FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2004

 

Die administrative Auslöschung eines Begriffs

und deren bemerkenswerte Folgen

von
Dipl-Psych. Joachim Jetschmann, heilpädagogischer Pflegevater,
Vorstandsmitglied im Berliner Aktivverbund ’Pflegeeltern für Pflegekinder’

(April, 2004)

 

Vorbemerkung: Der Begriff »Heilpädagogische Pflegestelle« ist wegen seines Inhalts und seiner Geschichte sehr wertvoll. Inhaltlich bringt er zum Ausdruck, daß die meisten unserer traumatisierten Pflegekinder der Heilung mindestens ebenso bedürfen wie der Erziehung, deren Pflegeeltern also therapeutische Arbeit leisten. Geschichtlich geht er darauf zurück, daß der reformfreudige Berliner Landesjugendamtsmitarbeiter Peter Widemann, der bei dem berühmten Heilpädagogen Andreas Mehringer erzogen und ausgebildet worden war, in den siebziger Jahren gegen die Heimträger durchsetzte, Heimkinder bei speziell qualifizierten Pflegeeltern unterzubringen. Weil er die Heilbedürftigkeit der ungeliebten Kinder bestens kannte, nannte er diese Pflegeeltern nicht »Sonderpflegeeltern«, sondern »Heilpädagogische Pflegeeltern«. So bewußt, wie er diesen Begriff einführte, soll er nun per Senatserlaß wieder ausgemustert werden mit beträchtlichen destruktiven Konsequenzen!

K.E. (April, 2004)

 

Der Begriff »Heilpädagogische Pflege« ist in Berlin analog zu dem Begriff der »Heilpädagogischen Heime« entstanden. In beiden Formen der Unterbringung werden erlebnis- und verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche mit traumatischer Vorgeschichte untergebracht, die nicht nur der Erziehung, sondern vorrangig der Heilung bedürfen. Die Qualifikation der Pflegeeltern muss zu den Erziehungsbeeinträchtigungen und Behinderungen des Kindes oder Jugendlichen passen. Deshalb werden heilpädagogische Pflegekinder mit bestimmten Störungen möglichst nur bei Pflegeeltern mit dafür geeigneter Qualifikation untergebracht .

Nun soll nach dem Willen des Jugendsenators Böger der Begriff der »heilpädagogischen Pflegestelle« durch den Begriff des »erweiterten Förderbedarfs« ersetzt werden. Dieser Austausch der Begriffe geschieht nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich und mit weitreichenden Konsequenzen.

Im Heimbereich werden für heilpädagogische Kinder spezielle Heime mit erhöhten Tagessätzen angeboten. Ganz analog erhielten bisher die einschlägig qualifizierten Pflegeeltern heilpädagogischer Kinder erhöhtes Erziehungsgeld. Der Wegfall des Begriffs »heilpädagogische Pflege« entzieht den Pflegekindern und mithin den Pflegeeltern die Ansprüche, die sich im Heimbereich aus dieser begrifflichen Zuordnung herleiten.

Der Begriff »erweiterter Förderbedarf« soll nur einen Teil der heilpädagogischen Pflegearbeit abdecken, nämlich den der „besonderen Belastbarkeit“. Nur wenn das Kind besonders belastbare Erzieher besonders belastet, bekommt die Pflegefamilie den »erweiterten Förderbedarf«. Die therapeutische Qualität der Arbeit wird nicht mehr abgefragt. Darum ist auch das Erziehungsgeld für diese Kosten der Erziehung (Qualifizierte Pflegeeltern, geeignetes sozioökologisches Wohnumfeld, Kosten für Erlebnispädagogik usw.) dann nicht mehr notwendig.

Die Eltern werden auf diese Art in ein unlösbares Dilemma getrieben, denn sie können die heiltherapeutisch notwendige Erziehung nicht mehr realisieren. Einerseits müssen heilpädagogisch zu betreuende Kinder heilpädagogisch betreut werden, andererseits werden die dafür notwendigen finanziellen und personellen Voraussetzungen, insbesondere die unverzichtbare Planungssicherheit entzogen. Das Kind, das dann die Pflegefamilie gegen seinen Willen und den der Pflegeeltern verlassen muss, weil es nicht mehr als »erweitert förderbedürftig« eingestuft wird, kommt nach dem Beziehungsabbruch als heilpädagogisches Kind in ein sechs mal so teures Heilpädagogisches Heim, da hier andere Maßstäbe für dasselbe Kind angesetzt werden.

Der Trick mit dem Austausch des Begriffs: »Heilpädagogische Familienpflege« gegen den des »erweiterten Förderbedarfs« soll davon ablenken, dass diese Kinder je nach Unterbringungsart unterschiedlich und gleichwohl nicht mehr nach ihrem Bedarf betreut werden können, weil die Kosten einer bedarfsgerechten Familienpflege nicht mehr getragen werden sollen. Viele der Kinder, denen der »erweiterte Förderbedarf« aberkannt wird, werden in »heilpädagogischen Heimen« landen, die im besten Falle gute Beziehungen anbieten können, aber nicht das, was diese bindungsgestörten Kinder eigentlich brauchen: dauerhafte duale Bindungsangebote in einem liebevollen familiären Milieu.

Entwicklungsbeeinträchtigte und behinderte Kinder in Pflegefamilien werden gegenüber den Kindern in heilpädagogischen Heimen drastisch benachteiligt. Würden in Zukunft für heilpädagogische Heime die gleichen Maßstäbe gelten wie für die Pflegefamilien, so müssten wahrscheinlich 90% der Kinder und Jugendlichen aus den heilpädagogischen Heimen in Heime der Grundversorgung.

In § 33 KJHG heißt es unmißverständlich: „Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen“. Senator Böger plant genau das Gegenteil: den Abbau bereits vorhandener, empirisch bestens bewährter Formen geeigneter Familienpflege!

 

 

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