FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2005

 

Initiative für eine Gesetzesänderung zur Beseitigung
des dauerhaften Unsicherheitsstatus des Pflegekindes

von Rechtsanwalt Peter Hoffmann, Hamburg

 

Vorbemerkung: Die gesetzliche Regelung und die Realität fallen auseinander:
Das Pflegekindschaftsverhältnis ist gesetzlich nach wie vor als „Institution auf Zeit“ angelegt. In der Realität verbleiben jedoch 60% der Pflegekinder bis zur Volljährigkeit in der Pflegefamilie - und damit meist in einem dauerhaften Unsicherheitsstatus, der mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist.

Wenn der Status nicht wenigstens durch Übernahme der Vormundschaft durch die Pflegefamilie abgesichert ist (was nur in wenigen Fällen gelingt), gibt es immer wieder auch nach langjährigen Aufenthalten und entsprechenden Bindungen der Kinder Streitigkeiten um Herausnahme bzw. Verbleib der Kinder in der Pflegefamilie. Eine rechtliche Absicherung dieses unsicheren Status gibt es - außer der selten möglichen Adoption durch die Pflegeeltern - nicht.

Eine derartige dauerhafte Unsicherheit ist mit dem Kindeswohl nicht vereinbar.

Ziel der Initiative ist eine Gesetzesänderung, die eine zivilrechtliche Umsetzung des § 37 Abs. 1 S. 4 KJHG ermöglicht.

Dies bedeutet: Als Regelfall soll ein dauerhafter Verbleib nach Ablauf des in § 37 KJHG bezeichneten Zeitraums rechtlich abgesichert werden; nur als Ausnahmefall kann nach Ablauf dieses Zeitraums noch eine Rückführung in Betracht kommen.

 

I. Der Status der Pflegekinder: Kinder in dauerhafter struktureller Unsicherheit!
   Ist dieser Status noch mit dem Kindeswohl vereinbar?

In unserer seit Jahrzehnten entwickelten Rechtsordnung steht in Konfliktfällen zwischen Herkunftseltern, Pflegeeltern und Kindern das Kindeswohl (und nicht das Elternrecht) als entscheidender Faktor im Zentrum der Betrachtung. Wenn das Kindeswohl es erfordert, hat das Elternrecht zurückzutreten.

Man muss sich vergegenwärtigen, wie die Position der Pflegekinder tatsächlich ausgestaltet ist, um die Frage beantworten zu können, ob dieser Status mit dem Kindeswohl noch vereinbar ist, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass diesem Status noch weitere Unsicherheiten, wie sie sich aus der Rechtsprechung des EuGHMR1 ergeben, hinzugefügt werden.

  1. Pflegekinder haben den labilsten, schwächsten, unbeständigsten, perspektivisch unklarsten und unsichersten Status, der unserer Rechtsordnung im Kindschaftsrecht bekannt ist.

    Es handelt sich bei dieser Unsicherheit um das strukturell angelegte Grundproblem des Pflegekindes. Die intensive Befassung mit dieser Problematik drängt die Frage immer mehr in den Vordergrund, ob ganz grundsätzlich der Status eines Pflegekindes, wenn er denn über eine Kurzzeitpflege hinausgeht, durch die strukturell bedingte Unsicherheit überhaupt mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

    Zwischen der »stets offenen Rückkehroption«, der Regelung, dass die Pflegefamilie nur als »Institution auf Zeit« angelegt sei, auf der Ebene des Zivilrechts/Familienrechts einerseits und andererseits der Forderung des Gesetzgebers auf sozialrechtlicher/jugendhilferechtlicher Ebene nach Entwicklung einer dauerhaften Perspektive des Kindes, wenn innerhalb des am Kindeswohl zu orientierenden Zeitraums die Bedingungen in der Herkunftsfamilie nicht so verbessert werden können, dass das Kind zurückgeführt werden kann, § 37 Abs. 1 S. 4 SGB VIII, liegt eine Diskrepanz, die nach wie vor ungeklärt und ungelöst ist und die das Dasein von Pflegekindern massiv belastet.

    Aus dieser ungelösten Diskrepanz folgen Rechtsstreitigkeiten um Herausgabeansprüche von Herkunftseltern und exzessive Ausweitungen von Umgangskontakten bei Kindern, die sich bereits 4, 6 oder 8 Jahre lang in Pflegefamilien befinden und deren dort gelungene Sozialisation dadurch immer wieder in Frage gestellt wird, meist mit sehr negativen Folgen für die Entwicklung des Kindes durch die damit verbundene massive Verunsicherung.

    Hinzu kommt die dem Kindeswohl außerordentlich abträgliche dauerhafte Verstrickung des Kindes in die rechtlichen und tatsächlichen  Auseinandersetzung zwischen den Pflegeeltern und Herkunftseltern um erhöhte Umgangsfrequenzen sowie Rückführung in die Herkunftsfamilie.

    Keinem leiblichen Kind oder Adoptivkind mutet man derartige Unsicherheiten zu:
    Stets drohen den Pflegekindern Veränderungen, die ihren Status als Pflegekinder innerhalb der Pflegefamilie  grundlegend in Frage stellen und damit das Kindeswohl schwer beeinträchtigen, denn diese Veränderungen sind regelmäßig mit Beziehungsabbrüchen verbunden.

    Leibliche Kinder und ebenso Adoptivkinder im Vergleich dazu sind im Kindschaftsrecht umfassend abgesichert, sodass eine existenzielle Veränderung ihres Daseins in Form einer Herausnahme aus der Herkunftsfamilie oder Adoptivfamilie nur in Ausnahmefällen, nämlich dann möglich sein soll, wenn es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt, etwa bei schwerer Kindeswohlgefährdung (§§ 1666,1666a BGB).

    Einen solchen Schutz hat der Gesetzgeber den Pflegekindern und der Pflegefamilie nicht zur Verfügung gestellt. Dies ist umso problematischer, weil alle Pflegekinder ohnehin schon mindestens einmal - durch Herausnahme, Weggabe, Verlassenwerden - Unsicherheit und Beziehungsabbrüche erfahren mussten und schon deshalb umso mehr auf die Erfahrung von Sicherheit dringend angewiesen sind. Dies wird vielfach in der Praxis übersehen, übergangen, ignoriert.
     
  2. Das Pflegekind »hängt« mit seinem Status in der labilen Mitte zwischen leiblichen Familien und Adoptivfamilien:

    Es kann einerseits nicht in Sicherheit bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen, weil diese nicht vorhanden, nicht in der Lage, nicht bereit oder nicht geeignet sind, es zu betreuen und zu versorgen.

    Es kann andererseits aber auch nicht die Sicherheit von Adoptivkindern erreichen, die ausserhalb der Herkunftsfamilie die Sicherheit haben, durch die Adoption bei ihren Adoptiveltern in dem gleichen Rechtsstatus wie leibliche Kinder leben zu können. Adoptionsvoraussetzungen (Einwilligungen, Ersetzung von Einwilligungen) liegen bei Pflegekindern im Regelfall nicht vor.

    Das Pflegekind bekommt aber auch noch nicht einmal die Sicherheit, als Pflegekind in der Pflegefamilie sicher und dauerhaft bleiben zu können.

    Es kann auch die Pflegefamilie jederzeit durch Aufkündigung ihrer Bereitschaft, das Kind weiterhin in der Familie aufzuziehen, den Status des Pflegekindes beenden. Es bleibt dann regelmäßig nur die Perspektive der Heimunterbringung. Besonders ältere Kinder sind nur noch schwer in die nächste Pflegefamilie zu integrieren. Diese Fälle sind zwar selten, aber jederzeit möglich.

    Nicht selten droht auch noch ein durch das Jugendamt/Amtsvormund, Einzelvormund oder sorgeberechtigten Herkunftseltern veranlasster Wechsel von einer Pflegefamilie in eine andere.

    Stets droht die Rückführung, die Heimunterbringung, der Wechsel in eine andere Pflegefamilie oder die Adoption seinen Status zu verändern, ohne dass diese Veränderung aus Sicht des Kindes die bessere Perspektive als der Verbleib in der Pflegefamilie ist.

    So besonders unsicher ist dieser Status deshalb, weil nach der Gesetzeslage Pflegeverhältnisse zu jedem beliebigen Zeitpunkt aufgelöst werden können. Der Gesetzgeber hat keine Regelung geschaffen, der den Status des Pflegekindes bis in die Volljährigkeit hinein absichert, obwohl 60% der Pflegekinder bis zur Volljährigkeit hinein in der Pflegefamilie bleiben. Diese Realität ist im Gesetz nicht vorgesehen.

    Pflegekinder haben somit fünf denkbare Perspektiven:
    a) Verbleib in der Pflegefamilie
    b) Rückführung in die Herkunftsfamilie
    c) Heimunterbringung
    d) Adoption
    e) Wechsel in eine andere Pflegefamilie.

    Aus dem 11. Kinder- und Jugendhilfebericht2 ergibt sich folgendes:

    30 bis 40% der Pflegekinder kehren in ihre Herkunftsfamilie zurück;
    30 bis 40% der Pflegeverhältnisse werden durch Volljährigkeit oder Adoption beendet;
    20 bis 40% werden aus anderen Gründen, z. B. durch Abbruch nach Scheitern der Pflegebeziehung beendet.

    Bei den 30 bis 40% Rückgliederungen handelt es sich vor allem um von vornherein geplante zeitlich begrenzte Kurzzeitpflege-Verhältnisse. Eine systematische Untersuchung über den dauerhaften Verbleib der Kinder nach der Rückführung fehlt. Schätzungen gehen dahin, dass jedes dritte oder vierte Kind nach Rückführung erneut fremdplatziert werden muss3.

    Daraus folgt: wenn etwa ein Viertel bis ein Drittel der Rückführungen scheitert bei Kindern, die von vornherein nur vorübergehend fremdplatziert werden sollten, darf davon ausgegangen werden, dass die Quote des Scheiterns bei denjenigen, bei denen eine solche Perspektive der begrenzten Unterbringung und alsbaldige Rückführung gar nicht vorlag, eine Rückführung gleichwohl versucht wurde, noch wesentlich höher anzusiedeln ist.

    Daraus folgt er wiederum, dass der Anspruch der Pflegekinder auf eine gesicherte dauerhafte Perspektive für 60% bis 80% der Pflegekinder von größter Bedeutung ist. Es ist ein unter Aspekten des Kindeswohls, aber auch gesellschaftlich nicht hinzunehmender Zustand, dass 60 bis 80% von etwa 55.000 Pflegekindern bis zur Volljährigkeit in einem unsicheren Status leben müssen.

    Dies bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Rückführungen aus fachlicher Sicht unter dem Aspekt des Kindeswohls nicht hätte erfolgen dürfen.
     
  3. Ist der unsichere Status des Pflegekindes mit dem Kindeswohl vereinbar?

    Die Position der Pflegekinder steht damit im krassen Widerspruch zu dem obersten Gebot, welches es im Zusammenhang mit Kindern zu erfüllen gilt: den Kindern Schutz, Geborgenheit, Sicherheit, Beständigkeit und Klarheit in der Perspektive innerhalb eines familiären Rahmens zu gewähren. Kinder haben einen Anspruch darauf. Alle beteiligten Erwachsenen sind gefordert und verpflichtet, diesen Anspruch zu erfüllen.

    Wenn aber Einigkeit dahingehend besteht, dass derartige Unsicherheiten mit dem Kindeswohl nicht vereinbar sind, so stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der Status des Pflegekindes als ein Status beständiger Unsicherheit in seiner heutigen rechtlichen Ausgestaltung überhaupt mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Diese Überlegung ist vor dem Hintergrund der hohen Anzahl von Pflegekindern notwendig, die ihre Kindheit und Jugend hindurch bis zur Volljährigkeit in diesem Status leben müssen.

    In allen Bereichen werden Kinder durch Gesetz und Rechtsprechung intensiv geschützt. Lediglich die Pflegekinder werden zu einem unvertretbar hohen Prozentsatz, wenn man die gescheiterten Rückführungen hinzugerechnet, in einem Status gehalten, der grundsätzlich wegen der dauerhaft unsicheren Perspektiven mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist.

    Die zahlreichen Pflegekinder wären es wert, wenn sich eine Gelegenheit ergeben würde, durch das BVerfG überprüfen zu lassen, ob dieser Zustand grundgesetzwidrig ist und möglicherweise einen Verfassungsverstoß darstellt. Dann wäre der Gesetzgeber gezwungen, Abhilfe durch eine geeignete Neuregelung, die die dauerhaften Unsicherheiten beseitigt, zu schaffen.

    Diese Problematik wurde bereit seit mehreren Jahrzehnten erörtert:

    »Während das Adoptivkind rechtlich und tatsächlich seinen Adoptiveltern zugeordnet wird, gehört das Pflegekind rechtlich weiterhin seiner Herkunftsfamilie an, obwohl es tatsächlich Bindungen zu den Pflegepersonen entwickelt (soziale oder faktische Elternschaft). Daher wird vielfach angenommen, dass die erforderliche Kontinuität der Pflege und Erziehung durch eine Adoption besser gewährleistet sei, als durch ein Pflegekindschaftsverhältnis«4

    Gelegentlich wird zwar das im Sinne des §§ 1632 Abs. 4 BGB verfestigte Pflegeverhältnis als »faktische Adoption« bezeichnet5, zahlreiche Rechtsstreitigkeiten um langjährige Pflegeverhältnisse belegen jedoch, dass die mit einer Adoption gewonnenen Sicherheit völlig fehlt.

    An gleicher Stelle wird darauf hingewiesen, dass bei langfristig zu leistender Hilfe eine besondere Prüfungspflicht des Jugendamts bestehe, ob die Annahme des Kindes in Betracht kommt, sodass das SGB VIII die Adoption des Kindes in diesen Fällen zu bevorzugen scheint. Die Adoption komme jedoch aus verschiedenen Gründen oft nicht in Betracht. Die Volladoption erweise sich als ein ungeeignetes weil kompromissloses Mittel der Zuordnung. Bei der Reform des Adoptionsrechts sei daher vorgeschlagen worden, neben der Volladoption einen zweiten Adoptionstyp zuzulassen, die so genannte einfache Adoption, nach der Kompromisslösungen zwischen alter und neuer Familie möglich gewesen wären.6

II. Auftrag des Gesetzgebers in der Jugendhilfe, §§ 36, 37 KJHG/SGB VIII

Der Gesetzgeber hat im KJHG/SGB VIII festgelegt, dass dann, wenn innerhalb eines bestimmten, am Kindeswohl und dem kindlichen Zeitempfinden zu orientierenden Zeitraums die Bedingungen in der Herkunftsfamilie nicht so verbessert werden können, dass das Kind in die Herkunftsfamilie zurückgeführt werden kann, eine dauerhafte Perspektive für das Kind außerhalb der Herkunftsfamilie gefunden werden muss, § 37 Abs. 1 Satz 4 KJHG/SGB VIII, und zwar unter Einschluss der Prüfung der Adoptionsmöglichkeit, § 36 Abs. 1 Satz 2 KJHG/SGB VIII.

Dieser klare gesetzliche Auftrag an die Jugendbehörden folgt der Erkenntnis, dass Bindungen, die Kinder in einer Pflegefamilie gewonnen haben, schützenswert sind. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt (s.o.).

Der Zustand der dauerhaften Unsicherheit ist nicht mit dem Kindeswohl vereinbar. Alle Irritationen, die die Sicherheit und Eindeutigkeit des Pflegeverhältnisses und seines dauerhaften Bestandes nach einer notwendig gewordenen neuen Sozialisation in Frage stellen, sind geeignet, das Kindeswohl zu gefährden. Dazu gehört auch der Umgang in hoher Frequenz.

Ist die Sozialisation in der Pflegefamilie gelungen, ist das gesetzgeberische Ziel der dauerhaften Perspektive aus § 37 Abs. 1 Satz 4 KJHG/SGB VIII erreicht und das Kindeswohl gewahrt. Es ist mit dem Kindeswohl unvereinbar, die Sozialisation wieder in Frage zu stellen oder sogar zu zerstören.

Den dargestellten sozialisationstheoretischen Erkenntnissen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, wenn er fordert, dass in einer den Entwicklungsbedürfnissen des Kindes angemessenen Zeit die Perspektive des fremdplatzierten Kindes geklärt und eine dauerhafte Perspektive für das Kind entwickelt werden müsse.

Wörtlich heißt es daher in § 37 Abs. 1 Satz 2 KJHG/SGB VIII:

        Es »... sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes ... vertretbaren Zeitraums soweit verbessert werden, dass sie das Kind ... wieder selbst erziehen kann.«

Und im Folgenden (§ 37 Abs. 1 S. 4 KJHG):

        »Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes ... förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.«

Dies beinhaltet drei wesentliche Aspekte:

Zum einen
die Tatsache,
dass ein Kind nicht beliebig viel Zeit in der begrenzten Phase der Kindheit/Jugend für die Entwicklung von lebensnotwendigen Bindungen und Beziehungen zur Verfügung hat,
als ein Parameter der Entscheidungsfindung
und zum anderen
die Notwendigkeit der Festlegung einer Perspektive des Kindes außerhalb einer Herkunftsfamilie auf Dauer, wenn sich die Rückführung innerhalb einer bestimmten Frist zu der Herkunftsfamilie nicht umsetzen lässt
sowie schließlich
die Verknüpfung des einen mit dem anderen.

Mit welcher Ernsthaftigkeit der Gesetzgeber die Entwicklung dieser auf Dauer angelegte Lebensperspektive auf der Ebene des Jugendhilferechts erwartet, wird deutlich, wenn im Rahmen der Hilfeplanung die Prüfung der Adoptionsmöglichkeit verlangt wird, gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII:

        »Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt.«

III. Rechtliche Konsequenzen auf der zivilrechtlichen Ebene zur Absicherung der dauerhaften Perspektive

1. Die zivilrechtliche Gesetzeslücke

Historisch betrachtet ist die gesetzliche Regelung des Pflegekindschaftsverhältnisses stets überwiegend polizeirechtlich und ordnungsrechtlich, also im öffentlichen Recht orientiert gewesen. Das galt bereits bei dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz RJWG, später auch noch bei dem Jugendwohlfahrtsgesetz JWG. Auch mit dem SGB VIII vom 26.06.19907 wurde das Pflegekinderwesen nur auf dem Gebiet der öffentlichen Jugendhilfe reformiert. Es ist auch im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform vom 01.07.1998 leider festzustellen, dass für die öffentlich-rechtlichen Vorgaben für die Jugendämter (§§ 36, 37 KJHG/SGB VIII) keine zivilrechtlichen Entsprechungen geschaffen worden sind8.

»Die Rechtsordnung kann nicht darüber hinwegsehen, dass dem Ablauf der Zeit »die personale Substanz des Kindschaftsverhältnisses gegenüber den leiblichen Eltern zerfällt und sich gegenüber den Pflegeeltern entfaltet«9. U. a. auf diesen Umstand (auf mögliche Folgen für die Entwicklung des Kindes) hinzuweisen, gehört gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 KJHG zu den Pflichtaufgaben der Jugendhilfe10.

Insbesondere fehlt es an den zivilrechtlichen Möglichkeiten zur Umsetzung der Forderung nach einer dauerhaften Perspektive für das Kind, wenn die in § 37 KJHG/SGB VIII beschriebenen Voraussetzungen eingetreten sind, jedoch die einzig vom Gesetzgeber benannte konkrete Umsetzungsmöglichkeit, die Adoption gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 KJHG/SGB VIII jedoch nur selten umgesetzt werden kann, weil die elterliche Zustimmung meistens fehlt und diese auch nur schwer ersetzt werden kann.

Auch die Vorschrift des § 1630 Abs. 3 BGB, die Übertragung der Angelegenheiten der elterlichen Sorge zur Ausübung auf die Pflegeeltern, stellt keine tatsächliche Umsetzungsmöglichkeit der dauerhaften Perspektive dar, da diese Regelung zum einen von der Zustimmung der Herkunftseltern abhängt und diese Zustimmung auch nicht ersetzt werden kann und vor allen Dingen diese Regelung von den Herkunftseltern jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann.

2. Entzug der elterlichen Sorge gem. §§ 1666 f. oder Verbleibensanordnung gem. § 1632 IV BGB als zivilrechtliche Lösungsmöglichkeit zur Absicherung der dauerhaften Perspektive?

Grundlegend stellt sich unter der Voraussetzung der dauerhaften Perspektive in einer Pflegefamilie die Frage nach der elterlichen Sorge:

Wenn einerseits die Bedingungen für die Entwicklung einer dauerhaften Perspektive vorhanden sind, stellt sich andererseits die Frage, ob die elterliche Sorge bei zwischenzeitlicher Wiedererlangung der Erziehungsfähigkeit durch die Herkunftseltern auf diese zurückübertragen werden muss, weil der Anlass für den staatlichen Eingriff insoweit weggefallen ist.

Zur Beantwortung dieser Frage sind maßgeblich die Entscheidungen OLG Celle11, OLG Naumburg12, OLG Frankfurt13, OLG Frankfurt14 sowie insbesondere des Bundesverfassungsgerichts15 heranzuziehen.

In der Alternative zwischen einer Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB einerseits und der Aufrechterhaltung eines Entzugs des Personensorgerechts andererseits sind naturgemäß auch die Aspekte der Verhältnismäßigkeit, aber auch die Kontinuitätsbedürfnisse der Kinder zu beachten16.

    a) Die Frage, welches überhaupt die minimalen Voraussetzungen und Schritte sind, die im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht gem. § 12 FGG von dem zuständigen Familiengericht in einer solchen Konfliktsituation erfüllt werden müssen, hat in einer Pflegekindschaftssache das OLG Celle17 in bemerkenswerter Deutlichkeit klargestellt, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen und Rechtsverletzungen gerügt, da

      - gegen die gem. § 12 FGG obliegende Aufklärungsverpflichtung verstoßen wurde, da hätte geklärt werden müssen, ob vor dem Hintergrund, dass das Kind praktisch seit seiner Geburt nun über drei Jahre in der Pflegefamilie lebt, eine Herausnahme aus seinem bisherigen sozialen Umfeld das Wohl des Kindes gefährden würde. Im Übrigen dürfte die Einholung eines Gutachtens eines kinderpsychologischen Sachverständigen dringend geboten sein;
      - gegen § 50b FGG verstoßen worden sei, da eine Anhörung des Kindes nicht erfolgt sei;
      - gegen § 50 Abs. 2 Nr. 3 FGG verstoßen worden sei, da ein Verfahrenspfleger nicht bestellt worden sei.

      Damit sind zunächst die Mindestanforderungen dargestellt, die überhaupt in einem solchen Rahmen erfüllt sein müssen.

    b) Die eingangs gestellte Frage - Rückübertragung der elterlichen Sorge oder nicht - ergab sich in einer sehr problematischen Entscheidung des OLG Naumburg18. Dieser Entscheidung lag die Tatsache zu Grunde, dass die leibliche Mutter unmittelbar nach der Geburt das Kind zu töten versucht hatte. Das OLG Naumburg hat hier entschieden, dass die Anordnung, dass das Kind in der Pflegefamilie verbleiben soll, anstelle des Sorgerechtsentzugs eine ausreichende Maßnahme i. S. des Kindeswohls sein könne.

    Das Gericht hat in dieser Entscheidung zunächst umfassend und korrekt die Voraussetzungen einer Verbleibensanordnung zu Gunsten der Pflegeeltern geprüft und zugleich gem. § 1666 BGB die Gesundheitsfürsorge (wegen besonderer Gründe in diesem Einzelfall) auf die Pflegeeltern übertragen.

    Die Entziehung des Sorgerechts hielt das Gericht für

      »mangels fortbestehender Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr gerechtfertigt«.

    Es wird die

      »für einen Sorgerechtseingriff zwingend erforderliche gegenwärtige, begründete Besorgnis der Schädigung durch vereinzelt gebliebene Vorfälle in der Vergangenheit regelmäßig nicht hervorgerufen«.

    (Es handelte sich um den Vorgang einer versuchten Kindestötung!)

    Weiter führt das Gericht aus:
    »Zwar sei die Gefahr, die durch die Straftat der Mutter begründet wurde, seit langem weggefallen«.

    Eine neue, jedoch über § 1632 Abs. 4 BGB zu berücksichtigende Gefährdung des Kindeswohls liege aber darin, dass das Kind dort (in der Pflegefamilie) so stark verwurzelt sei, dass es durch eine - nach Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter nicht auszuschließende - unvermittelte Herausnahme aus der Pflegefamilie seelischen Schaden erleiden würde. Es könne allein die Dauer des Pflegeverhältnisses zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB führen (mit Hinweis auf die BVerfGE). Davon sei hier bei einem fast 2 3/4 Jahre währenden Pflegeverhältnis in den ersten drei Lebensjahren definitiv auszugehen. Erforderlich und verhältnismäßig könne immer nur der geringstmögliche Eingriff sein.

    Die Entscheidung des OLG Naumburg lässt das Eingehen auf die Tatsache vermissen, dass hier dieses Kind seine Sozialisation bei den Pflegeeltern gefunden hat und aus Gründen des Kindeswohls bis in die Volljährigkeit hinein in der Pflegefamilie leben wird. Wenn die Rückführungsoption innerhalb des vom Gesetzgeber vorgesehenen, am kindlichen Zeitbegriff orientieren Zeitraums (§ 37 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII) nicht verwirklicht werden kann, hat die Festschreibung einer dauerhaften Perspektive außerhalb der Herkunftsfamilie zu erfolgen, und zwar unter Einbeziehung der Adoptionsmöglichkeit (§ 36 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Mit dieser Vorgabe hat der Gesetzgeber auch die elterliche Sorge zur Disposition gestellt.

    Auch dann, wenn Adoptionsmöglichkeiten wegen fehlender Zustimmung oder wegen Unmöglichkeit der Zustimmungsersetzung nicht gegeben sind, verbieten sich alle Eingriffe der Herkunftsfamilie in die neu gefundenen Bindungen des Kindes, in die gelungene Integration, in die neue Sozialisation. Bietet man den Herkunftseltern alle Entscheidungsmöglichkeiten der elterlichen Sorge und Umgang, so besteht die Gefahr, dass diese auch - mehr oder weniger subtil - genutzt werden. Man schafft damit die Gefahr, dass die gelungene Sozialisation wieder in Frage gestellt wird und das Kind langfristig bindungslos wird.

    c) Es kann genau das eintreten, was das OLG Frankfurt19 in seiner Entscheidung befürchtet, dass nämlich bei Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftsmutter das Recht der elterlichen Sorge für Auseinandersetzungen um das Kind genutzt wird, was sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken würde.

    Dieser Entscheidung lag die Tatsache zu Grunde, dass die Kindesmutter diese Erziehungsfähigkeit »in beeindruckender Weise wiedergewonnen« hatte. Das Kind habe jedoch den größten Teil seines bewussten Lebens im Haushalt der Pflegeeltern verbracht. Es habe - auch wenn es zu seiner Mutter ebenfalls eine herzliche Beziehung unterhalte - den nachvollziehbaren Wunsch, weiterhin bei seinen Pflegeeltern wohnen bleiben zu dürfen, wo es sehr gut gefördert und in seiner Beziehung zur leiblichen Mutter gut unterstützt werde.

    Das OLG Frankfurt hat hier entschieden, dass die elterliche Sorge nicht zurückübertragen werden solle, auch wenn die Herkunftsmutter die Erziehungsfähigkeit wiedergewonnen habe. Die Aufhebung des Sorgerechtsentzugs würde die derzeit stabile Entwicklung des Kindes gefährden, weil sie (die Aufhebung) mit der Unterbrechung der Bindungen zu den Pflegeeltern einhergehen müsste.

    Der nachvollziehbare Wunsch des Kindes, weiterhin bei seinen Pflegeeltern wohnen bleiben zu dürfen, sei beachtlich, wenn er mit den von der psychologischen Sachverständigen gewonnenen Befunden hinsichtlich der Absicherung der Stabilität seiner Entwicklung stimmig sei.

    Eine Verbleibensanordnung erscheine nicht ausreichend, um das Wohl des Kindes nachhaltig genug zu sichern, wenn eine Rückübertragung des Sorgerechts auf die Mutter die Machtverhältnisse zu Gunsten des Begehrens der Mutter, das Kind zu sich nach Hause zu holen, verändere und erhebliche Auseinandersetzungen mit negativen Ausstrahlungen auf das Wohl des Kindes zu befürchten seien.

    Die Aufhebung des Sorgerechtsentzugs gefährde die derzeit stabile Entwicklung des Kindes, weil sie mit einer Unterbrechung der Bindungen zu den Pflegeeltern einhergehen müsse. Dies gefährde die gerade gewonnene Sicherheit erneut. Es erscheine daher (weitere Gründe werden ausgeführt) »mehr als verfrüht, die Schutzmaßnahmen für das Kind aufzuheben. In solchen Fällen muss das Elternrecht zurückstehen, wenn die volle Erziehungsfähigkeit wiedergewonnen worden ist.«

    Das OLG führt weiter aus:

    Eine Verbleibensanordnung unter gleichzeitiger Rückübertragung der elterlichen Sorge belaste .... eher ungünstig mit negativen Auswirkungen das seelische Gleichgewicht des Kindes. Trotz Bemühens der Mutter sei »unterschwellig offensichtlich eine Rivalität um die Gunst des Kindes zwischen der Mutter und den Pflegeeltern festzustellen«; durch die Rückübertragung des Sorgerechts auf die Mutter würde

        »die rechtliche Gestaltung der Beziehungen daher enorm erschwert, weil sich die Machtverhältnisse zu Gunsten des Begehrens der Mutter, das Kind schon jetzt zu sich nach Hause zu holen, verändern würde. Erhebliche Auseinandersetzungen mit negativen Ausstrahlungen auf das Wohl des Kindes wären zu befürchten. Dem muss vorgebeugt werden.«

In dankenswerter Klarheit hat das OLG Frankfurt in dieser Entscheidung dargelegt, dass eine Verbleibensanordnung alleine nicht ausreichend ist, um das Kindeswohl abzusichern, wenn abzusehen ist, dass das Kind dauerhaft in der Pflegefamilie verbleibt. Die Entscheidung dient auch der Klarstellung des Vorrangs des Kindeswohls vor den Elternrechten. Auch wurde das Kindeswohl im Zusammenhang mit dem Kindeswillen in geeigneter Weise berücksichtigt.

3. Lösungsweg des Bundesverfassungsgerichts

Das Oberlandesgericht Naumburg hat die Möglichkeiten, die die gesetzliche Lage ebenso wie die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bieten - wie die Entscheidung des OLG Frankfurt zeigt -, nicht genutzt und somit das Kind einer dauerhaften Unsicherheit preisgegeben. Dies steht aber im diametralen Gegensatz zu den Absichten des Gesetzgebers, in derartigen Fällen eine dauerhafte Perspektive für die Kinder zu schaffen und abzusichern (§ 37 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII)20.

Das OLG Naumburg hat möglicherweise auch übersehen, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Konfliktsituation bereits Wege aufgezeigt hat, die auf verfassungskonforme Weise den Konflikt im Interesse des Kindeswohls lösen:

Betrachtet man die konkreten Lösungen des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit den übrigen Entscheidungen zum Bereich der Pflegekinder und der Herausnahmekonflikte, so wird deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht die elterliche Sorge nie zum inhaltsleeren Selbstzweck werden lässt, sondern immer das einbezieht, was "Gegenstand" der elterlichen Sorge ist, nämlich das Kind bzw. das Kindeswohl. In der ersten Entscheidung (Elizabetha) ist die elterliche Sorge in Gestalt des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht ausübbar, da dies dem Kindeswohl wegen der gewonnenen Bindungen widersprechen würde. Rechtstechnisch wird die Frage über § 1632 Abs. 4 BGB gelöst. Auch in der zweiten Entscheidung (Janina) ist die Aufenthaltsbestimmung als Bestandteil der elterlichen Sorge durch die Herkunftseltern nicht ausübbar, da ein Wechsel von einer Pflegefamilie zur anderen dem Kindeswohl widerspricht. Auch hier greift § 1632 Abs. 4 BGB. Bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine Abkehr von der Vorstellung der elterlichen Sorge als Herrschaftsrechte21.

Zu Recht also setzt das BVerfG in der hier maßgeblichen Entscheidung22 das Bedürfnis des Kindes nach einer ungestörten Integration in der Pflegefamilie als höherwertig an als das Interesse der Herkunftseltern an der Rückübertragung der elterlichen Sorge. Das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgenden Instanzgerichte schützen damit das Kindeswohl und erfüllen damit zugleich die Forderung des Gesetzgebers nach Schaffung und Absicherung einer dauerhaften Perspektive des Pflegekindes (§ 37 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII).

Diese Lösung ergibt sich jedoch nicht in der Vielzahl von Fällen, in denen die elterliche Sorge gar nicht entzogen wurde. Dort verbleibt eine Gesetzeslücke, die offenbar nicht durch die Rechtsprechung gefüllt werden kann.

4. Schädliche Folgen bei versäumtem Entzug der elterlichen Sorge.

Welche Brisanz sich ergibt, wenn die elterliche Sorge aufrechterhalten bleibt, während das Kind dauerhaft in einer Pflegefamilie untergebracht ist, zeigen verschiedene Fälle in der Praxis:

Salgo23 weist darauf hin, dass die verbreitete gerichtliche Praxis, nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht den Eltern zu entziehen, zu erheblichen Problemen bei der Hilfegewährung gem. §§ 27,33 SGB VIII und bei der Heranziehung zu den Kosten gem. § 91 SGB VIII führen kann und unehrlich den Eltern, Pflegeeltern und den Minderjährigen gegenüber ist. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts allein reiche nicht aus, um gegen den Willen der insoweit weiterhin personensorgeberechtigten Eltern, d. h. ohne ihren explizit darauf gerichteten Antrag gem. §§ 27,33 SGB VIII, einem Minderjährigen Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege zu leisten.

Eine dramatische Konsequenz hat das BVerwG geschaffen in der Entscheidung 5 B 174/99 vom 21.06.200124, in der es festgestellt hat:

      »Ist dem Sorgeberechtigten das Recht auf Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung nicht entzogen worden, so ist die Gewährung von Jugendhilfe gegen seinen erklärten Willen rechtswidrig und verletzt das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG)«.

Daraus folgt, dass solange das Sorgerecht besteht, die Herkunftseltern auch berechtigt sind, einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in unmittelbarer Ausübung ihres Sorgerechts zurückzunehmen, wenn sie mit den Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie nicht einverstanden sind und das zur Zahlung von Pflegegeld an die Pflegeeltern bereite Jugendamt damit zwingen, diese Zahlungen einzustellen, auch wenn zugleich eine Verbleibensanordnung zum Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie besteht.

Nicht beantwortet hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings die sich daraus unmittelbar ergebende Frage, wer denn den Unterhalt des Kindes in der Pflegefamilie eigentlich leisten soll, wenn die Herkunftseltern - wie meistens - zugleich nicht zahlungsfähig sind. Bedauerlicherweise hat das BVerwG damit eine gegenteilige bei dem OVG Nordrhein-Westfalen25 erstrittene Entscheidung damit aufgehoben. Das OVG hatte entschieden, dass der leibliche Elternteil für eine Klage gegen die Bewilligung von Pflegegeld an die Pflegeeltern nicht klagebefugt sei.

In einer anderen rechtskräftig gewordenen Entscheidung hat das OVG Niedersachsen26 dagegen entschieden, dass die Rücknahme des Antrags auf Hilfe zur Erziehung durch die sorgeberechtigten Herkunftseltern sittenwidrig ist, da diese Rücknahme nur deshalb erfolgt, um das Pflegeverhältnis zu stören und damit zugleich eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt:

      »Die Rücknahme des Antrags (der Verzicht) auf Hilfe zur Erziehung durch die Personensorgeberechtigten kann im Einzelfall unbeachtlich sein. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn sich die Rücknahme im Hinblick darauf als rechtsmissbräuchlich erweist, dass zu Gunsten der Pflegeperson eine Verbleibensanordnung ergangen ist. Dann ist die Rücknahme absolut unwirksam, und die Pflegeperson kann die Hilfe zur Erziehung beanspruchen.«

Diese Fälle zeigen, das die Ausübung des Sorgerechts durch die Herkunftseltern immer dann problematisch ist, wenn einerseits eine dauerhafte Unterbringung außerhalb der Herkunftsfamilie feststeht, andererseits die Herkunftseltern sich mit dieser Situation jedoch nicht zufrieden geben können und immer wieder versuchen, das Pflegeverhältnis zu torpedieren. Die Herkunftseltern sind dadurch in der Lage, äußerst nachhaltig das Pflegeverhältnis und die Integration des Kindes in der Pflegefamilie, also die neue Sozialisation zu stören, in Frage zu stellen und auch zu zerstören. Da keine Aussicht besteht, wieder neue vergleichbare Bindungen zu finden, werden diese Kinder bindungslos bleiben mit allen katastrophalen Folgen, die die Sozialwissenschaften bereits ausführlich beschrieben haben.

Eine Rückübertragung der elterlichen Sorge widerspricht den Absichten des Gesetzgebers, dem dauerhaft in einer Pflegefamilie untergebrachten Pflegekind die dauerhafte Perspektive auch abzusichern. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und dem folgend die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt sollte in nachfolgenden Fällen zum Maßstab einer Gesetzesänderung genommen werden.

Die hier vertretene Rechtsauffassung findet schließlich auch ihre Bestätigung durch die Entscheidung OLG Frankfurt27. Das Gericht hat entschieden, dass eine Rückführung des Kindes zur Mutter in absehbarer Zeit nicht in Betracht komme und hat gleichzeitig die Bedürfnisse des Kindes nach einer gesicherten Bindungen und emotionaler Geborgenheit in der Pflegefamilie betont (gleichzeitig wurde der Umgang für zwei Jahre ausgeschlossen). Es handelt sich in dieser Entscheidung um ein durch die Erziehungsunfähigkeit traumatisiertes Kind, dessen Mutter nicht bereit und in der Lage war zu erkennen, welchen langjährigen persönlichkeitsschädigenden Erfahrungen ihre Tochter ausgesetzt war, und dass sie auch in Zukunft nicht in der Lage sein würde, weitere Beeinträchtigungen des Kindeswohls zu vermeiden und auch nicht in der Lage sein würde, den Bedürfnissen des Kindes gegenüber den eigenen Bedürfnissen den Vorrang zu geben.

5. Konsequenz aus dem Entzug der elterlichen Sorge

Bei Entzug der elterlichen Sorge ist es am sinnvollsten, die Pflegeeltern zu Vormündern oder Pflegern zu bestellen.28

Fazit:

Der Erlaß einer Verbleibensanordnung gem. 1632 Abs. 4 BGB kann den Status des Pflegekindes nur vorübergehend absichern. Diese Regelung sichert keinen dauerhaften Verbleib.

Der Entzug der elterlichen Sorge bzw. Aufrechterhaltung entsprechender Maßnahmen ist notwendig, aber nicht hinreichend.
Denn damit haben die Pflegeeltern noch nicht die erforderlichen Kompetenzen, um den Status des Kindes zu sichern.

Im Interesse des Kindeswohls benötigen die Pflegeeltern

- die Vormundschaft als gesetzlichen Regelfall sowie

- eine Regelung des dauerhaften Verbleibs als gesetzlichen Regelfall nach Ablauf des in § 37 Abs. 1 S. 4 KJHG bezeichneten Zeitraums.

Diese Regelung könnte einer "Adoption light" entsprechen, die auch von Seiten der Pflegeeltern nur unter erschwerten Bedingungen wieder aufgelöst werden kann.


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1 Görgülü./.Deutschland, Urteil v. 26.02.2004, FamRZ 2004, 1456,
Keegan ./.Irland,      Urteil v. 26.05.1994, FamRZ 1995, 110;
Kroon  ./. Niederlande; Urteil v. 27.10.1994, FamRZ 2003, 813;
Elsholz./.Deutschland, Urteil v. 13.07.2000, FamRZ 2001, 341;
Kutzner./.Deutschland, Urteil v. 26.02.2002, FamRZ 2002, 1393;
2 Seite 1080
3 Nienstedt/Westermann, Stellungnahme zur »Weiterentwicklung und Neukonzeption der Pflegekinderarbeit in Münster« (2003) mit Hinweis auf Blando,J: Versorgungseffizienz im Pflegekinderwesen. In: Colla, und anderen: Hdb. Heimerziehung und Pflegekinderwesen in Europa (1999) Seite 757 bis 772)
4 Staudinger-Frank, (2001) Vorbem. zu §§ 1741ff, Rdnr. 31
5 a. a. O. Rdnr. 34
6 a. a. O., Rdnr. 38, 40; § 1754 Rdnr. 3
7 BGBl 1990 I, Seite 1163
8 vgl. Staudinger-Salgo ( 2002) § 1632 Rdnr. 58
9 Schwab, 54 DJT A 112
10 Staudinger-Salgo a.a.O.
11 OLG Celle FamRZ 2002,1356
12 OLG Naumburg FamRZ 2002, 1274
13 OLG Frankfurt FamRZ 2002, 1277
14 OLG Frankfurt FamRZ 2003, 1317
15 BVerfGE 88, 187
16 GK-SGB VIII-Salgo § 33 Rdn. 15; BVerfG FamRZ 1989,145
17 OLG Celle FamRZ 2002, 1356 m. Anm. Eisele
18 OLG Naumburg FamRZ 2002, 1274 m. Anm. Hoffmann
19 OLG Frankfurt FamRZ 2002,1277 m. Anm. Doukanni-Bördner
20 vgl. Anm. P. Hoffmann FamRZ 2002, 1276 zu dieser Entscheidung
21 vgl. Salgo in: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Pflegekindern, Vorwort S. 3
22 BVerfGE 88, 187, 197
23 Staudinger-Salgo, a.a.O. Rdnr. 26
24 BVerwG FamRZ 2002, 668
25 OVG NRW FamRZ 2000,293
26 OVG Niedersachsen FamRZ 1998, 707
27 OLG Frankfurt FamRZ 2003, 1317 (m. Anm. Doukanni-Bördner)
28 vgl. Landgericht Flensburg FamRZ 2001,445, mit Anm. P. Hoffmann; Kammergericht FamRZ 2002,267; Amtsgericht Schöneberg FamRZ 2002, 268; rechtskräftig bestätigt durch LG Berlin 83 T 464/01 vom 3. April 2003; Amtsgericht Hamburg 109VIISCH 14358 vom 16.6.2003).

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