FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2001

 

Wann gelingt ein Pflegeverhältnis?

von Yvonne Gassmann (Sept. 99)

 

Vorbemerkung: Mit ihrer Lizentiatsarbeit an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH) legt Yvonne Grassmann eine Studie zur Wahrnehmung und zur Wirkung von Pflegebeziehungen vor. Sie liefert eine theoretisch und empirisch fundierte Analyse Schweizerischer Pflegeverhältnisse. Gefragt wurde nach den Formen der Belastungs- und Problembewältigung und nach den Ressourcen von Pflegefamilien. Deren Situation wird dabei systematisch und hypothesengeleitet betrachtet. 232 Pflegemütter und Pflegeväter aus 170 Pflegefamilien beantworteten über 200 Fragen. Die sorgfältig erhobenen Ergebnisse belegen, dass - wie in der Psychotherapie! - die Beziehungskompetenz der Pflegeeltern ein wesentlicher Faktor zur Entfaltung der therapeutischen Wirksamkeit von Pflegeverhältnissen ist. Zur leidigen Diskussion ‚Ersatzfamilie oder Ergänzungsfamilie?’ zeigte sich folgendes:
„Pflegefamilien, welche eher ein Ersatzfamilienverständnis haben, haben Pflegekinder, deren Integration in die Pflegefamilie stärker verwirklicht ist, als Pflegefamilien, die eher ein Ergänzungsfamilienverständnis haben. Dieser Befund ist relevant, da er in der Kontroverse um die Pflegefamilie als Ersatz- oder Ergänzungsfamilie, die Bedeutung der Pflegefamilie als Ersatzfamilie hervorhebt.“ (S.288)
C.M. (Juni 01)


Ein erstes Interesse der Untersuchung gilt der Frage, ob die Pflegeverhältnisse gelingen. Dabei wird angenommen, dass ein Pflegeverhältnis dann gelingt, wenn das Pflegekind sowohl von seiner Perspektive aus, als auch aus der Sicht der Pflegeeltern in die Pflegefamilie integriert ist, die Pflegeeltern das Gefühl haben, dass sie das aufgenommene Kind fördern können und glauben, selber in der Beziehung zum Pflegekind zu wachsen. Zusätzlich wird berücksichtigt, ob die Pflegeeltern mit der Entwicklung der Pflegebeziehung und ihrer Rolle als Pflegemutter bzw. Pflegevater zufrieden sind. Aufgrund dieser Beurteilung kann gesagt werden, dass die überwiegende Mehrheit der untersuchten Pflegeverhältnisse gelingt.

Auf einer Skala von eins bis sechs, die das Ausmaß des Gelingens veranschaulichen soll, bekommen die Pflegeverhältnisse durchschnittlich mehr als fünf Punkte. Es gibt viele verschiedene Faktoren, welche einen Zusammenhang zum Gelingen eines Pflegeverhältnisses haben; in die vorliegende Untersuchung konnten nur einzelne aufgenommen werden. Im folgenden werden einige dieser Zusammenhänge wiedergegeben. Vorab ist zu sagen, dass sich Dauer- und Wochenpflegeverhältnisse in bezug auf die Häufigkeit bzw. das Ausmaß des Gelingens nicht unterscheiden. Verwandtschaftliche Pflegeverhältnisse, bei welchen das Pflegekind mit seinen Pflegeeltern verwandt ist, gelingen etwas häufiger besonders gut als nicht verwandtschaftliche. Die bekannten Tatsachen, dass Pflegeverhältnisse mit jüngeren Kindern eher einfacher sind als solche mit älteren und dass sich ein tieferes Aufnahmealter eher positiv auf das Gelingen auswirkt, bestätigen die vorliegenden Daten. Pflegeverhältnisse von Personen, die sich aktiv um die Aufnahme eines Pflegekindes bemühten und von jenen, die sich insgesamt ausreichend auf die Aufnahme eines Pflegekindes vorbereiten konnten, gelingen mehrheitlich. Es erweist sich als hilfreich, wenn die Pflegeeltern wissen, wie lange das Pflegekind voraussichtlich bei ihnen leben wird.

Bedeutung der Herkunftsfamilie

Pflegeverhältnisse gelingen eher, wenn die Herkunftsfamilie des Pflegekindes nicht allzu vielen Belastungen gegenübersteht oder sich die Situation in der Herkunftsfamilie seit der Inpflegegabe des Kindes verbessert hat. Wenn die Pflegeeltern einerseits das Verhältnis zur Herkunftsfamilie als unterstützend erleben und/oder glauben, Unterstützung von den Herkunftseltern erwarten zu können, oder wenn anderseits tatsächlich Unterstützung erhalten wird, dann trägt dies zum Gelingen der Pflegeverhältnisse bei. Kinder aus solchen unterstützenden Herkunftsfamilien machten meist weniger traumatische Erfahrungen (starke Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch) und wechselten ihren Betreuungsort vor der Inpflegegabe seltener. Diese Kinder zeigten bei der Inpflegegabe auch weniger Verhaltensauffälligkeiten. Besonders Pflegekinder, die sich schnell an die neuen Bezugspersonen und die neue Umgebung anpassen konnten, sind gut in die Pflegefamilie integriert. Diese Kinder haben insgesamt weniger Probleme. Sie erfahren auch weniger Loyalitätskonflikte zwischen ihrer Pflege- und Herkunftsfamilie und reagieren auf Besuchskontakte in ihrer Herkunftsfamilie positiv. Die Pflegeeltern solcher Kinder erleben Besuchskontakte nicht als Belastung. Pflegeeltern, die in ihrer Rolle insgesamt eher wenigen Belastungen gegenüberstehen, zeitlich durch das Pflegeverhältnis nicht übermäßig belastet werden und sich gut an die Pflegebeziehung gewöhnt haben, sind mit der Entwicklung der Pflegebeziehung mehrheitlich zufrieden.

Ressourcen der Pflegeeltern

Neben solchen Ausgangsbedingungen und wahrgenommenen Belastungsfaktoren wurden die Pflegeeltern auch nach bestimmten Aspekten gefragt, die das Gelingen eines Pflegeverhältnisses positiv beeinflussen können. Im Rahmen der Untersuchung wird dabei von entlastenden Faktoren oder von Ressourcen gesprochen. Es zeigt sich, dass eine allgemeine positive Einstellung zum Leben bzw. Freude am Leben, Vertrauen sowie das Selbstvertrauen der Pflegeeltern, verschiedene Probleme kompetent angehen und meistern zu können, entscheidend mit dem Gelingen des Pflegeverhältnisses zusammenhängen. Die hohe Bereitschaft der Pflegeeltern, sich auf Diskussionen einzulassen, erweist sich als hilfreich. Pflegeeltern, die mit ihren Pflegeverhältnissen zufrieden sind, denken tendenziell, dass sie sich nicht stark von „normalen“ Familien unterscheiden. In vielen Pflegefamilien, in welchen die Pflegeverhältnisse gut gelingen, teilen sich die Pflegeeltern die Rollen so, dass die Pflegemutter mehrheitlich zu Hause und der Vater mehrheitlich außer Haus tätig ist. Entscheidend scheint dabei die Tatsache, dass sich beide Pflegeelternteile für die Erziehung des Kindes bzw. der Kinder verantwortlich fühlen und dass die Pflegeeltern mit der Verteilung der Rollen zufrieden sind. Die ersten Resultate der Untersuchung nennen einige Faktoren, die im Zusammenhang mit dem Gelingen eines Pflegeverhältnisses stehen. Allerdings ist nicht geklärt, ob tatsächlich immer die einzelnen Faktoren positiv zum Gelingen beitragen, oder ob gerade das Gelingen des Pflegeverhältnisses seinerseits auf diese Faktoren wirkt. In keiner der untersuchten Pflegefamilien wurden alle Faktoren, die in einen Zusammenhang mit dem Gelingen gebracht wurden, gefunden. Es zeigt sich vielmehr, dass manchmal bereits einzelne dieser Ressourcen reichen, damit ein Pflegeverhältnis gelingen kann. Es gibt umgekehrt auch Pflegeverhältnisse, die gelingen, obwohl sie hohen Anforderungen und Belastungen gegenüberstehen.

In: Das Netz, H.3, 1999

Zur Autorin

Yvonne Gassmann führte diese Untersuchung
im Rahmen ihrer Lizentiatsarbeit
an der Universität Freiburg durch.
Ihre Adresse: Wohleiberg 9A, 3202 Frauenkappelen

 

 

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