christian Prestien
Präsident des VAK

Bundesgeschäftsstelle: Pappelallee 44, 1469 Potsdam, Tel.:0331-7400721

Die Wustrauer Forderungen in einer aktualisierten Version (Oktober 2002) als Word Dokument downloaden

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