FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2001

 

Befragung zur Klientenzufriedenheit in einem
Berliner Projekt des Betreuten Einzelwohnens

von Katrin Kaufmann und Kurt Eberhard (Nov. 2001)

 

Vorbemerkung: Katrin Kaufmann ist Studentin der Pädagogik mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik in Kiel. Sie absolvierte ihr Pflichtpraktikum im Betreuten Einzelwohnen ’BEW Sprungbrett’ in Berlin, das sich kritisch und konstruktiv den seit 1999 kodifizierten Qualitätssicherungs-ansprüchen des KJHG stellt. In diesem Rahmen erkundete Katrin Kaufmann bei den dort betreuten Jugendlichen und Heranwachsenden deren Klientenzufriedenheit. Prof. Dr. Eberhard von der AGSP ist beim Sprungbrett Supervisor und hat die Erhebung methodologisch betreut.
C. M.


Die Träger der Jugendhilfe sind durch das KJHG gehalten, sich um Qualitätssicherung und Evaluation ihrer Arbeit zu bemühen. Eine wichtige Komponente der Arbeitsqualität im sozialen Bereich ist die Zufriedenheit der Klienten. Deshalb wurde im ‚Sprungbrett’, einem Projekt des Betreuten Einzelwohnens der Diakonischen Arbeitsgemeinschaft Sozialpädagogischer Initiativen (DASI) in Berlin-Charlottenburg, eine Befragung durchgeführt mit dem Ziel, die Klientenzufriedenheit zu erkunden.

Befragt wurden die 24 Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16-22 Jahren (im folgenden als ‚Heranwachsende’ bezeichnet), die derzeit im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme nach § 34 Sozialgesetzbuch VIII vom Team des ‚Sprungbretts’ (8 Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen) betreut werden. Den Probanden wurde ein Fragebogen mit 6 Fragen vorgelegt, die einerseits auf einer vorgegebenen und vielfach bewährten Skala ("nein gar nicht", "nein", "eher nein als ja", "eher ja als nein", "ja" oder "ja sehr") und andererseits im freien Gespräch beantwortet wurden, um so die Vorteile der quantitativen mit denen der qualitativen Datenerhebung zu verbinden. Die Interviews wurden von der Erstautorin - zu jener Zeit Praktikantin im ‚Sprungbrett’ – anonym durchgeführt.

Diese Untersuchung ist primär für die Selbstreflexion des Teams und sekundär als Qualitätsnachweis gedacht und erhebt keinen Anspruch auf Generalisierbarkeit. Andere Desiderate der Empirischen Sozialforschung (z.B. Objektivität, Reliabilität und Validität) konnten ebenfalls nicht geprüft werden. Ferner bestand im Rahmen der zeitlichen und finanziellen Bedingungen keine Möglichkeit zur Erhebung einer Vergleichsgruppe. Solche Kompromisse gehören aber längst zum Alltagsgeschäft der Feldforschung im sozialen Arbeitsbereich, erst recht, wenn sie wie hier in langjähriger Aktionsforschung eingebunden ist, die aus grundsätzlichen wissenschaftstheoretischen Erwägungen auf Objektivität von vornherein verzichtet (vgl. Eberhard, Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Kohlhammer, 2. Aufl. 1999).

Die Auswertung führte zu folgenden Ergebnissen:

1. ”Wurden Deine Erwartungen, mit denen Du in das BEW-Sprungbrett gekommen bist, erfüllt?”

Die erste Frage beantworteten 6 Heranwachsende (25,0%) mit "ja sehr", 17 (70,8%) mit "ja" und eine mit "eher ja als nein". (Mittelwert M = 1,8)

(Zur Mittelwertberechnung wurde die Skala analog der Schulnotenskala auf Werte zwischen 1 (ja sehr) und 6 (nein gar nicht) transformiert. Die vierte Skala wurde sinngerecht umgepolt.)

Am häufigsten wurde die Erfüllung der Erwartung auf Unterstützung bei der allgemeinen Alltagsbewältigung angegeben, wobei die ständige Erreich- und Ansprechbarkeit der Betreuer besonders hervorgehoben wurde. Als weitere Erwartung wurde der Erwerb von Selbständigkeit, besonders in Bezug auf die Planung und Organisation der zur eigenen Verfügung stehenden finanziellen Mittel genannt, die ebenfalls von der Mehrheit als erfüllt bezeichnet wurde. Seltener als diese Begründungen, ist die Erfüllung der Erwartung auf Unterstützung bei der Gestaltung der allgemeinen Lebensperspektive, speziell bezüglich der schulischen bzw. beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten angeführt worden sowie die des persönlichen Beistandes des Betreuers bei persönlichen Problemsituationen. Einmal wurde kritisch angemerkt, dass mehr fachliche Information in Bezug auf bürokratische Angelegenheiten wünschenswert gewesen wäre.

2. ”Werden Deine Vorstellungen bei den Zielvereinbarungen mit Deinem/r Betreuer/in angemessen berücksichtigt?”

9 (37,5%) beantworteten diese Frage mit "ja sehr". Die übrigen  15 (62,5%) antworteten mit "ja". (Mittelwert M = 1,6)

Diese positive Beantwortung wurde ausschliesslich damit begründet, dass der Betreuer sich auf seine Beraterrolle beschränke: Die Interessen der Jugendlichen stünden als zu respektierende Ansichten im Vordergrund. Der Betreuer zeige seinen Klienten aber auch Grenzen, mögliche Konsequenzen, Alternativen und Möglichkeiten auf. Durch dafür geeignete Fragen werde man zur Selbstreflexion angeregt, problematische Situationen gemeinsam analysiert und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet.

3. ”Bist Du mit der Arbeitsweise Deines/r Betreuer/in zufrieden?”

Diese dritte Frage beantworteten 8 (33,3%) mit "ja sehr",  15 (62,5%) mit "ja" und einer mit "eher ja als nein". (Mittelwert M = 1,7)

Was die Arbeitsweise des/der Betreuers/in auszeichne und zur Zufriedenheit der Mehrheit der Befragten führe, sei die authentische, rücksichtsvolle und geduldige Anteilnahme der Betreuer an den von den Jugendlichen geschilderten (Problem-)situationen. Die sachlich-fachlich kompetente Beratung sowie die gewissenhafte, systematische und gründliche Arbeitsweise der Betreuer, zeichne die Hilfe aus. Dabei werde jedoch immer die Eigenverantwortlichkeit der Jugendlichen hervorgehoben, keine Vorschriften erteilt, wohl aber durch Aufzeigen von Konsequenzen eine als positiv empfundene Kontrolle ausgeübt. Kritisch angemerkt wurde von einigen, dass Betreuer manchmal bereits dargestellte Situationen vergessen, so dass diese dann nochmals erläutert werden müssten. Ebenso würden gelegentlich Terminvereinbarungen vergessen werden. Ebenfalls wurde von einigen wenigen kritisiert, dass eine stärkere Unterstützung praktischer Art, beispielsweise beim Ein-, Um- und Auszug, wünschenswert gewesen wäre.

4. ”Sollte Dein/e Betreuer/in anders mit Dir umgehen um Dir zu helfen?”

Nur eine Heranwachsende antwortete hier mit "eher ja als nein". 10 (41,7%) antworteten mit "nein" und  13 (54,2%) mit "nein gar nicht". (Mittelwert M = 1,5)

Trotz überwiegender Verneinung der Frage wurde gelegentlich angeregt, dass die Art und Weise der Betreuung verändert werden möge, wenn ein Betreuter dies ausdrücklich wünsche. Als Begründung für die Antwort "eher ja als nein" führte die Heranwachsende an, dass in manchen Situationen eine stärkere Kontrolle durch den Betreuer wünschenswert wäre, d.h. mehr Druck ausgeübt werden solle. Ähnliches wurde auch von einigen anderen Heranwachsenden angegeben, die die vorangegangene Frage verneint hatten.

5. ”Hast Du durch die Gespräche mit Deinem/r Betreuer/in einen klareren Blick für Deine Probleme und deren Ursachen erlangt?”

19 (79,2%) antworteten mit "ja", 3 (12,5%) mit "ja sehr", einer  mit "eher nein als ja" und ebenfalls eine mit "nein". (Mittelwert M = 2,1)

Die Ja-Antworten wurden überwiegend mit dem Beratungsstil der Betreuer begründet: Durch gezielte Fragestellungen werde der Heranwachsende veranlaßt, die eigenen Probleme zu formulieren und zu erläutern, wodurch oftmals schon eine gewisse Distanz zu den Problemen ermöglicht werde. Ferner erweitere das Angebot von Erklärungsansätzen und Handlungsalternativen die Perspektive, wodurch Problemlösungen erleichtert werden. Die die Frage verneinenden Befragten führten als Begründung an, dass der Zeitraum der bisherigen Betreuung zu kurz gewesen sei, um diese Frage bejahen zu können. Eine weitere Person gab an, dass sie speziell persönliche Probleme lieber selbständig geklärt habe.

6. ”Hast Du das Gefühl, dass Du durch die BEW-Betreuung selbständiger geworden bist?”

Die sechste und den Fragebogen abschliessende Frage beantworteten 16 (66,7%) mit "ja", 5  (20,8%) mit "ja sehr", 2 (8,3%) mit "eher ja als nein" und eine mit "eher nein als ja". (Mittelwert M = 2,0)

Die zuletzt angeführte Antwort wurde damit begründet, dass die Befragte bereits bei der Aufnahme in das Betreute Einzelwohnen ausreichend selbständig gewesen sei und deshalb durch die Betreuung keine deutliche Erweiterung der Selbständigkeit eingetreten sei. Die die Frage mit "eher ja als nein" beantwortenden Betreuten gaben als Begründung an, dass sie sich noch nicht lange genug in der BEW-Betreuung befänden, tendenziell aber zustimmen könnten. Die Befragten, die angaben, durch die Betreuung selbständiger geworden zu sein, führten dies auf die Verdeutlichung ihrer Eigenverantwortlichkeit durch die Betreuer zurück sowie auf  deren Erwartung, dass beispielsweise behördliche und bürokratische Angelegenheiten im Laufe der Betreuung von den Heranwachsenden selbständig zu erledigen seien. Die in kleinen Schritten übertragene finanzielle Eigenverantwortlichkeit und die selbständige Organisation des alltäglichen Lebens habe ebenfalls zur Verselbständigung beigetragen, ebenso wie zur Förderung des Selbstvertrauens.

Im Überblick ergibt sich folgende Rangreihe der Klientenzufriedenheit:

  1. Frage vier: „Sollte Dein Betreuer/in anders mit Dir umgehen, um Dir zu helfen?“ (M = 1,5)
  2. Frage zwei: „Werden Deine Vorstellungen bei den Zielvereinbarungen mit Deinem       Betreuer/in angemessen berücksichtigt?“  (M = 1,6)
  3. Frage drei: „Bist Du mit der Arbeitsweise Deines/r Betreuer/in zufrieden?“ (M = 1,7)
  4. Frage eins: „Wurden Deine Erwartungen, mit denen Du in das BEW-Sprungbrett gekommen bist, erfüllt?“ (M = 1,8)
  5. Frage sechs: „Hast Du das Gefühl, dass Du durch die BEW-Betreuung selbständiger geworden bist?“ (M = 2,0)
  6. Frage fünf: „Hast Du durch die Gespräche mit Deinem/r Betreuer/in einen klareren Blick für Deine Probleme und deren Ursachen erlangt?“ (M = 2,1)

Wegen der Anonymität der Befragung waren nur 3 Variablen bekannt, anhand derer Aufteilungen der Gesamtgruppe in je zwei Untergruppen möglich waren:

  • jüngere Betreute (16 bis 19 Lebensjahre) versus ältere Betreute (19 bis 22 Lebensjahre)
  • kürzer Betreute (bis zu 1,5 Jahre) versus länger Betreute (länger als 1,5 Jahre)
  • weibliche Betreute versus männliche Betreute

Es wurden die Mittelwerte der Untergruppen sowohl gesondert für die 6 Fragen als auch über alle 6 Skalen hinweg berechnet. Die resultierenden Mittelwertdifferenzen waren zu gering, um signifikant zu sein. Deshalb sollen hier nur die drei über alle 6 Skalen hinweg berechneten Mittelwertdifferenzen mitgeteilt werden:

Zu 1) ältere Betreute M = 1,79,  jüngere Betreute M = 1,76;  Differenz = 0.03

Zu 2) länger Betreute M = 1,79,  kürzer Betreute M = 1,76;  Differenz = 0,03

Zu 3) männliche Betreute  M = 1,93,  weibliche Betreute M = 1,68;  Differenz = 0,25

Die geringfügigen Differenzen sprechen für eine relativ hohe split-half-Stabilität der Antwortskalen. Nur die Mittelwertdifferenz zwischen männlichen und weiblichen Betreuten könnte evtl. eine inhaltliche Deutung in dem Sinne erlauben, daß die weiblichen Klientinnen zu freundlicheren Antworten neigen oder tatsächlich von der Betreuung etwas mehr profitieren.

Eine übergreifende Interpretation der Befragung führt zu folgenden Schlußfolgerungen:

Die Klientenzufriedenheit liegt, wenn man sie mit ähnlichen Untersuchungen aus anderen Arbeitsfeldern vergleicht, ungewöhnlich hoch.

Da die Befragung nicht von einem Teammitglied durchgeführt wurde, sondern von einer nur vorübergehend anwesenden (sehr jungen) Kurzzeitpraktikantin, ist nicht zu befürchten, daß es sich um Antworten aus Autoritätsfurcht oder Opportunismus handelt. Dagegen sprechen auch die differenzierten Antwortbegründungen. Diese Einschätzung stützt sich zusätzlich darauf, dass viele der Befragten zum Abschluss nochmals äußerten, dass die Betreuung “allgemein gut” sei. Auch die Frage, ob die im Fragebogen formulierten Fragen angemessen gewesen seien, wurde bejaht.

Im Folgenden sollen zusammenfassend die Gründe für die Klientenzufriedenheit zitiert werden:

Am häufigsten ist das Aufzeigen von Grenzen, Möglichkeiten, Alternativen und möglichen Konsequenzen durch die Betreuer genannt worden, dicht gefolgt von der Betonung der Eigenverantwortlichkeit der Heranwachsenden. Desweiteren wurden die Unterstützung bei der allgemeinen Alltagsbewältigung, besonders in Bezug auf bürokratische Anliegen, die Analyse von Problemsituationen und das Aufweisen alternativer Lösungsmöglichkeiten sowie allgemein die Hilfe zur Selbsthilfe hervorgehoben.

Die relativ homogenen Ergebnisse lassen ferner die Vermutung zu, dass die interindividuellen Betreuungsunterschiede innerhalb des Teams keine große Rolle spielen. Aus der Sicht der Autoren zeichnet sich das Team u.a. durch langjährige gemeinsame Erfahrung, hohe Kooperationsfähigkeit, klientenzentriertes Engagement, tiefenpsychologisch orientierte Verstehensbereitschaft und nicht zuletzt durch ausgeprägten Humor aus.

Zum Abschluß ein Zitat einer der befragten Heranwachsenden, das die sozialtherapeutische Atmosphäre des BEW ”Sprungbrett” sehr treffend umschreibt: ”Wir bekommen Freiraum bei gleichzeitiger Geborgenheit.”
 

 

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