FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2001

 

Erfahrungen mit vernachlässigten und misshandelten Kindern in sozialpädagogisch und psychotherapeutisch betreuten Pflegefamilien

Bericht über die Fortbildungsveranstaltung am 16.9.2000 mit Prof. Dr. K. Eberhard

von Bernd Geyer

 

Vorbemerkung: Bernd Geyer ist Pflegevater im fränkischen Bayern. Er und seine Frau haben einen sehr aktiven, kritisch autonomen Pflegeelternkreis aufgebaut. Dort erlebten Gudrun und Kurt Eberhard im vorjährigen Herbst eine Fortbildungsveranstaltung, die von hoher Arbeitsintensität und kämpferischem Engegement für die Interessen der Pflegekinder getragen war.
C.M. (Okt. 01)


Prof. Dr. Eberhard (Dipl.Psych.) und seine Frau Gudrun Eberhard (Rechtsanwältin und Soz.-Päd.) gestalteten einen interessanten und aufschlussreichen Tag, indem sie über Grundlagen, Perspektiven und Konsequenzen aus ihrer Erfahrung im Intensiv-Pädagogischen-Programm (IPP) der Berliner Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie berichteten:

Hohe emotionale und intellektuelle Anforderungen an Erzieherinnen und Erzieher (Pflegeeltern) im Umgang mit schwer psychisch geschädigten Kindern erforderten eine gründliche Infragestellung der gegenwärtigen Ausbildung für Erzieherinnen und Pflegeeltern, zeigten sich doch in eigenen Beobachtungen und den Ergebnissen der internationalen Effizienzforschung kaum Unterschiede zwischen professionellen und unausgebildeten Erziehungskräften hinsichtlich ihrer Sozialisationskompetenz. Zur Begleitung und Ausbildung der Pflegeeltern / ErzieherInnen wurden vom IPP andere Wege gesucht.

Obwohl herkömmliche Konzepte der Wissens- und Theorievermittlung verlassen werden mussten, konnte dieser Weg nicht ohne den Rückgriff auf grundsätzliche erkenntnistheoretische Erwägungen eingeschlagen werden.

Die phänomenologische Frage erfordere ein hohes Maß an Bereitschaft und Fähigkeit zur unvoreingenommenen und differenzierten Beobachtung ohne wissenschaftliche Voreingenommenheit und diese sprachlich einzuordnen und auszudrücken.

Die kausale Frage erfordere einen theorieübergreifenden Vorrat an Kausalhypothesen und die Entwicklung problemzentrierter Erklärungsvermutung sowie die Bereitschaft, diese in der Praxis zu überprüfen und zu korrigieren. Man solle sich freimachen von durch Modeströmungen beeinflussten Theorien.

Die aktionale Frage verlange ein weniger intellektuell geführtes Handeln, sondern vielmehr intuitiv, einfühlendes Verstehen der Problemsituation und Phantasie für praktische Handlungshypothesen.

Aktionsforschung vereine die übliche Trennung von Theorie und Praxis, die Beteiligten erlebten das Geschehen im Rahmen kollektiver Reflexionen (Diskurse) und gelangen so zu phänomenalen, kausalen und aktionalen Hypothesen, die ihre Glaubwürdigkeit aus kommunikationsoptimierenden und erkenntnisförderlichen Gesprächsformen sowie aus der kritisch beobachteten Praxis erlangen.

Grundlegende Erkenntnisform der Aktionsforschung ist die Hermeneutik, d. h. die Lehre des Deutens und Verstehens. Voraussetzung hierfür seien jedoch wichtige Kommunikationsregeln für die Aktionsforschungsdiskurse, die etwa alle 2 - 3 Wochen stattfinden.

Diese Treffen seien der Ort für die Analyse von Erziehungsproblemen und gegenseitiger Selbstreflexion. Das antidogmatische Theorieverständnis des Projekts bringe es mit sich, dass wissenschaftliche Texte kaum eine Rolle spielten, vielmehr fänden Märchen, Mythen und Fabeln eine wesentliche Rolle. So entstand eine Sammlung von Fabeln, die häufige Erziehungsprobleme und erprobte Lösungsangebote in Fabeln statt in Theorien fasst, die sich auch in Gesprächen mit den Pflegekindern bewährt haben.

In der Solidarität mit allen Beteiligten im IPP fühle sich jeder für Erfolg und Misserfolg verantwortlich.

Erfahrungen [aus einer Umfrage in den Pflegeeltern-Seminaren]:

Pflegeeltern mit den Kindern
Die Arbeit mit Pflegekindern ist schwieriger als vorhergesehen; Pflegeeltern knüpften schnell an Erfahrungen mit den eigenen Kindern an. Es sei eine Illusion, dass man dem Pflegekind nur Liebe geben müsse; mangelnde Liebesfähigkeit mache eine konsequente Haltung erforderlich, jede Nachgiebigkeit und eigene Schwäche werde ausgenutzt. Die Kinder müssen erleben, dass die Pflegeeltern um die Kinder kämpften, sie müssen spüren, dass jemand bereit ist, sich auf sie einzulassen.

Seelische Schäden seien kaum reparabel; es sei als Aufgabe anzusehen, den Kindern den Umgang mit ihren Störungen zu erleichtern, aber die Zielvorstellungen, was mit den Kindern erreicht werden kann, müssten stark zurückgeschraubt werden.

Beim Versuch der Pflegekinder, eine Vater-Mutter-Kind-Illusion aufzubauen, lebten sie ihre Wut und Verzweiflung über die leiblichen Eltern an den Pflegeeltern aus, während die Eltern idealisiert würden.

Pflegeeltern
Pflegeeltern werden selbstkritischer, sind gezwungen, völlig neue Konzepte und Verhaltensweisen auszuprobieren, man müsse lernen, eigenen Erfahrungen zu trauen und sich nicht durch Kommentare von anderen verunsichern zu lassen.

Pflegekinder sind eine existenzielle Herausforderung, die einen an die eigenen Grenzen bringen kann; man muss lernen flexibler zu werden und Lust daran verspüren, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen.

Pflegeeltern und Herkunftsfamilie
Erfahrungen beschreiben sich sehr unterschiedlich. Bei den meisten Kindern bestünden überhaupt keine Kontakte, nur in einem einzigen Fall des IPP entwickelte sich eine auf Dauer gelungene Kooperation mit der Mutter. Besuchsabsprachen wurden sehr unzuverlässig eingehalten, der Besuchwunsch entspringe nicht der elterlichen Liebe, sondern Schuldgefühlen, dem Wunsch, selbst geliebt zu werden.

Gelegentliche, nicht zu frühe Besuchkontakte würden dem Kind helfen, ein realistisches Bild der Eltern aufzubauen. Die Kontakte lassen aber auch krankhafte Fixierungen wiederaufleben und führen zu Beunruhigung und Angst. Jugendämter seien oft unsachkundige Bündnispartner der Eltern.

Pflegeeltern und Schule
Schule sei nur unzureichend auf psychisch geschädigte Kinder vorbereitet. Der schulische Anspruch auf Bildung und Ausbildung sei immer wichtiger als die notwendige emotionale und soziale Entwicklung. Die Anforderungen der Schule an Anpassung und Konzentration überfordern die Kinder und wirken gegen die Arbeit der Pflegefamilie. Außerdem erwarte Schule die Unterstützung der Pflegeeltern bei Hausaufgaben und der üblichen Normenerwartung. Mit zunehmender Zeit werden die Pflegeeltern für die Störungen der Kinder verantwortlich gemacht.

weitere Beiträge im Kontext:
Therapeutisches Programm für Pflegekinder (TPP)
Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (Lehrbuch)
Aktionsforschung als Grundlage der Pflegeelternausbildung
sozialpädagogische Fabeln

 

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