FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2007

 

Frage zur Auflösung der Heimplätze in Halle an
die Bundestagsabgeordnete Pieper (FDP)
die Bundestagsabgeordnete Riemann-Hanewinckel (SPD)
den Bundestagsabgeordneten Dr. Bergner (CDU)
die Bundestagsabgeordnete Sitte (Linke)

 

 

Sehr geehrte Frau Pieper,
sehr geehrte Frau Riemann-Hanewinkel
sehr geehrter Herr Dr. Bergner
sehr geehrte Frau Sitte

unter
www.sueddeutsche.de haben Sie bestimmt schon den Beitrag zum Plan gesehen, Kinder aus Heimen massiv zu den Herkunftseltern zurückzuführen. Dazu habe ich einige Fragen:

Wie ist diese Entscheidung aus Ihrer Sicht mit dem Kindeswohl vereinbar?
Wie ist diese Entscheidung mit dem Schutzauftrag des Staates aus Artikel 6 der Verfassung vereinbar?
Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage erfolgt die Annahme, daß mit dieser Maßnahme Kostensenkungen verbunden sein könnten? (Langfristig, Sozialisierung usw.)
Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu?
Wie wollen Sie in Ihrem Wahlkreis ggf. auf politischer Ebene Einfluß nehmen?

Mit freundlichen Grüßen
Axel Symancyk
(politischer Beauftragter des Landesverbandes KiAP, Schleswig-Holstein)

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Antworten:

Sehr geehrter Herr Symancyk,

die an mich gerichteten Fragen bezüglich der Diskussion über die umstrittene Richtlinie "Hilfe zur Erziehung" der Stadt Halle (Saale) beantworte ich hiermit gerne folgendermaßen:

Wie Sie als ein am Thema Interessierter sicherlich bereits mitbekommen haben, stellt sich die Situation am heutigen Tage bereits etwas anders dar, als zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie mir Ihre Fragen geschickt haben.

Die umstrittene Richtlinie bzw. Dienstanweisung wird nun auf Geheiß der Oberbürgermeisterin überarbeitet und bekommt eine neue Zielsetzung. So soll jetzt künftig eine kontinuierliche Überprüfung der Hilfepläne für die Kinder und Eltern formuliert werden, mit der Intention die Situation in den Familien insgesamt zu verbessern.

Ich habe in der Sache in den vergangenen Wochen Rücksprache mit Kollegen der FDP-Ratsfraktion in Halle gehalten. Bei der "Hilfe zur Erziehung" (HzE) handelt es sich um eine Pflichtaufgabe der Stadt und somit Verwaltungshandeln. Entsprechende Dienstanweisungen unterliegen also nicht der Vorlagepflicht gegenüber dem Stadtrat. Das hat in der Folge dazu geführt, dass auch viele Kommunalpolitiker erst über Medien bzw. Ditte von der "Rückführung aller Kinder" erfahren haben. Ein bedauerlicher Umstand, der aber erst einmal weit davon entfernt ist ein Skandal zu sein- was das Procedere angeht!

Die Aussage, Kinder müssten aus finanziellen Gründen in zerrüttete oder gar für sie gefährliche Familien zurückkehren, ist empörend und sicher auch rechtlich im Zweifelsfall nicht tragbar. Meine persönliche Meinung ist auch, das zwar Kinder sofern möglich natürlich bei ihren Eltern und in ihrer Familie aufwachsen sollen, aber natürlich nicht um jeden Preis oder gar zu ihren eigenen Lasten, das entspräche auch einem merkwürdigen Begriff von Fürsorge und Erziehung. Die FDP in Halle hat dies im zuständigen Fachausschuss zum Ausdruck gebracht.

Die Stadt Halle bzw. die Oberbürgermeisterin hat andererseits aber auch dargelegt, dass selbstverständlich Einzelfallprüfungen erfolgen und es bei entsprechend problematischen Familien keine Rückführung dorthin gibt, sondern eine Betreuung in Pflegefamilien den Vorrang hat. In sehr schweren Fällen wird die Heimunterbringung beibehalten, was nebenbei gesagt, so oder so für ein Kind auch wiederum eine nicht unerhebliche Belastung darstellt.

Auf der anderen Seite geht es auch darum Geld zu sparen, sofern es zu verantworten ist. Die Frage ist eben schon, warum- so zumindest die Stadt- die Kosten für Heimunterbringungen um das 5-fache angestiegen sind und ob deswegen Pflegefamilien nicht eine sinnvolle Alternative darstellen. Man kann und darf natürlich auch im sozialen Bereich sparen. Die Politik ist allen gegenüber verantwortlich, auch denen, die das Geld für Soziales aus ihren Steuergeldern und anderen Abgaben überhaupt erst bezahlen.

Es darf nicht dazu kommen, dass Kinder durch eine Rückführung leichtfertig Verwahrlosung oder Vernachlässigung ausgesetzt werden. Das betone ich nochmals ausdrücklich. So wie es jetzt aussieht, ist den ursprünglichen Plänen einiges an Brisanz genommen worden. Ich gehe aber davon aus, dass die Parteien im Stadtrat- darunter die FDP- die Entwicklung aufmerksam beobachten werden.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre

Cornelia Pieper
MdB, FDP

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Sehr geehrter Herr Symancyk,

vielen Dank für Ihre Frage. Als direkt gewählte Abgeordnete für die Stadt Halle(Saale) beobachte ich das Geschehen in meiner Heimatstadt nicht nur sehr aufmerksam, sondern pflege selbstverständlich vielfältige Kontakte und informiere mich auf allen mir zur Verfügung stehenden Ebenen. Deshalb habe ich nicht erst aus der Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung von der Problematik erfahren, die Sie ansprechen.

Vielleicht wissen Sie, dass ich bei der Erarbeitung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes Anfang der 90er Jahre im Bundestag aktiv mitgewirkt habe, an einem Gesetz, dass das Kindeswohl zum zentralen Ziel aller an der Kinder- und Jugendhilfe beteiligten Stellen erklärt.

In den vergangenen 17 Jahren wurde in Halle ein Netz ambulanter und stationärer Hilfen etabliert, dass den Anforderungen des KJHG gerecht wird. Unter Berücksichtigung aller relevanten Sozialdaten liegen die finanziellen Aufwendungen für die Hilfen zur Erziehung in Halle im bundesweiten Vergleich etwa im Mittelfeld.

Umso mehr hat es mich überrascht, als ich von einer Dienstanweisung erfuhr, die die "Rückführung" fast aller in stationären Einrichtungen betreuten Kinder und Jugendlichen in ihre Familien innerhalb eines Zeitraumes von vier Wochen anweist. Ich habe mit einigen Heimträgern in Halle Kontakt aufgenommen und mir deren Sicht der Dinge vortragen lassen, und ich habe meine Beurteilung des Vorgangs den zuständigen Personen in der halleschen SPD und Stadtverwaltung zur Kenntnis gegeben. Ich gehe davon aus, dass die Dienstanweisung nicht umgesetzt wird. Denn auch künftig muss und wird die Entscheidung, welche Hilfeform im konkreten Einzelfall richtig, notwendig und anzuwenden ist, nach sorgfältiger Bewertung aller individuellen, familiären und sozialräumlichen Faktoren in jedem einzelnen Fall im vollen Bewusstsein der Verantwortung für das Kindeswohl getroffen werden, so wie es im KJHG geregelt ist.

Das "Wohl der öffentlichen Kassen" ist in diesem Zusammenhang nachrangig.

Mit freundlichen Grüßen

Christel Riemann-Hanewinckel
MdB, SPD

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Sehr geehrter Herr Symancyk,

die nicht nur durch Ihre Frage gekennzeichnete überregionale Aufmerksamkeit besteht völlig zu Recht, wenngleich man der Stadt Halle keinesfalls den Vorwurf machen kann, sie würde zu wenig Heimkapazität vorhalten. Das Problem ist anders:

Früher wurde eher zuviel auf Heimbetreuung gesetzt, jetzt versucht die Oberbürgermeisterin, die in der Vergangenheit den Ausbau dieser Heimstätten durchsetzte, aus Kostengründen kurzfristig umzusteuern. Es geht aber um die Heimstatt und Bindung von Kindern, da ist Kontinuität erforderlich.

Inzwischen hat sich der Streit über die geplanten Einschnitte bei der Heimerziehung im Stadtrat von Halle deutlich entspannt. Das Hauruckverfahren wurde gestoppt.

Es soll nun, die fraktionsübergreifend unstrittige Umorientierung von stationärer zu ambulanter Hilfe mit Sorgfalt und unter Einbeziehung aller Beteiligten schrittweise umgesetzt werden.

Wie die hallesche CDU-Fraktion schon in ihrer Presseerklärung betont, ist die Stadtverwaltung aufgefordert: "...jahrelange Versäumnisse nicht mit kurzfristigem Aktionismus kompensieren zu wollen..." und weiter heist es: "...Der notwendige Umbauprozess braucht Zeit und Augenmaß. Finanzielle und zeitliche Vorgaben stellen aus Sicht der CDU-Fraktion dabei kein Dogma dar. Oberste Priorität muss im Zweifel immer die Sicherung des Kindeswohl haben!...".

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph Bergner
MdB, CDU

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Sehr geehrter Herr Symancyk,

Fragen des Kindeswohls sind immer Einzelfallentscheidungen, da die ganz persönliche Situation des betroffenen Kindes und dessen Familie im Mittelpunkt stehen. Zwar sollten Kinder in geeigneten Fällen wieder mit den Eltern zusammenkommen, wenn die Gründe für einen Heimaufenthalt weggefallen sind, aber eine pauschale Dienstanweisung, Heimkinder wieder in die Familien zurückzuführen – möglicherweise sogar entgegen richterlichen Sorgerechtsentscheidungen – halte ich für rechtswidrig und unverantwortlich. Die Dienstanweisung des Jugendamtsleiters, auf die hier Bezug genommen wurde, verletzt den gesetzlich festgelegten Pflichtauftrag der Jugendhilfe zur Wahrung des Kindeswohls u.a. deshalb, weil in einer Zeit von 4 Wochen eine fachliche Beurteilung der notwendigen Hilfe für die Kinder nicht gewährleistet werden kann. Insbesondere in Fällen des Sorgerechtsentzugs spielt auch Artikel 6 GG eine wesentliche Rolle, da zwar die Eltern für die Erziehung der Kinder verantwortlich sind, der Staat jedoch über die über die Erfüllung dieser Aufgabe zu wachen hat.

Auch fiskalische Gründe dürfen kein vordergründiges Kriterium bei Jugendhilfeentscheidungen sein. Im Jugendhilfeausschuss der Stadt Halle und im entsprechenden Unterausschuss wurden inzwischen mehrere Fachgespräche zur Thematik geführt und deutliche Kritik an der Dienstanweisung geübt.

Im Übrigen wurde ein Fachkonzept entwickelt, pro-aktive Systeme in den Sozialräumen der Stadt aufzubauen, in denen durch eine ganzheitliche Sichtweise auf die Probleme von Familien eingegangen werden kann. Eine engere Zusammenarbeit von Kita, Schule, ASD, öffentlichen und freien Trägern soll so gefördert werden, dass Hilfen präventiv zur Anwendung kommen. Stationäre Hilfen wird es dennoch auch in Zukunft geben! Da ich selbst auch in Halle Stadträtin bin, werde ich mit den Mitgliedern meiner Fraktion beraten, welche Schritte bei der Umsetzung des Fachkonzepts notwendig sind. Dazu gehören aus meiner Sicht:

- Kontinuierliche Beratung zur Thematik HzE im Jugendhilfeausschuss
- Abstimmung konkreter Handlungswege zur Abwendung von Kindeswohlgefährdung
- Ständige Aktualisierung der Umsetzungsstrategie des Fachkonzepts
- Beteiligung der kommunalen Mandatsträger an den Fachkonferenzen.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Sitte
MdB, Linke

 

s.a. Jugendamt will Kosten sparen

 

 

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