FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2004

 

Das Gefängnis: ein Lagerhaus für Einzelpersonen mit FASD

 

Von Paul Connor

 

Vorbemerkung: Paul Connor, Assistenzprofessor in Seattle, weist nachdrücklich auf die besonderen Gefahren hin, denen FAS-Betroffene (Alkoholembryopathen) (s. www.fasworld.de) aufgrund ihrer oft kritiklosen Anerkennungsbedürfnisse in Gefängnissen ausgeliefert sind und fordert alternative Formen der Unterbringung und Betreuung. Seine Überlegungen gelten darüber hinaus auch für die durch Vernachlässigung, Mißhandlung und Mißbrauch psychisch und hirnorganisch geschädigten Klienten der Sozialpädagogik.

K.E. (August 2004)


Wenn Kinder mit FASD (Fetal Alcohol Spectrum Disorders) heranwachsen und das Erwachsenenalter erreichen, kann ein problematisches Verhalten, das im Kindesalter eher belastend war, zu einem Verhalten werden, das nun, da sie erwachsen sind, zu Kontakten mit dem Rechtssystem führt. Diese Kontakte können, und das tun sie leider sehr oft, in Haftstrafen enden.

An der University of Washington in Seattle leitet Dr. Ann Streissguth ein Team, das Eltern und Betreuer von Kindern und Erwachsenen mit FASD befragt, ob ihre Kinder im Leben schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Sie fand heraus, dass 61% der Heranwachsenden und 58 % der Erwachsenen mit FASD bereits in gesetzlichen Schwierigkeiten waren. Weiterhin wurden 35 % der über 12-Jährigen mit FASD im Laufe ihres Lebens mit Freiheitsentzug bestraft.

Ausgehend von der Perspektive des Rechtssystems, untersuchte Dr. Christine Loock in Vancouver 287 Kinder und Heranwachsende, die stationär in eine Assessment Unit des British Columbia Jugendjustizsystems aufgenommen wurden. Sie führte körperliche und psychische Test mit diesen jungen Insassen durch und fand heraus, dass etwa ein Viertel dieser Kinder mit FAS oder FAE diagnostizierbar wären. Die meisten von ihnen wurden als FAE diagnostiziert, zeigten wenige oder gar keine äußeren Zeichen einer Schädigung, obwohl sie kognitive Beeinträchtigungen aufwiesen.

Ist ein Gefängnis der richtige Ort für Menschen mit FASD? Es gibt gewiss viel Negatives, das dem Eingesperrtsein anhaftet, aber diese negativen Elemente vergrößern sich für Menschen mit FASD. Sie werden von der Unterstützung ihrer Familie und richtigen Freunden isoliert. Aber gerade diese Menschen brauchen besonders den Halt ihrer Familie und ihrer Freunde, die ihnen dabei helfen, erfolgreich zu funktionieren und unange-messene Verhaltensweisen einzuschränken. Sie sind nicht in der Lage, als produktives Mitglied an ihrer Gemeinschaft teilzunehmen. Und, was besonders dramatisch ist, Menschen mit FASD sind viel größerer Gefahr ausgesetzt, im Gefängnis selber zum Opfer zu werden. Sie haben den starken Wunsch zu gefallen und sind sehr leichtgläubig. Diese Eigenschaften sind einfache Erkennungszeichen für Räuber hinter Gittern.

Gerade diese Leichtgläubigkeit und der Wunsch zu gefallen, und dies besonders bei Autoritätspersonen, kann auch zu falschen Verurteilungen führen. Es gibt mehrere Fallberichte, worin zu erkennen ist, dass Straftäter mit FASD den Polizeibeamten genau das erzählen, was sie hören möchten und nicht das, was tatsächlich geschah. Sie geben sogar Straftaten zu, die sie gar nicht begingen.

Gibt eine Person mit FASD eine Straftat zu, kann es daran liegen, dass dieser Person die Konsequenz ihres Handels nicht vollkommen bewusst ist. Solche Personen, die Ursache und Wirkung ihres Tuns nicht begreifen, können von der Lektion, die ihnen als Strafe für ihr inakzeptables Verhalten erteilt wurde, keinen Nutzen ziehen. Sie mögen sogar unfähig sein, ihren Anwalt bei der Verteidigung ihres eigenen Falls zu unterstützen und daher zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden, ohne dass es eine entsprechende Erörterung von alternativen Unterbringungsmöglichkeiten gab.

Für Menschen mit FASD gibt es in den Gefängnissen jedoch zwei positive Aspekte – Struktur und Berechenbarkeit. Struktur diktiert das tägliche Leben von Insassen. Sie bekommen strikte Anweisungen, wann sie ihre Zellen morgens verlassen dürfen, wann sie Freizeit haben, wann sie Essen gehen und wann sie wieder in ihre Zellen zurück müssen. Die Verhaltensregeln sind genau vorgegeben und Konsequenzen von Zuwiderhandlungen sind klar zu erkennen. Personen mit FASD, die am besten in strukturiertem Umfeld funktionieren, werden oft zu Vorzeigebürgern- und Häftlingen.

Es ist eine Schande, dass angemessene Alternativen zum Gefängnis, wenn man die positiven Elemente mit seiner Struktur und Berechenbarkeit hervorhebt und man die negativen Elemente beiseite lässt, entweder nicht zur Verfügung stehen oder für Menschen mit FASD nicht in Betracht gezogen werden. Für diese Menschen könnten geeignete Alternativen zum Gefängnis sein: die Unterbringung in halfway houses (HALFWAY HOUSES "Halfway houses" ist ein Begriff, der aus den 60er und 70er Jahren stammt. Damit jemand aus dem Strafvollzug entlassen werden kann, muss er eine feste Bleibe nachweisen. "Halfway houses" dienen somit dem Resozialisierungsprozess und sind mehr als eine bloße Wohnmöglichkeit; sie sind ein Platz, an dem auch Hilfe für die sozialen, psychologischen und spirituellen Belange der ehemals Inhaftierten geboten wird. [aus: http://www.indianerreservat.de/deutsch.htm]), Wohngruppen, Therapiezentren oder häusliche Monitorüberwachung. In all diesen Fällen muss der Schwerpunkt auf der Schaffung eines Umfelds liegen, das gut strukturiert ist mit überschaubaren Regeln und Konsequenzen. In diesen alternativen Einrichtungen kann eine Person mit FASD weiterhin an der Gesellschaft teilnehmen, ihr Verhalten wird jedoch besser überwacht.

Die Notwendigkeit für eine angemessene Behandlung für Menschen mit FASD, die mit dem Gesetz in Konflikt kamen, hatte sich Kay Kelly kürzlich zum Schwerpunkt für ihre Arbeit gemacht. Sie ist Projekleiterin des FAS/E Legal Issues Resource Center at the University of Washington’s Fetal Alcohol and Drug Unit. Kay Kelly und Professor Eric Schnapper von der University of Washington’s Law School haben Rechtsfälle zusammen getragen, in denen Menschen mit FASD involviert waren und sie erarbeiteten konkrete Empfehlungen für die Zusammenarbeit mit der Polizei.

Bitte besuchen Sie die Seite http://depts.washington.edu/fadu/ klicken Sie auf „Legal Issues“. Hier erhalten Sie Nachweise und Kontaktinformationen.

Wenn wir das Bewusstsein aller Beteiligten, die sich mit Rechtsfragen beschäftigen, erhöhen, können wir vielleicht die unverhältnismäßig hohe Anzahl von Jugendlichen und Erwachsenen mit FASD in unseren Gefängnissen und Jugendverwahranstalten reduzieren.

Connor, P. D. (2004). Prison: A warehouse for individuals with FASD. Iceberg, 14(2). Available at http://www.fasiceberg.org/newsletter.htm.

Paul Connor is an Acting Assistant Professor at the Fetal Alcohol & Drug Unit of the University of Washington’s Medical School in Seattle.

Übersetzung von Irm Wills, fasworld Deutschland e.V.
www.fasworld.de

 

 

 

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