- Einleitung
- Demographische Daten zum Alkohol
- Definition von FAS/FAE
- Klinische Untersuchungen von Personen mit FAS/FAE
- Kinder alkoholabhängiger Mütter
- Epidemiologische Studien
- Tierstudien
- Behandlung von FAS/FAE
- Prävention von FAS
- Danksagung
- Literatur
Zusammenfassung
Das fötale Alkoholsyndrom (FAS) ist seit Ende der 60er Jahre als klinische Entität anerkannt. Es ist die häufigste Ursache für eine geistige Retardierung, noch vor dem Down-Syndrom und der Spina bifida. Die Prävalenz schwankt je nach untersuchter Population zwischen 1 zu 100 und 1 zu 1000, aber es wurde auch eine Prävalenz von 1 zu 8 in einem kanadischen Indianerdorf beschrieben. Das FAS wird oft übersehen, da es eine sehr unterschiedliche Ausprägung besitzt und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und des Medizinbetriebs nicht ausreichend ist. Das Risiko für Alkoholikerinnen, die während der Schwangerschaft trinken, ein FAS-geschädigtes Kind zur Welt zu bringen, ist 32%-43% und abhängig von der zugeführten Alkoholmenge sowie dem Stadium der Chronizität. Zu der Definition des FAS gehören:
- pränataler Minderwuchs
- bestimmte körperliche Anomalien, insbesondere des Gesichtes
- ZNS- und Verhaltensstörungen.
Leichte oder inkomplette Formen werden oft FAE (fötaler Alkoholeffekt) genannt. In Deutschland werden FAS und FAE oft unter dem Begriff der Alkoholembryopathie (AE) zusammengefaßt. Mit zunehmendem Alter verlieren sich oft die körperlichen Zeichen des FAS. Die Schwere der körperlichen Beeinträchtigung korreliert oft mit der Schwere der geistigen Behinderung bei den betroffenen Personen. Das Ausmaß der geistigen Beeinträchtigung bleibt zumeist über viele Jahre konstant. Die meisten FAS-Patienten sind unfähig, die Anforderungen des täglichen Lebens allein zu bewältigen. Selbst wenn kein FAS diagnostiziert wurde, weisen Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft ihren Alkoholismus fortsetzen, zu ca. 33% geistige, neurologische und soziale Entwicklungsstörungen auf. Epidemiologische Studien zeigen, daß bereits zwei bis drei Drinks pro Tag zu stark vermindertem Geburtsgewicht führen können. Auch die Fehlbildungsrate ist dosisabhängig, während die Dosisabhängigkeit für kognitive motorisch-neurologische und soziale Beeinträchtigungen nicht sicher geklärt ist bzw. unterschiedliche Entstehungsbedingungen für die einzelnen Störungen vorliegen. Obwohl sehr häufig, ist das FAS durch Abstinenz der Mütter während der Schwangerschaft komplett vermeidbar. Eine sichere Schwellendosis für den mütterlichen Alkoholkonsum gibt es nicht. Es muß daher eine komplette Alkoholabstinenz gefordert werden. Festzuhalten bleibt, daß bezüglich des FAS ein großes Informationsdefizit in der Öffentlichkeit besteht.
1. Einleitung
Nach heutigem Erkenntnisstand kann davon ausgegangen werden, daß Alkohol sowohl für den Menschen als auch für Tiere eine teratogene Noxe darstellt. Durch pränatale Alkoholexposition können eine Vielzahl dauerhafter Behinderungen und Schädigungen auftreten. Dazu zählen Minderwuchs, körperliche Mißbildungen, Schädigungen des Zentralnervensystems und sogar Fötustod. Zu den schwersten Langzeitschäden gehören Verhaltensstörungen, die mit einer Schädigung des Zentralnervensystems einhergehen. In den letzten Jahren gelangte man zu der Erkenntnis, daß Personen nach Alkoholexposition in utero verstärkt mit verschiedenen sekundären Problemen konfrontiert sind. Beobachtet wurden beispielsweise Schulversagen, häufiger Arbeitsplatzverlust, Alkohol- und Drogenabusus, Gesetzesverstöße und Geisteskrankheiten.
Im Jahre 1973 wurde von Jones und Smith ein spezifisches Muster von Defiziten beschrieben, das bei Kindern alkoholabhängiger Mütter auftritt und unter dem Begriff "Fetales Alkoholsyndrom" (FAS) zusammengefaßt wird (1973 a). Obwohl das Problem bereits vor 20 Jahren erkannt wurde, besteht immer noch ein immenser Forschungsbedarf zu den Merkmalen der Betroffenen. Bisher haben sich die Untersuchungen auf Expositionsmodelle von Tieren, Längsschnittuntersuchungen des IQ und des erreichten Bildungsniveaus von Kindern alkoholabhängiger Eltern sowie auf Untersuchungen der Auswirkungen eines mäßiggradigen Alkoholkonsums bei Schwangeren konzentriert. In jüngerer Zeit hat sich die Forschung schwerpunktmäßig mit der Korrelation zwischen Neuroimaging und den Verhaltenstörungen von Kindern mit pränataler Alkoholexposition befaßt. Eine möglichst frühzeitige Erkennung bietet die Voraussetzung für die Erarbeitung und Durchführung von Maßnahmen, die darauf abzielen, Personen mit FAS die volle Entfaltung ihres geistigen und sozialen Potentials zu ermöglichen.
Durch eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die negativen Auswirkungen des Alkohols auf das ungeborene Kind und die Verbesserung des Zugangs von Schwangeren zu Einrichtungen, die sie bei der Vermeidung von Alkohol während der Schwangerschaft unterstützen, sollte es möglich sein, in Zukunft das ungeborene Leben vor den verheerenden Auswirkungen des Alkohols zu bewahren.
Im folgenden werden die Ergebnisse erläutert, die anhand von vier unterschiedlich ausgerichteten Untersuchungen über die pränatale Alkoholexposition gewonnenen wurden: klinische Fallstudien zu Kindern mit FAS, Untersuchungen über Kinder von alkoholabhängigen Müttern, Bevölkerungsstudien und Tierstudien. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Schädigungen durch pränatale Alkoholexposition, die in ähnlicher Weise bei allen Studien beobachtet werden. Einen weiteren Schwerpunkt dieses Kapitels bildet die Darstellung der Entwicklungsstadien von der Geburt bis zum Erwachsenenalter auf der Grundlage repräsentativer Untersuchungen. Zum Abschluß werden spezielle Hinweise zur Prävention und Behandlung von FAS gegeben. Die Begriffe FAS und FAE (Fetal Alcohol Effects - fötale Alkoholwirkungen) werden in diesem Kapitel so verwendet, wie sie von den Teratologen in Seattle von 1973 bis 1994 verwandt wurden, das heißt, es besteht keine vollständige Übereinstimmung mit der vom Institute of Medicine (IOM) ( 1996) vorgeschlagenen Begriffsbestimmung.
2. Demographische Daten zum Alkohol 2.1 Alkoholkonsum/Trinkverhalten
Betrachtet man den Alkoholkonsum pro Kopf in den Jahren 1970, 1980 und 1990 in 23 Ländern innerhalb der OECD, so offenbaren sich regionale und geographische Unterschiede (Edwards et al. 1994). Die sechs Länder mit dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf waren Osterreich, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Spanien und die Schweiz mit jeweils über 10 Litern im Vergleich zu den USA mit 7 ,5 Litern. Dabei fällt auf, daß der Alkoholkonsum pro Kopf in all diesen Ländern, ausgenommen Luxemburg und der Schweiz, von 1980 bis 1990 abfiel. Auch wenn diese Pro-Kopf- Daten interessant sind, spiegeln sie nicht mögliche wichtige Korrelationen und Trinkgewohnheiten wider, wie sie für unser Verständnis von der Rolle des Alkohols bei Geburtsfehlern entscheidend sind.
Bei näherer Betrachtung des Alkoholkonsumverhaltens US-amerikanischer Frauen wird deutlich, wie stark diese variieren können. Nach einer 1991 in den USA .durchgeführten nationalen Untersuchung von 1099 Frauen im Alter von mindestens 21 Jahren, hatten 58% der Frauen in den vergangenen 12 Monaten Alkohol getrunken, 44% davon berichteten im Durchschnitt 0-3 übliche alkoholische Getränke pro Woche zu sich zu nehmen, 12% erklärten, in der vorangegangenen Woche 4-13 Drinks und 3% mehr als 14 Drinks pro Woche zu konsumieren (Wilsnack et al. 1994). Die höchsten Zahlen waren bei 20jährigen mit 73% und bei 30jährigen mit 69% zu verzeichnen. Historische Daten deuten auf eine leichte Abnahme seit den 80er Jahren hin.
Dem Ninth Special Report to Congress on Alcohol and Health (NIAAA - 9. Sonderbericht zu Alkohol und Gesundheit an den US-amerikanischen Kongreß, 1997) zufolge sank zwar offenbar der Alkoholkonsum schwangerer Frauen in den USA insgesamt, war jedoch unverändert bei einigen Gruppen mit hohem Risiko. Zu diesen Gruppen zählten Raucherinnen, unverheiratete und ungebildete Frauen, Afroamerikaner und Hispanoamerikaner.
Eine kürzlich von den Centers for Disease Control and Prevention (Zentren zur Überwachung und Prävention von Krankheiten) durchgeführte Studie (Ebrahim et al. 1998) bestätigt zunächst die Abnahme des Alkoholkonsums bei schwangeren Frauen (von 23% im Jahr 1988 auf 10% bis Mitte 1992), stellte dann aber eine Zunahme auf 15% bis 1995 fest. Der Prozentsatz für Gelegenheitstrinken ( definiert als mindestens 5 alkoholische Getränke zu einem Zeitpunkt mindestens einmal im vorangegangenen Monat) und/oder häufiges Trinken (wenigstens 7 alkoholische Getränke pro Woche im vergangenen Monat) fiel von 3,9% im Jahr 1988 auf 0,9% bis Ende 1991 und stieg dann bis 1995 wieder auf 3,5% an. Diese vorübergehende Abnahme und daran anschließende Zunahme des Alkoholkonsums wurde bei allen Untergruppen schwangerer Frauen festgestellt. Als mögliche Gründe für diese Ergebnisse wird angeführt, daß in den 80er Jahren in der Öffentlichkeit vor den negativen Auswirkungen des Alkohols in der Schwangerschaft gewarnt wurde, wohingegen seit November 1991 in den Medien verstärkt die positiven Auswirkungen des Alkohols hervorgehoben werden. Die Autoren des Berichts forderten die Behörden auf, Anstrengungen zur Aufklärung von Frauen über die Gefahren des Alkoholkonsums zu unternehmen, zu vermehrter Behandlung und Überweisung und zur Bereitstellung von Kontrazeptiva für Problemtrinkerinnen.
2.2. Inzidenz und Prävalenz von FAS, FAE und ARND
Über die Inzidenz und Prävalenz von FAS liegen verschiedene Schätzungen vor, die in Abhängigkeit von den untersuchten kulturellen/geographischen Stichproben Unterschiede aufweisen. In drei frühen Studien wurden Neugeborene systematisch untersucht und dabei folgende Inzidenz ermittelt: Roubaix/Frankreich 1: 1000 Lebendgeborene (Dehaene et al. 1981), Göteborg/Schweden 1 :600 (Olegard et al. 1979) und Seattle/USA 1 :750 (Hanson et al. 1978). Seither wurde in einer Reihe von Studien versucht, die FAS-Inzidenz zu ermiteln (Abel und Sokol 1987, 1991), da aber die Mehrzahl dieser Untersuchungen Sampson und Mitarbeitern zufolge (1997) nicht einmal die für die Bestimmung der Inzidenz mindestens erforderlichen Kriterien erfüllt und hinsichtlich des Probenumfangs, der Erkennung und der diagnostischen Kriterien sehr stark variiert, ist es nicht möglich, aus diesen Studien eine aussagekräftige Schätzung über die FAS-Inzidenz in der "westlichen Welt" herzuleiten. Passive Überwachungssysteme, die sich auf Register von Geburtsfehlern oder medizinische Unterlagen stützen, aus denen weder die untersuchenden Ärzte noch die diagnostischen Kriterien hervorgehen, reichen ebenfalls nicht aus, um die Inzidenz einer Erkrankung wie FAS zu schätzen, deren Diagnose schwierig und möglicherweise mit einem Stigma behaftet ist und für die es keine biologischen Marker gibt. Obwohl eine FAS-Diagnose bei der Geburt für die Behandlung der Mutter und des Kindes von Vorteil ist, gehört eine entsprechende Diagnostik, wie Little und Mitarbeiter (1990) für Texas nachweisen, in vielen großen Krankenhäusern noch nicht zum Standard.
1997 hat eine Gruppe von acht Wissenschaftlern und Ärzten (Sampson et al. (1997), die sich in den vergangenen 20 Jahren mit der Identifikation und Erforschung von FAS befaßt hatten, die Literatur zur FAS-Inzidenz durchforstet und eine Methode entwickelt, wie die Daten zur FAS-Inzidenz aus Roubaix, Frankreich (Dehaene et al. 1991), und Seattle, Washington (Hanson et al. 1978, Clarren und Smith 1978, Streissguth et al. 1993a), vergleichend zu bewerten sind und wie sich diese Daten mit der neuen vom Institute of Medicine ( 1996) entwickelten Nomenklatur für Personen mit pränataler Alkoholexposition, die keine volle FAS-Symptomatik aufweisen, in Einklang bringen lassen. Diese Autoren (Sampson et al. 1997) überprüfen die für eine valide Schätzung der FAS-Inzidenz erforderlichen Kriterien, nennen die drei Populationsstudien, die am ehesten diese Kriterien erfüllen und korrigieren dann die Daten zur Berücksichtigung der nicht diagnostizierten Individuen mit schwerer pränataler Alkoholexposition. Für Seattle kann die FAS-Inzidenz 1975 auf wenigstens 2,8:1000 Lebendgeburten geschätzt werden und für Cleveland, Ohio von 1979-1981 auf etwa 4,6:1000. In Abhängigkeit vom Schweregrad der als diagnostische Kriterien herangezogenen Auswirkungen liegt die Inzidenz in Roubaix, Frankreich, von 1977-1990 zwischen 1,3 und 4,8 zu 1000 Lebendgeburten.
Die Schätzung der Prävalenz alkoholbedingter Störungen der neurologischen Entwicklung (ARND - Alcohol-Related Neurodevelopmental Disorder) in Seattle basiert auf einer Kohorte von mehr als 500 Kindern, die 1974 und 1975 in Seattle geboren wurden und deren Mütter Teil einer größeren Gruppe waren, die in der Hälfte der Schwangerschaft nach ihrem Alkoholkonsum gefragt wurden. Die Kinder dieser Studie wurden von ihrem ersten Lebenstag an bis zum Alter von sieben Jahren standardisierten Untersuchungen durch Ärzte unterzogen, die keine Kenntnis der Alkoholexposition hatten. Die Testreihen schlossen Tests zur Bewertung der Aufmerksamkeit, der neuromotorischen und geistigen Funktionen und, im Alter von sieben Jahren auch der Lernprobleme ein. Kinder innerhalb der Gruppe wurden als ARND klassifiziert, wenn sie sich unter den 7,5% mit der schwersten Alkoholexposition befanden (hierbei wurde eine Latenzvariable basierend auf 13 verschiedenen Messungen des Alkoholkonsums errechnet) sowie unter den 7,5 % mit den schwersten neuromotorischen Störungen bis zum Alter von sieben Jahren und wenn sie außerdem noch schlecht in Leistungstests abschnitten. Das untersuchte Patientengut zeichnete sich durch eine Seattle-typische Demographie aus (vornehmlich weiß, verheiratet, aus dem Mittelstand), mit einem geringen Risiko für Fehlgeburten, da alle Mütter ab der Hälfte der Schwangerschaft an den Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen teilnahmen. In Seattle liegt die FAS-Inzidenz und ARND-Prävalenz bei insgesamt 9,1: 1000 (Sampson et al. 1997).
Zahlreichen Studien ist zu entnehmen, daß das FAS-Risiko in solchen Fällen größer ist, wenn der Alkoholabusus mit einem niedrigeren sozialen Status, Armut und niedrigem Bildungsniveau einhergeht. Die ersten Untersuchungen zur FAS-Prävalenz wurden in Indianerreservaten im Südwesten der USA durchgeführt. In Abhängigkeit vom jeweiligen Stamm ermittelten May und Mitarbeiter (1983) eine FAS-Prävalenz von 1,3:1000 bis zu 10,3:1000. In einigen Reservaten brachte eine kleine Anzahl von einzelnen alkoholabhängigen Müttern die meisten FAS-Kinder zur Welt. In anderen Reservaten war dagegen der Alkoholkonsum unter Frauen insgesamt weiter verbreitet, gleichzeitig war eine höhere FAS-Prävalenz zu verzeichnen, und die FAS-Geburten verteilten sich auf eine größere Anzahl alkoholabhängiger Frauen. Robinson und Mitarbeiter (1987) ermittelten sogar eine FAS-Prävalenz von 1:8 in einem kanadischen Indianerdorf mit stark verbreitetem Alkoholismus. Bei einer verarmten Bevölkerung von Afrikanern, Indern und Weißen auf der Ile de la Reunion, einer Insel, auf der Rum produziert wird und die eine siebenmal höhere Alkoholismusrate als Frankreich aufweist, ermittelte Lesure (1988) zwischen 1976 und 1982 eine FAS-Prävalenz von 6:1000 Lebendgeborenen.
Die Bestimmung des Risikos einer alkoholabhängigen Frau, ein Kind mit FAS zu bekommen, gestaltet sich aus methodologischer Sicht schwierig. Dennoch liegen zu dieser Problematik zwei umfassende Untersuchungen vor. Jones et al. (1974) gelangten unter Verwendung von Aufzeichnungen aus dem Perinatal Collaborative Project des National Institute of Neurological Diseases and Blindness zu der Annahme, daß dieses Risiko für Mütter unterer sozialer Schichten, die vor und während der Schwangerschaft alkoholabhängig waren, etwa 32% beträgt. Bei Kindern von sorgfältig ausgewählten nichtalkoholabhängigen Kontrollpersonen wurden dagegen keine FAS-Merkmale festgestellt. Seidenberg und Majewski (1978) schätzten das FAS-Risiko in Auswertung einer Stichprobe unter deutschen Müttern unterer sozialer Schichten auf 43 %. Darüber hinaus wurde von Majewski (1981, 1993) anhand von Beobachtungen bei 200 Kindern nach Alkoholexposition ein Zusammenhang zwischen dem Grad der Alkoholembryopathie (AE) und der Chronizität des maternalen Alkoholismus nachgewiesen. Im kritischen Stadium von Alkoholismus (entsprechend den Jellinek-Phasen) wiesen 21% der Kinder AE auf. Bei Müttern im chronischen Stadium des Alkoholismus betrug die AE-Rate sogar 41%. Diese Ergebnisse belegen, daß nicht nur der Menge des maternalen Alkoholkonsums während der Schwangerschaft, sondern auch der Chronizität des maternalen Alkoholismus als Risikofaktor für das Austragen von Kindern mit FAS große Bedeutung zukommt. Für Frauen, die bereits ein Kind mit FAS geboren haben und denen es nicht gelingt, den Alkoholabusus aufzugeben, ist das Risiko der Geburt weiterer FAS-geschädigter Kinder besonders hoch (May et al. 1983).
Allein in den Vereinigten Staaten belaufen sich die Kosten, die aus ausgewählten FAS-Beeinträchtigungen entstehen, auf etwa 321 Mio. Dollar pro Jahr. Die Kosten einer lebenslangen Betreuung von FAS-Patienten wurden im fahre 1980 für die USA auf 596000 Dollar und im fahre 1989 auf 1,4 Mio. Dollar pro Kind geschätzt (Streissguth 1990). Weiterhin wird geschätzt, daß von den 11,7 Mrd. Dollar, die jährlich für Wohn- und Unterstützungsbeihilfen von geistig Behinderten in den USA aufgewendet werden, 11% für Personen mit FAS ausgegeben werden (Abel und Sokol 1987). Nach Schätzungen von Abel und Sokol (1991) bewegen sich die Kosten für FAS-Patienten in den Vereinigten Staaten zwischen 75 Millionen und 9,7 Milliarden Dollar (Harwood und Napolitano 1985).
Diese Kosten verdeutlichen das Ausmaß der durch FAS hervorgerufenen Schädigungen und heben die Notwendigkeit weiterer Forschungstätigkeit hervor, die auf die Entwicklung effizienter Strategien zur Erkennung und Prävention des Syndroms gerichtet sein muß.
3. Definition von FAS/FAE
Die Diagnose von FAS kann gestellt werden, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind:
- Minderwuchs in der pränatalen Phase in Hinsicht auf Größe und Gewicht;
- Vorhandensein eines Musters von spezifischen kleineren Anomalien, zu denen charakteristische Merkmale im Gesicht, wie kurze Lidspalten, Hypoplasie im Mittelgesicht, schmales Lippenrot, flaches und/oder langes Philtrum gehören, und
- Fehlfunktion des Zentralnervensystems (ZNS), einschließlich Mikrozephalie, Entwicklungsretardierung, Hyperaktivität, Konzentrationsschwäche, Lernschwäche, Intelligenzmangel, Anfälle usw. (Clarren und Smith 1978; Smith 1982).
Weisen Patienten nach Alkoholexposition in utero einen teilweisen FAS-Phänotyp und/oder eine ZNS-Fehlfunktion, jedoch keine ausreichenden Symptome für eine Diagnose auf FAS oder eine andere Erkrankung auf, werden diese als Patienten mit möglichem fötalem Alkoholeffekt (FAE) bezeichnet (Clarren und Smith 1978). FAE ist ein für Klinik und Forschung nützlicher Begriff, bezeichnet aber nicht eine spezifische medizinische Diagnose. FAE beschreibt einen Zustand, bei dem Alkohol als eine der möglichen Ursachen für die Probleme eines Patienten angenommen wird, es handelt sich dabei nicht einfach um eine leichtere Form von FAS (Sokol und Clarren 1989). Ohne das Vorliegen einer eindeutigen pränatalen Alkoholexposition in der Anamnese hat der Terminus FAE keine Bedeutung.
Das Institute of Medicine (IOM 1996) setzte einen Ausschuß zur Untersuchung von FAS ein und schlug vor, den diagnostischen Begriff "FAS" in drei Untergruppen aufzuteilen, und zwar jeweils in Abhängigkeit vom Vorliegen oder Fehlen eines maternalen Alkoholkonsums, vom Vorliegen oder Fehlen der gesamten typischen Gesichtsanomalien und von der Tatsache, ob es sich bei den ZNS-Störungen um weiche oder harte neurologische Symptome handelt oder eine Serie von kognitiven Störungen/Verhaltensstörungen, wie Lernschwierigkeiten, schulische Leistungsschwächen, schlechte Impulskontrolle, Probleme bei der sozialen Wahrnehmung, verstärkter Gebrauch rezeptiver oder expressiver Sprache, schwach ausgeprägte Fähigkeit zur Abstraktion, spezifische Schwierigkeiten beim Rechnen, Probleme mit dem Erinnerungs- und Urteilsvermögen und Konzentrationsschwäche. Das Institute of Medicine machte weiterhin den Vorschlag FAE in zwei Kategorien einzuteilen: Alcohol-Related Birth Defects (ARBD - alkoholbedingte Geburtsfehler) und Alcohol-Related Neurodevelopmental Disorder (ARND - alkoholbedingte neurologische Entwicklungsstörungen). Für beide Kategorien müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: maternaler Alkoholkonsum in der Vorgeschichte und klinische oder tierexperimentelle Studien, die nachweisen, daß ein Zusammenhang zwischen der Schädigung und dem maternalen Alkoholkonsum besteht (IOM 1996). (Jede der obengenannten ZNS-Störungen würde damit als ARND gelten.)
FAS erfordert eine besondere medizinische Diagnose, die in der Regel nur von Teratologen, Genetikern oder Pädiatern mit einer speziellen Ausbildung bzw. Erfahrung auf dem Gebiet von Geburtsdefekten gestellt werden kann. Leider erhalten die meisten Ärzte keine besondere Ausbildung zur Diagnostizierung von FAS, was dazu führt, daß viele Personen mit FAS unerkannt bleiben. Das optimale Alter für die Diagnose von FAS liegt zwischen acht Monaten und acht Jahren. Da die charakteristischen Gesichtsmerkmale im Jugend- und Erwachsenenalter weniger ausgeprägt sind und der im Kindesalter beobachtete Minderwuchs nach der Pubertät häufig verschwindet (Streissguth et al. 1985, 1991 a). In einer kürzlich durchgeführten Studie zu den sekundären Folgen der Alkoholexposition konnte nachgewiesen werden, daß eine frühe Diagnose vor der Entwicklung sekundärer Folgen wie Schulversagen, Geisteskrankheiten, Gesetzesverstöße usw. schützen kann (Streissguth et al. 1996, 1997a). Für die Diagnose von FAS genügt nicht nur das Ausfüllen von Fragebögen und Checklisten; zur Bestätigung ist darüber hinaus eine körperliche Untersuchung durch erfahrenes Fachpersonal erforderlich. FAS wird im allgemeinen aufgrund der Gesichtsgestaltung insgesamt oder dem Auftreten einer Reihe von charakteristischen Gesichtsanomalien erkannt und nicht anhand einzelner spezifischer Merkmale (Astley et al. 1992; Rostand et al. 1990). Gemäß der IOM-Klassifizierung (1996) sind die Anomalien in der zentralen Gesichtsregion zu finden und bilden ein "T". Der horizontale Balken des "T" wird dabei durch die Augen und die innere kanthale Region gebildet und ist gekennzeichnet durch palpebrale Fissuren weit unter 2 altersentsprechenden Standardabweichungen. Der vertikale Balken des "T" umfaßt Nase und Philtrum und ist gekennzeichnet durch ein flaches oder hypoplastisches Philtrum und schmale Oberlippe. Bisher sind noch keine Standards für die eindeutige Klassifizierung des Grades der Anomalität für die echte Fallerkennung definiert worden. Eine Methode, basierend auf einer umfassenden Checkliste von charakteristischen FAS-bedingten Merkmalen, hat sich in der Forschung und beim klinischen Screening (zwecks Überweisung an einen Teratologen) bewährt, ist aber offenbar weniger geeignet zur akuten klinischen Diagnose (Aase 1994). Eines der Hauptprobleme von Checklisten besteht in der kürzlich festgestellten Rückbildung der charakteristischen körperlichen Merkmale mit zunehmendem Alter. Aus diesem Grund kann die Diagnose bei älteren Patienten durch Fotografien aus der Kindheit wesentlich erleichtert werden. Andererseits werden auch bei der ausschließlichen Untersuchung von Neugeborenen einige Patienten nicht erkannt. da bei dieser Untersuchungsmethode nur die am schwersten betroffenen Kinder ermittelt werden können. Weiterhin können die normalen Variationen charakteristischer Gesichtsmerkmale bei spezifischen ethnischen Gruppen eine Diagnose erschweren. Bei afroamerikanischen Kindern, für die breite Lippen charakteristisch sind, kann die FAS-typische schmale Lippe unerkannt bleiben. Ebenso kann die große Statur, wie sie bei bestimmten nordeuropäischen und afrikanischen Völkern typisch ist, einen FAS-bedingten Minderwuchs verdecken (Aase 1994). Um die Erfassung von Betroffenen zu maximieren, müssen demzufolge solche ethnischen Merkmale bei der Diagnosestellung berücksichtigt werden.
Eine Reihe von Wissenschaftlern hat eine neue Methode zur Systematisierung der Diagnose untersucht (Astley und Clarren 1995; Aase 1994; Sokol et al. 1991). Dabei stützt man sich als Hilfestellung bei der Diagnose auf die Verwendung der Computerdigitalisierung von Gesichtsmerkmalen in Fotografien. Clarren und Mitarbeitern (1987) gelang es, FAS-charakteristische Merkmale zu quantifizieren. Ihre Methode beruht auf der computergestützten morphometrischen Analyse der Fotografien der Gesichter von Kindern im Alter von sieben Jahren mit schwerer pränataler Alkoholexposition. Vor kurzem beschrieben Astley und Clarren (1997) eine computerunterstützte Methode zur Bewertung von FAS-typischen Gesichtsmerkmalen anhand von Frontalaufnahmen und eine Methode zur Standardisierung der spezifischen Merkmale, wie schmales Lippenrot und hypoplastisches Philtrum. Nach dieser Methode werden die wichtigsten FAS/FAE-Merkmale zur Systematisierung der Klassifikation, der Schweregrad der Affektion des Gesichts, des Wachstums und des Hirns (statische Enzephalopathie) und des Ausmaßes der Exposition nach einer 4-Punkte Likert-Skala eingeteilt. Mit diesem System wird die Rolle der psychologischen, neurologischen und linguistischen Daten bei der FAS-Diagnostik berücksichtigt, die als Aufgabe eines multidisziplinären Teams angesehen wird. Zur Quantifizierung einiger auffälliger Verhaltensmerkmale von FAS/FAE haben Streissguth und Mitarbeiter (1998) einen Fetal Alcohol Behavior Scale (FABS -Verhaltensskala für pränatale Alkoholexposition) entwickelt (Jahre zuvor war eine vergleichbare Skala zum Autismus bei Kindern entwickelt worden). Escobar und Mitarbeiter (1993) gingen einen anderen Weg. Sie untersuchten fünf schwangere Frauen mittels computerunterstützter morphometrischer Analyse und stellten dabei kraniofaziale Anomalien fest, die bei routinemäßigen Ultraschalluntersuchungen nicht erkannt worden waren. Entsprechend können potentielle neue Hilfsmittel zum klinischen Screening vielversprechende ergänzende Informationen zur Optimierung der Diagnose liefern.
Die von europäischen Klinkern angewandten Kriterien zur Diagnose von FAS gleichen den von US-amerikanischen Teratologen angewandten Methoden, daher kann die zur Diagnose im frühen Kindesalter vorliegende Literatur zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Zu den europäischen Medizinern, die mit FAS-Patienten arbeiten, zählen Aronson (1984, 1997), Aronson und Olegard (1987), Aronson et al. (1985), Aronson und Hagberg (1998), Autti-Rämö et al. (1992), Bierich (1978), Dehaene (1995), Dehaene et al. (1977, 1991), Gairi (1990), Larroque und Kaminski (1998), Lemoine et al. (1968), Lemoine und Lemoine (1992), Löser (1995), Löser und Majewski (1977), Löser und Ilse (1991), Majewski (1978, 1981, 1993), Majewski et al. (1976, 1978), Majewski und Majewski ( 1988), Olegard et al. (1979), Spohr und Steinhausen (1984, 1987, 1996), Spohr et al. (1993), Steinhausen (1995), Steinhausen et al. (1982, 1984, 1993, 1994), Steinhausen und Spohr (1998) und Strömland (1985). Ein offensichtlicher Unterschied der europäischen Kliniker besteht jedoch in der Anwendung eines Klassifikationssystems, nach dem zwischen leichtem, mittlerem und starkem FAS unterschieden wird (Dehaene et al. 1977, 1991; Majewski 1987, 1993; Majewski und Majewski 1988). Dieses System entspricht nicht den in den Vereinigten Staaten angewandten Klassifikationskriterien, wo die Begriffe FAS und FAE eher entsprechend dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von spezifischen Kriterien zur Diagnose von FAS und nicht aufgrund der Schwere per se verwendet werden. Nach unserer Auffassung entspricht der deutsche Begriff AE noch am ehesten dem, was in der US-amerikanischen Literatur und in diesem Kapitel mit dem Begriff FAS/FAE bezeichnet wird.
4. Klinische Untersuchungen von Personen mit FAS/FAE
Ausgehend von den frühen Arbeiten von Jones und Smith im Jahre 1973 (1973a, b), wurden in der Literatur zahlreicher Länder, darunter Deutschland, Frankreich, USA, Schweden, Finnland und Tschechoslowakei, Hunderte von Fallbeschreibungen zu dieser Thematik veröffentlicht. Besonders auffällig sind dabei die Übereinstimmungen bei den Beeinträchtigungen, die bei den klinischen Stichproben verschiedener Kulturkreise festgestellt wurden.
So wurde in allen Studien übereinstimmend über Minderwuchs pränatalen Ursprungs berichtet. Kinder mit FAS liegen in Hinsicht auf Größe, Gewicht und Kopfumfang unter der zehnten Perzentile. In einer zehnjährigen Nachfolgeuntersuchung an 8 von ursprünglich 11 Kindern mit diagnostiziertem FAS wurde festgestellt, daß das Untergewicht mit Einsetzen der Pubertät wieder ausgeglichen wurde (Streissguth et al. 1985). Dies galt insbesondere für Mädchen, von denen einige sogar adipös wurden. Majewski und Majewski (1988) berichteten ebenfalls, daß ihre AE-Patienten mit zunehmendem Alter einen geringer werdenden Minderwuchs aufwiesen. Sowohl Streissguth et al. (1991 a) als auch Lemoine und Lemoine (1992) stellten fest, daß Minderwuchs zu den Hauptmerkmalen bei FAS-Patienten zählt, deren Entwicklung bis in das Erwachsenenalter verfolgt wurde, selbst wenn einige davon später eine normale Größe erreichten.
Nachfolgeuntersuchungen bei FAS-Patienten in den USA und Europa haben vergleichbare Ergebnisse hinsichtlich der langfristigen Folgen für das Wachstums erbracht. Viele der charakteristischen FAS-Dysmorphien verschwinden allmählich mit zunehmendem Alter, und auch das Minderwachstum wird weniger augenfällig. Bei Jugendlichen und insbesondere bei Mädchen kommt es offenbar zu einem Gewichtsausgleich (Aase 1994; Lemoine und Lemoine 1992; Spohr et al. 1993; Streissguth et al. 1985, 1991a). Auch der Kopfumfang bleibt nicht bei allen Erwachsenen mit FAS unter dem normalen Umfang (Streissguth 1991a). Während einer 10jährigen Beobachtungszeit stellten Spohr und Mitarbeiter (1993) bei 65% der untersuchten Kinder mit FAS einen geringeren Kopfumfang fest. Gegenstand verschiedener Untersuchungen war das erhöhte Risiko des Auftretens körperlicher Anomalien bei Kindern nach pränataler Alkoholexposition. Derartige Anomalien, zu denen typische Gesichtsmerkmale, wie z. B. kurze Lidspalten und schmales Lippenrot gehören, wurden übereinstimmend bei allen untersuchten klinischen FAS Fällen nachgewiesen (Streissguth et al. 1985, 1991a; Dehaene et al. 1981; Majewski und Majewski 1988; Spohr und Steinhausen 1987). Bei mehr als 80% der Personen mit FAS kommen Gesichtsanomalien wie Anomalien des Philtrums und der Lippen sowie Mißbildungen und Fehlstellungen der Zähne vor (Streissguth et al. 1991a); 49% weisen kongenitale Augendefekte auf (Strömland 1985). Zu den nicht im Gesicht auftretenden Anomalien gehören: Gelenkanomalien der Finger, wie Klinodaktylie (68%), Anomalien der Handfurchen (56%) und Rotationshemmung der Ellenbogen (24%) (Streissguth et al. 1991a). Majewski und Majewski (1988) und Majewski (1993) berichten über ähnliche Befunde, wobei schmales Lippenrot und anomale Handfurchen nach intrauteriner Wachstumsretardierung, Mikrozephalie, Hyperaktivität und Muskelhypotonie am häufigsten genannt werden. Weiterhin werden Herzfehler (Clarren und Smith 1978; Löser und Majewski 1977), kleinere Ohranomalien (Smith 1982) und kleinere Anomalien an den Genitalien (Majewski 1993) angegeben. Mit zunehmendem Alter und körperlicher Reife lassen sich einige der Erkennungsmerkmale im Gesicht infolge der verstärkten Bildung von Fettgewebe und des Wachstums von Kinn und Kiefer immer weniger nachweisen (Spohr et al. 1993; Spohr und Steinhausen 1987; Streissguth et al. 1985), was nicht bedeutet, daß es zu einer Besserung der ZNS-Schädigung kam, sondern nur, daß die Merkmale im Jugendalter weniger feststellbar sind.
Obwohl FAS vor allem aufgrund der sofort feststellbaren Merkmale Aufmerksamkeit erregte, wurde jetzt nachgewiesen, daß die pränatale Alkoholexposition ein wesentlich breiteres Spektrum an Auswirkungen besitzt (Smith 1979). Zu den auffälligsten Beeinträchtigungen bei Personen mit FAS/FAE zählen geistige Behinderungen. Sowohl geistige als auch körperliche Retardierung findet sich häufig im klinischen FAS-Patientengut. Da sich IQ-Ergebnisse bei umfangreichen Stichproben leicht quantifizieren lassen, wurde dieser Parameter bei zahlreichen klinischen Untersuchungen zur Auswertung der pränatalen Alkoholexposition herangezogen. Die ersten IQ-Untersuchungen von Kindern mit FAS lieferten vergleichbare Ergebnisse. Lemoine et al. (1968) ermittelten einen durchschnittlichen IQ von 70; Jones et al. (1973b) von 73; Dehaene et al. (1977) von 66 und Majewski et al. (1978) von 82. Etwa zur gleichen Zeit stellten Streissguth et al. (1978) bei 20 FAS-Patienten einen durchschnittlichen IQ von 65 fest und wiesen einen direkten Zusammenhang zwischen der Schwere der Fehlbildungen und der Verminderung des IQ nach. In dieser relativ kleinen Gruppe fand sich ein breites IQ-Spektrum (wobei der IQ von schwerer Retardierung bis zu normalen Ergebnissen reichte). Auch Dehaene et al. (1984) schlußfolgerten in einer Nachfolgeuntersuchung von 30 Kindern mit FAS, daß eine geistige Beeinträchtigung mit der Schwere von Minderwuchs und teratologischen Merkmalen einhergeht. Eine später durchgeführte Nachfolgeuntersuchung an 61 jugendlichen Patienten mit FAS/FAE ergab ein äußerst breites Spektrum der IQ-Ergebnisse (von 20 bis 105), wobei 58% der Patienten einen IQ von höchstens 70 aufwiesen (Streissguth et al. 1991 a).
Bei einer Untersuchung der primären und sekundären Störungen bei 473 FAS/FAE-Patienten im Alter von 3 bis 51 Jahren wiesen 27% der FAS-Patienten im Vergleich zu 9% der FAE-Patienten einen IQ unter 70 auf (Streissguth et al. 1996, 1997a). Das IQ-Spektrum war mit Ergebnissen zwischen 29 und 120 bei einem Durchschnittswert von 79 für FAS und zwischen 42 und 142 bei einem Durchschnittswert von 90 für FAE sehr breit. Bei den ebenfalls durchgeführten Wechsler-Intelligenztests erzielten die Personen mit pränataler Alkoholexposition die schlechteren Ergebnisse beim Rechnen, beim Digit Span und Wissen. Mattson und Mitarbeiter untersuchten den IQ von 47 Personen im Alter von 4 bis 17 Jahren (34 wiesen FAS-Merkmale auf, 13 zeigten dagegen trotz pränataler Alkoholexposition keine Gesichtsfehlbildungen) im Vergleich zu 47 Kontrollen vergleichbaren Alters und Geschlechts und vergleichbarer ethnischer Herkunft. Anhand der Klassifizierung von Wechsler wurde folgende Rangfolge ermittelt: die Kontrollen wiesen den höchsten IQ auf, gefolgt von der Gruppe ohne Gesichtsfehlbildungen, und FAS-Geschädigte erzielten die niedrigsten Werte (die entsprechenden Gesamt-IQ-Werte lagen im Schnitt bei 109, 83,6 und 74).
In einigen Untersuchungen wurden die IQ-Ergebnisse von Kindern mit FAS in Folgetests ermittelt, die in verschiedenen Zeitabständen wiederholt wurden. Eine zehnjährige Nachfolgeuntersuchung (Streissguth et al. 1985) bei 8 von ursprünglich 11 Kindern mit diagnostiziertem FAS ergab, daß der IQ im allgemeinen relativ stabil blieb, auch wenn es bei einem Patienten bei gleichzeitiger Abnahme der Hyperaktivität mit zunehmendem Alter zu einer Zunahme von 30 Punkten (von IQ = 50 auf 80) kam. Auch in zwei weiteren im Rahmen der Seattle-FAS-Follow-up-Study durchgeführten Nachfolgetests anhand von größeren Gruppen von FAS- und FAE-geschädigten Kindern wurde festgestellt, daß die überwiegende Mehrheit der Kinder zwar relativ stabile Ergebnisse zeigen, in Einzelfällen jedoch beachtliche Änderungen zu verzeichnen sind. In zwei Berichten über eine an AE-Patienten durchgeführte Nachfolgeuntersuchung wird angegeben, daß sich über einen Zeitraum von 3 bis 4 Jahren eine Verbesserung der kognitiven Funktion ergab (Spohr und Steinhausen 1984; Steinhausen et al. 1984), wobei allerdings nicht geklärt ist, welchen Einfluß nichttestfähige retardierte Personen auf das Ergebnis hatten. In einer später durchgeführten Untersuchung berichten Steinhausen und Spohr (1998) über grenzwertige bis durchschnittliche IQ-Ergebnisse bei 70 FAS-Patienten, wobei die Mehrzahl der Patienten bei Messungen im Alter von 3 ½ und 9 ½ Jahren unveränderte IQ-Werte erzielten. 5 Patienten kamen bei der Nachfolgeuntersuchung zu einem besseren Ergebnis, und bei 15 Personen kam es im Zeitverlauf zu einer Verschlechterung. Die Autoren machen darauf aufmerksam, daß Veränderungen bei den Ergebnissen teilweise auf die Verwendung unterschiedlicher IQ-Meßmethoden zu den verschiedenen Meßzeitpunkten zurückzuführen sein können. Außerdem weisen die Studien auch gewisse Unterschiede hinsichtlich des Alters der Testpersonen sowie hinsichtlich der verwendeten Tests und der gewählten diagnostischen Kriterien auf. Verallgemeinernd kann festgestellt werden, daß die Testergebnisse trotz des relativ breiten Spektrums an IQ-Ergebnissen bei Patienten mit FAS/FAE (von schwerer Retardierung bis hin zu normaler Intelligenz) bei Einzelpersonen eine hohe zeitliche Stabilität aufweisen.
In verschiedenen klinischen Studien wurde die Inzidenz von Erziehungsproblemen bei Personen mit FAS untersucht. So untersuchten Spohr und Steinhausen (1987) 54 FAS-Patienten (Durchschnittsalter 8 Jahre) in einer drei- bis vierjährigen Nachfolgeuntersuchung. Von den 35 mindestens 7 Jahre alten Kindern waren nur 17% in der Lage, eine normale Schule zu besuchen. 51% besuchten Sonderschulen, 20% Ausbildungszentren für geistig Behinderte, und 11% waren nicht einmal in der Lage, derartige Ausbildungszentren zu besuchen. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten Streissguth et al. (1991 a) in einer Nachfolgeuntersuchung an 61 Patienten mit FAS/FAE (im Alter von 12-40 Jahren), von denen 6% den normalen Unterricht und 28% spezielle Sonderklassen besuchten. 15% besuchten weder die Schule noch hatten sie einen Arbeitsplatz, 9% befanden sich in geschützten Werkstätten, und der Rest besuchte den normalen Unterricht und erhielt darüber hinaus entweder spezielle Nachhilfe, arbeitete oder machte eine Berufsausbildung. Allerdings war keiner der Patienten in der Lage, für sich allein zu sorgen. Daten der Secondary Disabilities Study (Untersuchung sekundärer Störungen) zufolge waren von etwa 400 Personen mit FAS und FAE 60% der Jugendlichen und Erwachsenen Schulversager, d. h., sie waren entweder zeitweilig vom Schulbesuch suspendiert worden, der Schule verwiesen worden, oder sie waren vorzeitig von der Schule abgegangen (Streissguth et al. 1996, 1997 a). Von 90 Patienten im Alter von 21 Jahren und älter sorgten nur 7 Patienten für sich selbst und hatten keine Probleme, eine Arbeitsstelle zu finden.
In den klinischen Untersuchungen erfolgte keine routinemäßige Auswertung der schulischen Leistungen von Patienten mit FAS/FAE. Allerdings liegt von Streissguth et al. (1991 a) eine Nachfolgeuntersuchung vor, in der die schulischen Leistungsschwächen von Patienten mit FAS und FAE aufgezeichnet wurden. Bei dem Patientengut von 47 Patienten, die einem Wide Range Achievement Test - Revised (WRAT-R - überarbeiteter Test des Allgemeinwissens) unterzogen wurden, erreichten die getesteten Jugendlichen und Erwachsenen (17-40 Jahre) in den Fächern Lesen, Schreiben und Rechnen jeweils im Durchschnitt das Niveau eines Schülers der vierten, dritten und zweiten Grundschulklasse. Die größten Schwächen traten bei diesen Patienten im Fach Rechnen auf. Darüber hinaus erreichten ältere Patienten keine besseren Ergebnisse als jüngere Patienten. Weitere Ergebnisse aus der Secondary Disabilities Study (Streissguth et al. 1996, 1997a) belegen die Ergebnisse früherer Studien im Hinblick auf die schulischen Leistungen. Die 178 FAS-Patienten erzielten beim WRAT-R-Test in den Fächern Lesen und Schreiben Durchschnittswerte, die ihren entsprechenden Werten beim IQ- Test entsprachen, die Ergebnisse im Fach Rechnen lagen jedoch zwei Drittel einer Standardabweichung unter den durchschnittlichen IQ-Werten. Bei den 295 FAE-Patienten lag die im Rechnen erzielte Punktzahl nahezu um eine Standardabweichung unter der Punktzahl, die gemäß dem IQ zu erwarten gewesen wäre. Personen mit pränataler Alkoholexposition haben offenbar durchgehend Probleme beim Rechnen (vgl. auch Kopera-Frye et al. 1996).
Ein ebenfalls häufig bei FAS/FAE-Patienten anzutreffendes Problem sind Sprachstörungen. In der embryologischen Entwicklung gibt es nach Church und Kaltenbach (1997) ähnliche Mechanismen, die kraniofazialen Fehlbildungen, ZNS-, Hör- und Sehstörungen zugrunde liegen. Pränatale Alkoholexposition führt offenbar zu folgenden vier Arten von Hörstörungen: eine retardierte Entwicklung des Hörorgans, sensorischer Hörverlust, intermittierender konduktiver Hörverlust infolge wiederholter Mittelohrentzündungen und zentraler Hörverlust. Da für das Lernen und die Verwendung von Sprache gutes Hören erforderlich ist, verwundert es nicht, daß sich die Forschung seit einiger Zeit mit der Untersuchung von Sprachstörungen bei alkoholgeschädigten Patienten befaßt. An dieser Stelle sei auf die ausgezeichnete Übersichtsarbeit von Church und Kaltenbach zu den genauen Zahlen und Einzelheiten aus Untersuchungen zum Hörverlust bei Menschen und Tieren verwiesen (1997). Abkarian untersuchte ebenfalls die Literatur im Hinblick auf Sprach- und Sprechstörungen bei Kindern nach pränataler Alkoholexposition (1992). Bei Kindern mit Geburtsfehlern kam es zu Störungen bei der Aussprache, die mit strukturellen und funktionalen Problemen bei der Sprachproduktion zusammenhingen (Becker et al. 1990). Bei einer Gruppe von afroamerikanischen Kindern aus unteren Einkommensschichten in Atlanta waren dagegen keine Beeinträchtigungen des Wortschatzes oder der Sprachbeherrschung zu erkennen (Coles et al. 1991, 1994). Abkarian (1992) kam zu dem Ergebnis, daß eine gestörte Kommunikationsfähigkeit vorlag, bei der die Patienten zwar flüssig, aber schludrig sprachen, und es trotz des Erkennens des Gesprächsverlaufs zu ineffektiver Kommunikation kam. Sprachtests (verbal fluency) ergaben, daß FAS-Kinder Schreib-/Lesestörungen haben (letter fluency), aber offenbar weniger Probleme mit Kategorisierungsaufgaben (category fluency) (Kodituwakku et al. 1995; Mattson 1994). Eine vor kurzem durchgeführte Studie bei acht Kindern mit FAS dokumentiert eine intakte Sprachentwicklung entsprechend der der Kontrollen (Ernhart et al. 1995). Auch hier können natürlich die gewählten Tests für einige der Abweichungen bei den Ergebnissen in diesen Studien verantwortlich sein. Generell scheinen aber Sprachprobleme eine herausragende Rolle beim Verständnis von Alkoholeffekten zu spielen.
Dem Problem der Anpassung an die Erfordernisse des täglichen Lebens von Personen mit FAS/FAE wurde bisher ebenfalls zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Streissguth et al. (1991a) ermittelten die Anpassungsfähigkeit von 61 Jugendlichen und Erwachsenen in einer Nachfolgeuntersuchung unter Verwendung der Klassifizierung des Anpassungsverhaltens nach Vineland (Vineland Adaptive Behavior Scales - VABS), einem standardisierten, semistrukturierten Test zur Bewertung der Bewältigung der Erfordernisse des täglichen Lebens, der Kommunikation und der Sozialisierung sowie des Vorliegens eines Fehlanpassungsverhaltens. Trotz eines Durchschnittsalters von 17 Jahren wiesen die 31 mit VABS untersuchten Patienten durchschnittlich das geistige Niveau eines 7jährigen auf. Am besten schnitten die Patienten bei der Bewertung von Aufgaben des täglichen Lebens (der Wert entsprach durchschnittlich einem Alter von 9 Jahren) und am schlechtesten beim Sozialverhalten ab (der Wert entsprach durchschnittlich einem Alter von 6 Jahren). Auch bei Patienten mit einem IQ über dem Retardierungsbereich ergab die Untersuchung erhebliche Beeinträchtigungen, wie die Nichterkennung von Konsequenzen aus Handlungen, mangelnde Eigeninitiative, keine Reaktion auf soziale Stichworte und das Fehlen freundschaftlicher Beziehungen. Die Ergebnisse früherer Untersuchungen werden durch weitere Daten aus der Secondary Disabilities Study belegt (Streissguth et al. 1996, 1997a). Wurde der IQ im Vergleich zur VABS-Leistung gemessen, waren alle durchschnittlichen Bewertungen niedriger, als man aufgrund des IQ hätte erwarten können. Dabei waren die Abweichungen bei FAE-Patienten im Vergleich zu FAS-Patienten größer. LaDue et al. (1992) stellten bei einer Gruppe von 54 Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS und FAE eine höhere Inzidenz sekundärer Störungen fest. So zeigten 31% ein inadäquates Sexualverhalten; 13% hatten Schwierigkeiten mit dem Gesetz; 53% waren Schulschwänzer; bei 25% kam es zu Problemen mit Alkohol und/oder Drogen; 19% hatten Minderjährigenschwangerschaften; 28% waren bereits in Diebstahl und Vandalismus verwickelt. Innerhalb der großen Secondary Disabilities Study wurden die Betreuer von 415 FAS/FAE-Patienten einem Life History Interview (LHI - Interview zur Lebensgeschichte) unterzogen (Streissguth et al. 1996, 1997a). Dabei lag der Schwerpunkt auf sechs sekundären Störungen: Probleme mit der geistigen Gesundheit, Schulversagen, Schwierigkeiten mit dem Gesetz, Haftstrafen, unangemessenes Sexualverhalten und Alkohol/Drogenprobleme. 90% der 415 alkoholgeschädigten Testpersonen im Alter von 6 bis 51 Jahren litten zumindest an einer geistigen Störung und hatten bereits einen entsprechenden Facharzt konsultiert. Bei 60% der Testpersonen ab dem Alter von 12 Jahren war Schulversagen, bei 60% Schwierigkeiten mit dem Gesetz, bei 50% Haftstrafen oder Klinikeinweisung zu beobachten, bei 50% kam es zu Problemen aufgrund von unangemessenem Sexualverhalten, und bei 30% kam es zu Alkohol/Drogenproblemen.
Aus der Analyse ging hervor, daß es acht Faktoren gibt, die zu einer geringeren Ausbildung sekundärer Störungen bei Patienten ab 12 Jahren führen. Im folgenden werden diese Faktoren in der Reihentalge ihrer Bedeutung genannt: mehr als drei Viertel des Lebens in einem stabilen und fürsorglichen Elternhaus verbracht, Diagnose vor dem Alter von 6 Jahren, Fehlen von Gewaltanwendung gegenüber dem Patienten (sexueller oder körperlicher Mißbrauch oder häusliche Gewalt), jeweils mindestens 3 Jahre in einer unveränderten Lebenssituation verbracht, im Alter zwischen 8 und 12 Jahren in einem guten Elternhaus gelebt, ein Anrecht auf Leistungen aus dem staatlichen Programm für Entwicklungsstörungen erhalten, als FAS und nicht als FAE diagnostiziert und die Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse über mindestens 13% des Lebens.
Diese Studie macht deutlich, daß nicht nur die Untersuchung der geistigen Fähigkeiten, sondern auch des Anpassungsverhaltens erforderlich ist. In Hinsicht auf die Bewertung des psychosozialen und adaptativen Verhaltens wäre eine Untersuchung zum Einfluß des Gesellschaftssystems und der Institutionen verschiedener Kulturkreise auf das relative Vorhandensein oder Nichtvorhandensein sekundärer Störungen von großer Bedeutung. 80% der in diese Studie eingeschlossenen FAS/FAE-Testpersonen wurden nicht von ihren leiblichen Eltern aufgezogen.
Neben der oben genannten Secondary Disabilities Study haben auch andere Studien Anpassungs- und Verhaltensstörungen bei Patienten mit pränataler Alkoholexposition untersucht. In einer Nachfolgeuntersuchung nach 20 Jahren bei 105 Erwachsenen mit FAS beschreiben Lemoine und Lemoine chronische Verhaltensstörungen, wie mangelnde Konzentration, Unreife und mangelndes Urteilsvermögen (1992). Carmichael Olson und Mitarbeiter (1998) stellten beim VABS-Test bei einer Gruppe von Jugendlichen mit FAS Probleme mit dem Anpassungsverhalten fest, und anhand der Child-Behavior-Checkliste (CBCL/4-16-Liste zur Bewertung des Verhaltens von Kindern) (Achenbach und Edelbrock 1983) trat eine ganze Reihe von Verhaltensstörungen zutage. Bei mehr als der Hälfte der Patienten zeigten sich internalisierende und/oder externalisierende Verhaltensstörungen (internalizing and/or externalizing behaviour problems) von klinischer Relevanz. In einer Nachfolgeuntersuchung in Berlin bei einer Gruppe von FAS-Kindern über einen langen Zeitraum legten Steinhausen und Mitarbeiter (1993, 1994) und Spohr und Mitarbeiter (1987, 1993) den Schwerpunkt auf psychopathologische Aspekte in den drei Altersgruppen: Vorschulalter, frühes Schulalter (6 bis 12 Jahre) und späteres Schulalter (Alter 13+ Jahre). Die häufigste psychopathologische Störung bei 27 Kindern, die zu beiden Zeitpunkten untersucht wurden, waren sowohl im Vorschulalter als auch im frühen Schulalter hyperkinetische Störungen. Im frühen Schulalter verdoppelte sich das Auftreten von Sprechstörungen, emotionalen Störungen, ungewöhnlichen Eigenarten und stereotypem Verhaltens (45 bis 50% des Patientenguts). Im späteren Schulalter nahmen ungewöhnliches und stereotypes Verhalten ab, dagegen waren emotionale und hyperkinetische Störungen sowie Verhaltensstörungen häufig zu beobachten. Einer Nachfolgeuntersuchung dieser 70 FAS-Patienten zufolge, bestehen die psychologischen Störungen weiterhin, und 63% des Patientenguts leiden an wenigstens einer, häufig aber an mehreren psychiatrischen Erkrankungen (Steinhausen und Spohr 1998).
Famy, Streissguth und Unis (1998) führten mit 25 nicht-zurückgebliebenen FAS-Erwachsenen ein strukturiertes klinisch-diagnostisches Interview (das SCID) zur Bewertung des Vorliegens einer geistigen Erkrankung. 18 der 25 Testpersonen waren in psychiatrischer Behandlung. Die häufigsten Achse-I-Diagnosen waren: Alkohol/Drogenabhängigkeit (15 Personen), Depression (11), Störungen psychotischer Natur (10) und für Achse II: vermeidende (6), antisoziale (4) und dependente (3) Persönlichkeitsstörungen. Connor und Mitarbeiter verglichen 10 Testpersonen (6 mit FAE und 4 mit FAS) mit 10 vergleichbaren Kontrollen nach dem Brief Symptom Inventory (Kurzer Symptomenkatalog) zur Feststellung psychiatrischer Beschwerden. Die Ergebnisse zeigen, daß sich 3 von 4 FAS-Patienten und 3 von 5 FAE-Patienten innerhalb des Global Severity Index (Index des globalen Schweregrads) im pathologischen Bereich bewegten, gegenüber 3 von 8 Kontrollen. Anhand der Unterskalen Depression und Phobien zeigten alle FAS-Patienten und 3 von 5 FAE-Patienten klinisch relevante Beschwerden. Gegenstand der Untersuchung war auch die neuentwickelte Fetal Alcohol Behavior Scale (FABS - Skala zur Bewertung des Verhaltens nach pränataler Alkoholexposition) (Streissguth et al. 1998). FAS-Patienten erzielten anhand dieser Skala die höchsten Punktzahlen, gefolgt von FAE-Patienten. Kontrollen erzielten dagegen im Durchschnitt sehr niedrige Punktzahlen. Die FABS basiert auf 36 Fragen an den Betreuer bezüglich der wesentlichen Verhaltensmerkmale des alkoholgeschädigten Patienten. Bei einer Gruppe von 472 FAS/FAE-Patienten im Alter von 2 bis 51 Jahren waren die beiden am häufigsten genannten Verhaltensmerkmale Impulsivität und Starrsinn, bestätigt durch 85% der Befragten. Nach Angaben der Autoren weist die Skala eine gute Reliabilität und Validität auf. Inwieweit sie sich beim Einsatz im klinischen Screening eignet, muß jedoch noch in weiteren Studien untersucht werden. Die oben genannten Ergebnisse belegen, daß psychologische Beschwerden und psychiatrische Störungen häufig Bestandteil des klinischen Bildes von FAS- und FAE-Patienten sind.
Nachdem in frühen klinischen Studien viele alkoholbedingte Verhaltensstörungen beobachtet wurden, hat sich die Forschung vor kurzem auf die neuropsychologischen Funktionen von Patienten mit pränataler Alkoholexposition konzentriert. Bei diesen Untersuchungen stützte man sich nicht einfach auf informelle Methoden zur Beobachtung des Verhaltens oder auf Interviews mit Betreuern, sondern setzte anspruchsvollere, kontrollierte Methoden zur Untersuchung der ZNS-Störungen und Aufmerksamkeitsstörungen ein. Conry verglich eine Gruppe von 19 FAS/FAE-Patienten im Schulalter mit vergleichbaren Kontrollen und stellte dabei fest, daß Kinder mit FAS im Vergleich zu Kontrollen bei allen neuropsychologischen Parametern erheblich größere Störungen aufwiesen (1990). Besonders auffällig war dabei die verzögerte Reaktionszeit, gemessen als Antwortlatenz (per Tastendruck) auf ein Lichtsignal, was möglicherweise auf die leichte Ablenkbarkeit zurückzuführen ist, die eine bessere Leistung verhindert und zu anhaltenden Aufmerksamkeitsstörungen führt. Nanson und Hiscock verglichen entsprechende Zahlen von Kindern mit FAS/FAE, ADD und Kontrollen im Hinblick auf Reaktionszeit und Tests zur Aufmerksamkeit (1990). Den Ergebnissen zufolge zeigten Kinder mit FAS/FAE langsamere Reaktionszeiten als Kontrollen oder Kinder mit ADD, ihre Fehlerquote entsprach jedoch der der ADD-Gruppe. Eltern von Kindern mit FAS berichteten über mehr Probleme bei der sensorischen Integration als Eltern von Kontrollen.
Brown und Mitarbeiter untersuchten in Atlanta eine Gruppe von Kindern im Alter von 5 Jahren und 10 Monaten und stellten fest, daß Kinder, deren Mütter während der gesamten Schwangerschaft Alkohol getrunken hatten, bei einer Aufgabe zur Prüfung der Aufmerksamkeit Schwierigkeiten hatten, sich anhaltend zu konzentrieren, daß diese Kinder aber kein impulsives Verhalten zeigten (1991). Coles und Mitarbeiter (1994) untersuchten zusätzlich eine Vergleichsgruppe von 7½-jährigen mit ADHD-Diagnose, die positiv auf die Behandlung mit Stimulantia reagierten. Kinder mit FAS schnitten bei Aufgaben zur Bewertung der Aufmerksamkeit besser ab als Kontrollen. In der ADHD-Gruppe war dagegen eine erhebliche Beeinträchtigung festzustellen.
Janzen, Nanson und Block (1995) verglichen die neuropsychologischen Leistungen von 10 Kindern im Vorschulalter mit FAS und Kontrollen, die bezüglich Alter, Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit übereinstimmten. Die FAS-Kinder wiesen im Vergleich zu den Kontrollen Defizite bei verbalen und perzeptorisch-motorischen Aufgaben sowie bei der Sprachleistung auf. Ihre quantitativ-mnestische und visuelle Zuordnungsfähigkeit und feinmotorischen Leistungen waren jedoch vergleichbar. In einer anderen Untersuchung wurden Kinder mit FAS dem California Verbal Learning Test - Children's Version ( CVLTC - Kalifornischer Test zur Bewertung des Wortschatzerwerbs - Version für Kinder) unterzogen und ihre Leistung Kontrollen gegenübergestellt (Mattson et al. 1996b). Kinder mit FAS hatten Schwierigkeiten beim Erlernen und beim Erinnern von Wörtern nach einer Pause und machten tendenziell eine größere Anzahl von Interferenz- und Perseverationstehlern (errors of intrusion and perseveration). Außerdem schnitten sie schlechter ab bei der Unterscheidung der Zielwörter von unrelevanten Wörtern und machten beim Worterkennungstest mehr falschpositive Fehler. Ähnliche Ergebnisse wurden bei Anwendung des CVLT für Erwachsene bei zwei Jugendlichen erzielt (Mattson et al. 1992) und in einer späteren Studie bei 14 Kindern mit FAS/PEA (PEA-Kinder mit pränataler Alkoholexposition ohne Fehlbildungen) und Kontrollen (Mattson et al. 1996 a). Kürzlich verglichen Mattson und Mitarbeiter (1998a) 15 Kinder mit FAS und 10 Kinder mit PEA im Vergleich zu 25 Kontrollen gleichen Geschlechts, Alters und ethnischer Zugehörigkeit. Im Vergleich zu den Kontrollen wiesen die FAS und die PEA-Gruppe Beeinträchtigungen bei Sprach-, Wort- und Gedächtnistests auf, sowie bei schulischen Leistungen, feinmotorischer Schnelligkeit und visuellmotorischer Integration. Mattson und Roebuck (1998 b) verglichen 20 Kinder mit FAS mit vergleichbaren Kontrollen anhand von zwei Tests zur Gedächtnisleistung, dem CVLT-C für das verbale Gedächtnis und dem Biber Figure Learning Test für das nonverbale Gedächtnis. Bei beiden Tests schnitt die FAS-Gruppe bei allen Aufgaben zum Lernen und freien Erinnern schlechter ab, wurden jedoch die individuellen Unterschiede beim Lernen berücksichtigt, waren die erzielten Punktzahlen vergleichbar. Das deutet darauf hin, daß die Erinnerung an Erlerntes intakt war.
Goodmann und Mitarbeiter (1998) untersuchten die Leistung bei der Ausführung verschiedener Aufgaben (executive functioning) bei drei Gruppen, zehn FAS, acht PRA und 10 Kontrollen in einer Testserie von 5 Tests (z.B. Stroop, Tower of Hanoi). Die Kontrollen unterschieden sich signifikant von den beiden Gruppen mit pränataler Alkoholexposition (die vergleichbare Ergebnisse aufwiesen) bei 4 der 5 Tests, während der Unterschied beim CVLT nur von marginaler Signifikanz war. Kerns und Mitarbeiter (1997) stellten fest, daß 16 nicht zurückgebliebene Erwachsene mit FAS Schwierigkeiten bei Aufgaben hatten, die Gedächtnisleistungen, Aufmerksamkeit, neues Lernen und Aufgabenausführung (executive processes) erforderten. FAS-Patienten hatten Schwierigkeiten, sich an Wörter zu erinnern, die ihnen wiederholt gezeigt worden waren, sie nutzten nicht die Bildung von Wortgruppen als mnemonische Erinnerungshilfe und produzierten aufdringliche Reaktionen. Kopera-Frye und Mitarbeiter (1996) untersuchten numerische Verarbeitung und kognitive Schätzung bei einer Gruppe von Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS/FAE im Vergleich zu Kontrollen. Testpersonen mit pränataler Alkoholexposition hatten dabei erhebliche Schwierigkeiten beim Rechnen und Schätzen von Zahlen, wenngleich sie in der Lage waren, Zahlen zu lesen und zu schreiben. Beim Test zur kognitiven Schätzung (wahrscheinlich wurden Ausführungsfunktionen mitbewertet), wiesen nahezu die Hälfte der Patienten Beeinträchtigungen auf, bei 20% der Patienten handelte es sich um die einzige Beeinträchtigung. FAS/FAE-Patienten machten im Vergleich zu Kontrollen mehr Fehler und gaben ausgefallenere Antworten (z.B., daß der menschliche Rücken eine Länge von 1,5 m habe). Derartige Probleme beim Rechnen und Schätzen können bei diesen Patienten eine unabhängige Lebensführung und den Umgang mit Geld stark beeinflussen.
In einer Untersuchung von 7 Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS war gegenüber Kontrollen gleichen Alters und Geschlechts eine Beeinträchtigung der Leistung bei einer Aufgabe zum räumlichen Gedächtnis festzustellen (Gray und Streissguth 1990). Allerdings beinhaltete diese Untersuchung keinen IQ-Test. Uecker und Nadel (1996) verglichen 15 Kinder mit FAS und 15 vergleichbare Kontrollen im Hinblick auf ihr räumliches und gegenständliches Gedächtnis, ihre visuell-motorischen Fähigkeiten und das Zeichnen einer Uhr. In der FAS-Gruppe zeigten sich dabei Beeinträchtigungen beim räumlichen Gedächtnis, was die Lokalisierung von Gegenständen betraf, nicht jedoch ihre Erkennung. Visuell-motorische Defizite waren in dieser Gruppe ebenfalls zu verzeichnen. Nach Auffassung der Autoren könnte es sich dabei um Beeinträchtigungen infolge einer Funktionsstörung des Hippokampus handeln. Kodituwakku und Mitarbeiter (1995) verglichen eine Gruppe von 10 FAS/FAE-Patienten mit geringeren Funktionsstörungen mit Kontrollen ohne pränatale Alkoholexposition. Dabei zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen bei verschiedenen Aufgaben zum Wortschatz und zur Selbstkontrolle, wohingegen die alkoholgeschädigten Testpersonen bei Aufgaben zur Bewertung der Fähigkeit zum Planen und zur auditorischen Aufmerksamkeit ganz spezifische Schwierigkeiten hatten. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß neuropsychologische Untersuchungen bei FAS- und potentiellen FAE-Patienten auf das Vorliegen spezieller Probleme bei der Aufmerksamkeit sowie dem Lang- und Kurzzeitgedächtnis, bei räumlichen Fähigkeiten, Ausführungsfunktionen (executive functioning) und der Informationsverarbeitung hinweisen.
Angesichts der unterschiedlichen Verhaltensstörungen von alkoholgeschädigten Patienten hat sich die Forschung in jüngerer Zeit auf das Verständnis der mit diesen Verhaltensweisen einhergehenden strukturellen Anomalien im Hirn konzentriert. Frühere Studien (Clarren 1977; Clarren et al. 1978; Jones und Smith 1973a; Peiffer et al. 1979) stützen sich dabei vornehmlich auf die Ergebnisse von Autopsien, die Anzeichen von abnormen Hirnstrukturen in Form von abnormer Zellmigration, Callosumdysgenesie und einer geringeren Größe des Zerebellum und des Corpus callosum aufwiesen. In den mehr als 25 Autopsiestudien in der Literatur tauchen durchgehend bestimmte Arten von Hirnstrukturanomalien auf. Die Folgen pränataler Alkoholexposition zeigen sich dabei bevorzugt an Corpus callosum, Zerebellum und den Basalganglien (Mattson und Riley 1997 a). Neuere Untersuchungen, basierend auf der bildgebenden Darstellung des Hirns, lassen vermuten, daß diese Gebiete besonders empfindlich auf die teratogenen Effekte des Alkohols reagieren. Die Entdeckung und das Verständnis der Schäden an bestimmten Hirnstrukturen, bedingt durch pränatale Alkoholexposition, kann zum Verständnis der Ätiologie kognitiver Beeinträchtigungen und Verhaltensstörungen beitragen, bei der Diagnose von Problemen helfen und die Entwicklung und den Einsatz von spezifischen auf die Problemzone zugeschnittenen Behandlungsmethoden leiten.
Als erste beschrieben Jones und Smith (1973 a) das Hirn eines Kindes, das im Alter von 32 Wochen zur Welt kam und 5 Tage nach der Geburt verstarb. Das Gehirn war klein (es entsprach dem eines Fötus in der 25. Schwangerschaftswoche) und wies massive neurogliale leptomeningeale Heterotopien in der linken Hemisphäre auf. Die Cortex war dünn und unorganisiert, bei vergrößerten lateralen Ventrikeln. Das Zerebellum war ebenfalls klein und der Corpus callosum fehlte. In späteren Autopsiestudien (Clarren 1981; Clarren et al. 1978; Coulter et al. 1993; Peiffer et al. 1979; Wisniewski et al. 1983) wurden, ebenfalls zum Nachweis zerebraler Dysgenesie (unterentwickelte zerebrale Hemisphären), vorn zusammengewachsene Frontallappen und abnorme neuronale und gliale Migration beobachtet. Außerdem kam es in Autopsiestudien zu folgenden Befunden: das Fehlen oder die partielle Agenesie des Corpus callosum sowie ein dünnerer Corpus callosum. Weitere Befunde waren Anomalien des Zerebellum und des Hirnstamms wie die Existenz zerebellarer Heterotopie (Clarren 1977; Clarren et al. 1978), Hypoplasie des Vermis cerebelli (Peiffer et al. 1979) oder völlige Agenesie und fehlende oder mißgebildete Pons und Medulla (Clarren et al. 1978; Peiffer et al. 1979), Mißbildungen, die möglicherweise auf eine gestörte neuronale Migration zurückzuführen sind. Da die Autopsien an schwer geschädigten Kindern vorgenommen wurden, können sich die beobachteten Anomalien nach Art und Ausprägungsgrad sehr stark von denen lebender Patienten unterscheiden.
Das Aufkommen von Studien, basierend auf Neuroimaging in Verbindung mit der quantitativen Analyse der Ergebnisse, führte zu einem besseren Verständnis der Wirkungsweise der pränatalen Alkoholexposition auf die Hirnstrukturen. Fallberichte von FAS-Patienten, die mittels Kernspinresonanztomographie und CT untersucht wurden, zeigten Patienten mit völliger Agenesie und unterentwickeltem Corpus callosum sowie eine hohe Inzidenz von Anomalien der Mittellinie (Johnson et al. 1996; Swayze et al. 1997). Die MR-Tomographie zweier Kinder mit FAS resultierte in verminderten zerebralen und zerebellaren Wölbungsvolumina (vault volumes), einhergehend mit vermehrter kortikaler und subkortikaler Flüssigkeit (Mattson et al. 1992). Riley und Mitarbeiter (1995) stellten bei 3 von 13 Kindern Agenesie des Corpus callosum fest und sprechen von einem Vorkommen bei 6,8% der FAS-Patienten, das entspricht einer um den Faktor drei höheren Inzidenz als bei anderen Populationen mit Entwicklungsstörungen (Jeret et al. 1986). Eine Messung der Größe des Corpus callosum bei den übrigen 10 Kindern ohne Agenesie mittels Berechnung der Größe des mittsagittalen Bereichs im Vergleich zu 5 equiangulären Bereichen des Corpus callosum (Riley et al. 1995) ergab im Vergleich zu Kontrollen, daß das Corpus callosum bei der Gruppe mit pränataler Alkoholexposition nicht nur insgesamt erheblich kleiner war, sondern auch 4 der 5 untersuchten Bereiche kleiner waren. Bei Berücksichtigung der Hirngröße insgesamt waren noch 3 der 5 Bereiche des Corpus callosum kleiner. Diese Ergebnisse entsprechen denen von Hynd und Mitarbeitern (1991) und stimmen mit den klinischen Beschreibungen von Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern mit PAS überein.
Die Ergebnisse von Messungen des gesamten zerebellaren Volumens geben zu der Vermutung Anlaß, daß auch hier eine Empfindlichkeit gegenüber pränataler Alkoholexposition festzustellen ist (Mattson et al. 1992, 1994, 1996c). Sowell und Mitarbeiter (1996) untersuchten 9 Kinder und Erwachsene mit pränataler Alkoholexposition (6 davon mit PAS) und stellten fest, daß die vordere Region des Vermis gegenüber den Kontrollen gleichen Alters unverhältnismäßig klein war. Dagegen unterschied sich die hintere Vermis und die übrige Vermis nicht von der von Kontrollen. Kinder mit pränataler Alkoholexposition unterschieden sich von Kontrollen durch ein reduziertes Zerebellumvolumen, ein Befund, der mit den Befunden bei PAS-Tiermodellen übereinstimmt (Goodlett et al. 1990).
Neben dem Corpus callosum und dem Zerebellum wurde auch der Nachweis für eine Sensibilität der Basalganglien und des Diencephalons gegenüber pränataler Alkoholexposition erbracht (Mattson et al. 1992, 1994, 1996c). Bei PAS-Patienten ließ sich, selbst unter Berücksichtigung der Hirngröße, insgesamt ein verringertes Volumen der Basalganglien nachweisen. Davon war insbesondere der Caudate nucleus stärker betroffen als die Nuclei lentiformes (Mattson et al. 1996c). Im Vergleich zu Kontrollen ließ sich auch ein geringeres Gesamtvolumen dienzephalischer Strukturen nachweisen, das jedoch nach Berücksichtigung der Hirngröße verschwand (Mattson et al. 1994). Diese Befunde lassen in ihrer Gesamtheit vermuten, daß die Basalganglien ganz besonders empfindlich auf pränatale Alkoholexposition reagieren, wohingegen ein unverhältnismäßig verringertes diencephalisches Volumen nur bei schwer-geschädigten Kindern auftritt (Roebuck et al. 1998). Zahlreiche MR-Studien haben bei PAS-Patienten keine strukturellen Anomalien im Hirn nachweisen können (Knight et al. 1993). Allerdings unterscheiden sich die MR-Untersuchungen hinsichtlich des Grads der Quantifizierung. Bildgebende Verfahren zur Untersuchung des Gehirns sind als weitere Information für unser Verständnis der in anderen Studien nachgewiesenen kognitiven Störungen und Verhaltensstörungen und ihre zugrunde liegenden Mechanismen von unersetzlichem Wert.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in den klinischen Untersuchungen Beispiele verschiedenster Defizite bei Personen mit FAS und FAE genannt werden. Um jedoch ein vollständiges Bild über die Auswirkungen von Alkoholexpositionen zu erhalten, sollten in die Betrachtungen auch Studien einbezogen werden, in denen Kinder alkoholabhängiger Mütter untersucht wurden.
5. Kinder alkoholabhängiger Mütter
Die Bedeutung der Untersuchung von Kindern alkoholabhängiger Mütter besteht in der Möglichkeit, Erkenntnisse über den Grad der Beeinträchtigung des Verhaltens und/oder der Leistungsfähigkeit von Kindern mit einer starken intrauterinen Alkoholexposition zu gewinnen. Allerdings geht es hierbei nicht um Fragen der diagnostischen Möglichkeiten in Hinblick auf FAS und FAE. Schätzungen zufolge weisen etwa ein Drittel der Kinder von chronisch alkoholabhängigen Müttern, die den Alkoholabusus während der Schwangerschaft fortgesetzt hatten, potentiell FAS-Merkmale auf (Aronson 1984; Jones et al. 1974; Seidenberg und Majewski 1978), wobei jedoch die Chronizität des Alkoholismus, die Expositionsmenge und der Zeitpunkt der Exposition entscheidende Faktoren darstellen (Majewski 1993; Majewski und Majewski 1988). Berichte über Ergebnisse aus Langzeitstudien von Kindern alkoholabhängiger Eltern liegen in jüngerer Zeit aus den USA, Frankreich, Schweden und Deutschland vor (Aronson und Hagberg 1998; Lemoine und Lemoine 1992; Steinhausen 1995; Streissguth et al. 1991a). Im Vergleich zu Fallstudien von Kindern mit ARBD/ARND ist ihre Zahl jedoch niedrig, was darauf zurückzuführen ist, daß es häufig nicht leicht ist, in Längsschnittstudien bei Familien mit solchen Störungen das Interesse an einer weiteren Studienteilnahme zu erhalten.
Eine der ersten Verhaltensstudien über Kinder von alkoholabhängigen Müttern basierte auf dem Vergleich von Kindern, die vor und nach dem maternalen Alkoholismus geboren wurden (Shruygin 1974). So traten bei Kindern, die vor dem Einsetzen des maternalen Alkoholismus geboren wurden, ab dem 9. bis 10. Lebensjahr Störungen auf, die primär als vegetativ, emotional und verhaltensbezogen beschrieben wurden. Bei den Kindern, die nach dem Einsetzen des maternalen Alkoholismus geboren wurden, stellte man „starke Schädigungen des ZNS“ fest, „die sich bereits in der frühen Kindheit manifestierten“. In zwei späteren Untersuchungen von Jones et al. (1974) und Streissguth (1976) wurde bei Kindern alkoholabhängiger Mütter gegenüber Kontrollpersonen mit vergleichbarer soziodemographischer Herkunft ein geringerer IQ ermittelt. Streissguth und Dehaene (1993a) beschrieben 16 Zwillingspaare aus Frankreich und den USA mit pränataler Alkoholexposition. Eine übereinstimmende FAS-Diagnose lag für 5 der 5 eineiigen Zwillingspaare und für 7 der 11 zweieiigen Zwillinge vor. Der IQ von Zwillingspaaren mit übereinstimmender Diagnose differierte im Durchschnitt um 8,1 Punkte und bei Paaren ohne übereinstimmende Diagnose um 12,5 Punkte. Der IQ von FAS- und FAE-Zwillingen sowie von Zwillingen mit pränataler Alkoholexposition, aber ohne FAS/FAE lag im Durchschnitt bei 69,6, 93 und 91,7.
Von Aronson und Mitarbeitern wurden in Schweden intensive Untersuchungen auf dem Gebiet der Auswirkungen signifikanter postnataler Umweltfaktoren auf die Leistungsfähigkeit von Kindern durchgeführt. So führten Aronson (1984) und Aronson und Mitarbeiter (1985) eine Reihe von Nachfolgeuntersuchungen an 99 Kindern von 30 alkoholabhängigen Müttern durch und stellten dabei fest, daß die geistigen Fähigkeiten bei 50% der Kinder eher unterdurchschnittlich bzw. retardiert waren. 49% wiesen neuropsychologische Symptome, z.B. Hyperaktivität und Impulsivität, auf. Darüber hinaus wurde bei Kindern, deren geistige Fähigkeiten unterdurchschnittlich bzw. retardiert waren, Minderwuchs und verstärkt physiologische Mißbildungen festgestellt. Erwähnenswert ist zudem, daß bei Kindern, die bei ihren leiblichen Eltern aufwuchsen, unabhängig vom Vorhandensein einer Schädigung deutlich mehr psychosoziale Probleme auftraten. Bei einer später an 21 dieser Kinder durchgeführten Nachfolgeuntersuchung wurden bei Aufgaben zum räumlichen Sehen und zur Logik verminderte Fähigkeiten sowie Verhaltensstörungen ermittelt (Aronson et al. 1985), die andere klinische Befunde bestätigten. Kyllerman et al. (1985) stellten im Vergleich zu gepaarten Kontrollpersonen bei Kindern alkoholabhängiger Mütter zusätzliche Schädigungen der Grob- und/oder Feinmotorik sowie verminderte Fähigkeiten bei der Bewältigung von Aufgaben mit zeitlicher Begrenzung und von Sprachaufgaben fest, wobei allerdings der Einfluß weiterer Faktoren, wie der Abusus von anderen Mitteln, nicht berücksichtigt wurde. Aronson und Olegard (1987) publizierten die Ergebnisse einer prospektiven Studie mit 26 Kindern und ihren alkoholabhängigen Müttern. Während der Schwangerschaft wurde der Alkoholkonsum überwacht (Konsum äquivalent zu 200 ml/Tag von harten Alkoholika). 5 Kinder im Vorschulalter, deren Mütter vor der 12. Woche der Schwangerschaft mit dem Trinken aufgehört hatten, zeigten ein normales Wachstum und eine normale Entwicklung. 13 Kinder, deren Mütter auch nach der 12. Schwangerschaftswoche den Alkoholkonsum fortsetzten, wiesen dagegen ein niedriges Geburtsgewicht auf bei offensichtlicher Störung der geistigen Entwicklung. Bei 11 der 26 Kinder wurde FAS diagnostiziert, bei 9 ARND und bei 6 Kindern waren keine Schädigungen festzustellen. Eine Kontrolluntersuchung bei 24 der 26 früher untersuchten Kinder (Aronson und Olegard 1987) als Jugendliche ergab, daß 6 der Kinder Schulen für geistig Behinderte und 11 Sonderschulen besuchten. Intelligenztests und die Befragung von Lehrern ergaben Schwierigkeiten bei der visuellen Sequenzierung, bei der sozialen Kompetenz (social reasoning), beim Rechnen und Allgemeinwissen sowie Berichte von Lehrern über Unaufmerksamkeit und einem geringem Durchhaltevermögen bei Kindern, deren Mütter auch nach der 12. Schwangerschaftswoche weitergetrunken hatten. Kinder, deren Mütter ab der 12. Schwangerschaftswoche das Trinken aufgegeben hatten, erbrachten normale Leistungen. In Finnland untersuchten Autti-Rämö et al. 1992 drei Gruppen von Kindern, bei denen die Exposition während unterschiedlicher Trimenona erfolgte. Sie stellten bei den im Alter von zwei Jahren durchgeführten Sprachtests signifikante alkoholinduzierte Auswirkungen fest. Dies galt allerdings nicht für die Gruppe, bei der die Exposition nur im ersten Trimenon erfolgt war.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß in jüngster Zeit verschiedene Studien zu den Risiken langfristiger ZNS-Schädigungen bei Kindern alkoholabhängiger Frauen durchgeführt wurden, die den Alkoholabusus während der Schwangerschaft fortgesetzt hatten. Von Bedeutung ist, daß bei den unter diesen Bedingungen ausgetragenen Kindern Probleme verschiedenster Art auftreten, was selbst für die Kinder gilt, bei denen FAS per se nicht diagnostiziert wurde. Zu einigen der festgestellten Probleme zählen neben Beeinträchtigungen der geistigen und schulischen Fähigkeiten Entwicklungsretardierung, Hyperaktivität und Schwierigkeiten bei der Feinmotorik. Der Wert dieser Studien besteht darin, daß bei den Betroffenen ein Kontinuum der pränatalen Alkoholauswirkungen nachgewiesen werden konnte, das auch dann nachweisbar ist, wenn FAS nicht voll ausgebildet ist.
6. Epidemiologische Studien
Während sich die oben beschriebenen Untersuchungen vorrangig mit den Auswirkungen des chronischen Alkoholismus der Mutter beschäftigen, liegen daneben eine Reihe von Studien vor, mit denen die Auswirkungen einer verschieden starken pränatalen Alkoholexposition nach Angaben der Mutter ermittelt wurden. Die Untersuchung der Konsequenzen selbst niedrigster und schwankender Alkoholexposition stellt ein wertvolles Hilfsmittel bei der Ermittlung der Auswirkungen dar, die an den unteren Grenzwerten des dosisabhängigen Kontinuums auftreten.
Bei Bevölkerungsstudien sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: 1) die quantitative Alkoholexposition wird nach Angaben der Mutter ermittelt, und 2) viele Faktoren bei der Durchführung von Studien beeinflussen die Feststellung von Auswirkungen einer pränatalen Alkoholexposition auf die Nachkommen. Zu den beiden wichtigsten Einflußgrößen gehören die Auswahl der Testpersonen (d.h. welche Personen an der Untersuchung teilnehmen) sowie die Genauigkeit, mit der Angaben über die Alkoholmenge gemacht werden. Als weitere Faktoren sind die Zuverlässigkeit der Messung, die Empfindlichkeit der ausgewählten Meßergebnisse, das Alter der Meßergebnisse und die Größe der Stichprobe zu nennen. Und schließlich sind auch die Methode der statistischen Datenverdichtung und -verarbeitung, die verwendeten statistischen Analysenmethoden und die Fähigkeit der Studie zum Ausgleich anderer Einflußgrößen von Bedeutung.
6.1. Frühe Kindheit 6.1.1. Geburtsgewicht
Die Auswirkungen der pränatalen Alkoholexposition auf Wachstumsparameter wurden am eingehendsten untersucht. Die gegenwärtig vorliegenden Untersuchungen führten zu widersprüchlichen Ergebnissen. So berichten einige Untersuchungen über ein stark verringertes Geburtsgewicht bei durchschnittlich zwei bis drei Drinks pro Tag (Kaminski et al. 1978; Little 1977; Russel 1977; Streissguth et al. 1981), während in anderen Untersuchungen bei mäßigem Alkoholkonsum keine signifikanten Abweichungen des Geburtsgewichts festgestellt wurden (Gusella und Fried 1984; Hingsan et al. 1982; Jacobson et al. 1984). Bei starken Trinkerinnen (Frauen, die durchschnittlich 45g reinen Alkohol pro Tag zu sich nehmen) ist das Geburtsgewicht ihrer Kinder um durchschnittlich 59g geringer als bei leichten Trinkerinnen (Kaminski et al. 1978). Little berichtete von einer durchschnittlichen Abnahme des Geburtsgewichts um 91g bei Kindern von Trinkerinnen mit einer durchschnittlichen Trinkmenge von 30g reinen Alkohols pro Tag vor der Schwangerschaft. Wurde dieselbe Menge während der achtmonatigen Schwangerschaft weitergetrunken, führte dies zu einer Verringerung des Geburtsgewichts um 160g (1977). Day et al. (1989) ermittelten, daß maternaler Alkoholkonsum während des ersten Trimenons das Risiko für die Geburt eines Kindes erhöht, dessen Körpergröße und Kopfumfang unter der zehnten Perzentile liegt. Dauert die Exposition im zweiten und dritten Trimenon an, ist die Wachstumsretardierung noch im Alter von drei Jahren nachweisbar. In den Berichten der Euromac-Untersuchungen (Bolumar 1992; Kaminski 1992; Ogston und Parry 1992) wurde übereinstimmend festgestellt, daß eine erhöhte Alkoholexposition mit einem verminderten Geburtsgewicht einhergeht.
Anhand von Untersuchungen wurde nachgewiesen, daß die Dosis, der Zeitpunkt und die Dauer der Alkoholexposition einen hohen Vorhersagewert in Hinsicht auf das Wachstum des Kindes besitzen. So wurde bei den Kindern von Frauen, die vor der Schwangerschaft (Hanson et al. 1978), während des ersten Trimenons der Schwangerschaft (Day et al. 1989; Kaminski et al. 1978; Kuzma und Sokol 1982) und während des letzten Trimenons (Little 1977; Rosett et al. 1983) starke Trinkerinnen waren, ein vermindertes Geburtsgewicht festgestellt. Einige Autoren berichten, daß das langsamere Wachstum bis zum Alter von 8 Monaten (Barr et al. 1984; Geva et al. 1993; Jacobson et al. 1994a) und andere sogar bis zum Alter von 6 Jahren anhält (Day et al. 1991; Russell et al. 1991). In anderen Studien konnte dagegen ein anhaltendes Minderwachstum nicht festgestellt werden (Fried und O'ConneIl1987). Bei einer Populationsstudie mit einer großen Kohorte konnten Sampson und Mitarbeiter (1994) keine Auswirkungen einer pränatalen Alkoholexposition auf das Gewicht und die Größe der im Alter von 18 Monaten, 4, 7 und 14 Jahren untersuchten Kinder nachweisen. Bei den späteren Untersuchungen manifestierten sich allerdings viele neurologische Störungen und Verhaltensstörungen.
6.1.2. Anomalien
Zur Beurteilung der Korrelation zwischen der Trinkmenge und dem Schweregrad der morphologischen Mißbildungen fanden zwei Methoden Anwendung: 1) eine Körperuntersuchung von Kindern, die einer ausgewählten Risikogruppe angehörten, durch einen Teratologen (mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Geburtsdefekte) oder 2) die Nutzung einer Checkliste der Anomalien, mit deren Hilfe die Gesamtzahl der vorhandenen Mißbildungen ermittelt wird. Weiterhin waren kleinere morphologische Mißbildungen Gegenstand von Bevölkerungsuntersuchungen, wobei allerdings widersprüchliche Ergebnisse erzielt wurden. Hanson et al. (1978) untersuchten 163 Neugeborene von leichten bis starken Trinkerinnen. Bei den Kindern der Mütter, die angegeben hatten, 30 bis 60g reinen Alkohol pro Tag zu trinken, betrug die Anomalierate 10%, und bei den Kindern, deren , Mütter angegeben hatten, mehr als 60g reinen Alkohol pro Tag zu trinken, betrug die Rate 19%. Graham et al. (1988), die die Mehrzahl dieser Kinder im Alter von vier Jahren untersuchten, berichteten über eine Mißbildungsrate von 19% bei Alkoholikerinnen, deren Trinkmenge bei mindestens 30g reinem Alkohol pro Tag lag. Hingegen betrug die Rate nur 9% bei den Kindern, deren Mütter weniger als 30g absoluten Alkohol pro Tag zu sich nahmen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß in den beiden obengenannten Studien der mit der Körperuntersuchung betraute Teratologe von der Alkoholexposition keine Kenntnis hatte.
Rosett et al. (1977) wiesen eine Wechselwirkung zwischen der Inzidenz körperlicher Anomalien und der Höhe des maternalen Alkoholkonsums nach: So traten Anomalien bei 32% der Kinder starker Trinkerinnen, bei 14% der Kinder mäßiger Trinkerinnen und bei 9% der Kinder leichter Trinkerinnen auf. Day et al. (1989) stellten in Übereinstimmung mit anderen Studien (Ernhart et al. 1995; Kaminski et al. 1989; Quellette et al. 1977; Rosett et al. 1983; Rostand et al. 1990; Russell 1991) eine positive Korrelation zwischen der Alkoholexposition und kleineren morphologischen Mißbildungen fest.
Obwohl es einigen Berichten zufolge nicht gelang, einen derartigen Zusammenhang herzustellen (Coles et al. 1985; Hingson et al. 1982), wird in der Literatur eindeutig eine dosisabhängige Beziehung zwischen der pränatalen Alkoholexposition und den bei den Kindern auftretenden Anomalien nachgewiesen: Mit zunehmender Exposition besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten morphologischer Mißbildungen.
6.1.3. ZNS-Schädigungen, neurologische Störungen und Verhaltensstörungen
Untersuchungen in der neonatalen Phase bieten den Vorteil, daß Auswirkungen von Teratogenen auf das Verhalten bereits vor dem Einfluß signifikanter Umwelteinwirkungen festgestellt werden können. Zu den Schädigungen des ZNS gehören eine geringe Hirngröße. Hirnmißbildungen, körperliche und geistige Retardierung, Zittern, Hyperaktivität und eine begrenzte Konzentrationsfähigkeit. Auch andere Indikatoren der neurophysiologischen Entwicklung, wie die Schlafzyklen, wurden bei Personen mit pränataler Alkoholexposition untersucht. Sander et al. (1977) und Rosett et al. (1979) nahmen eine Studie an 31 Säuglingen vor und ermittelten dabei den Schlaf-Wach-Zyklus auf der Grundlage einer 24stündigen Überwachung. Bei Neugeborenen stark alkoholabhängiger Mütter lag eine verminderte Regulation der Schlafstadien (verstärkte Unterbrechung des Schlaf-Wach-Zyklus), eine verminderte Qualität des Tiefschlafs und eine zu geringe Gesamtschlafzeit vor. Das Auftreten von Schlafstörungen wurde zehn Jahre später anhand von umfangreicheren Untersuchungen an Säuglingen mit einer geringeren pränatalen Alkoholexposition bestätigt. So beobachteten Scher et al. (1988) spezifische Störungen der Schlafzyklen, der Motilität und des Aufwachens in Abhängigkeit von der Alkoholexposition während der einzelnen Trimenona. Stoffer et al. (1988) stellten bei Kindern mit pränataler Alkoholexposition eine direkte Beziehung zwischen maternalem Alkoholabusus und unterbrochenen Schlafzyklen fest.
In zwei Studien wurde bei Neugeborenen nach Alkoholexposition in utero eine signifikant verminderte Saugleistung festgestellt. So berichteten Ouelette et al. (1977) über einen reduzierten Saugreflex bei Neugeborenen nach starker Alkoholexposition. Martin et al. (1979) bestimmten bei 151 Neugeborenen im Alter von zwei Lebenstagen den Saugdruck mit Hilfe eines Transducers und stellten sowohl einen verminderten Saugdruck als auch eine erhöhte Sauglatenz fest, welche in direkter Beziehung zur Höhe der Alkoholdosis standen.
6.1.4. Weitere neurologische Verhaltensmerkmale sowie kognitive und motorische Symptome
Die Neonatal Behavioral Assessment Scales (NBAS - Klassifizierung zur Bewertung des Verhaltens von Neugeborenen) gelten als Maßstab für die neurologische Verhaltensintegrität von Säuglingen. Streissguth et al. (1983) untersuchten 417 Säuglinge im Alter von einem Lebenstag und stellten bei zunehmender Alkoholexposition größere Schwierigkeiten bei der Gewöhnung an akustische und visuelle Reize, eine verminderte Fähigkeit. sich selbst zu beruhigen bzw. auf Trösten zu reagieren, eine niedrigere Aufwachschwelle sowie eine gehäufte Labilität der Schlafstadien fest. Reflexanomalien, wie verminderte Bewegungsstärke, wurden von Staisey und Fried (1983) bei 59 alkoholgeschädigten Säuglingen (Nachkommen von mäßigen Trinkerinnen) am neunten Lebenstag beobachtet. Jacobson et al. (1984) fanden in einer NBAS-Untersuchung bei 173 Säuglingen im Alter von 3 Lebenstagen nach unterschiedlicher Alkoholexposition einen Zusammenhang zwischen pränataler Alkoholexposition und erniedrigter Aufwachschwelle (decreased range of state). In einer weiteren NBAS-Studie berichteten Coles et al. (1985), daß Säuglinge nach Alkoholexposition Unterschiede im Reflexverhalten, in der Regulation der Schlafstadien und im motorischen Verhalten aufwiesen. Smith et al. (1986) untersuchten mit Hilfe der NBAS Unterschiede im Orientierungsvermögen und stellten fest, daß die individuellen Unterschiede auf den Grad, d.h. die Dauer der Exposition, zurückzuführen waren und die Unterschiede in der autonomen Regulation primär durch die Expositionsdauer und die Trinkmenge bestimmt wurden. Im Gegensatz dazu fanden andere Forscher keinen Zusammenhang zwischen der Alkoholexposition und den NBAS-Ergebnissen (Ernhart et al. 1995; Richardson und Day 1991).
Mit der NBAS wird die neurologische Verhaltensintegrität innerhalb der ersten zehn Lebenstage bewertet. Die Untersuchung weiterer Funktionsindices erfolgte auch im Säuglings- und Kleinkindalter. Eine der hierfür am häufigsten angewandten Bewertungsmethoden ist die Bayley Scale of Infant Development (BSID -Klassifizierung der Säuglingsentwicklung nach Bayley). Die auf dieser Grundlage ermittelten Befunde stimmen weitgehend überein. So wurde festgestellt, daß eine pränatale Alkoholexposition negative Auswirkungen auf die geistigen und psychomotorischen BSID-Kennziffern von Säuglingen im Alter von acht bis dreizehn Monaten besitzt (Coles et al. 1987; Golden et al. 1982; O'Conner et al. 1986; Streissguth et al. 1999). Darüber hinaus berichteten Jacobson et al. (1993a), daß nach mittlerer bis starker Alkoholexposition ein signifikant erniedrigter Mental Development Index (Index der geistigen Entwicklung) zu erwarten ist, während ein geringerer Psychomotor Development Index (Index der psychomotorischen Entwicklung) nur bei den Säuglingen vorlag, die Nachkommen von starken Trinkerinnen waren. Dabei verdoppelte sich die Inzidenz einer schwachen psychomotorischen Leistung bei Kindern von Frauen mit mäßigem bis zu schwerem Alkoholkonsum (mindestens 15g reinen Alkohol pro Tag während der Schwangerschaft). In der Studie von Atlanta, die hauptsächlich afroamerikanische Frauen einschloß, beobachteten Smith und Mitarbeiter (1986) motorische und geistige Störungen bei Nachkommen von starken Trinkerinnen, deren Alkoholkonsum während der Schwangerschaft andauerte (Frauen mit einem angegebenen Alkoholkonsum von durchschnittlich 50g reinem Alkohol pro Tag). In anderen Untersuchungen wurde jedoch entweder gar kein Zusammenhang zwischen der Alkoholexposition und der Voraussage der Bayley-Ergebnisse (Richardson und Day 1991) oder nur nach sehr starker Alkoholexposition (Greene et al. 1991) festgestellt. In einer kanadischen Untersuchung mit 210 Kindern im Alter von 1 und 2 Jahren wurde eine Korrelation zwischen psychomotorischen und sprachlichen Fähigkeiten und pränataler Alkoholexposition festgestellt. Diese Effekte waren jedoch bei Untersuchung der Kinder nach einigen Jahren nicht mehr erkennbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der maternale Alkoholkonsum niedrig war und als Störfaktor Fälle von Abhängigkeit von anderen Substanzen vorlagen (Fried et al. 1992; Fried und Watkinson 1988, 1990). Derart voneinander abweichende Ergebnisse sind vermutlich auf die Auswahl der Testpersonen bzw. den unterschiedlichen Aufbau der Untersuchungen zurückzuführen.
Obwohl die häufig angewandte BSID-Methode auf die Bewertung der kognitiven Fähigkeiten des Säuglings ausgerichtet ist, besitzt sie dennoch eine starke motorische Komponente. Eine Alternative zu BSID, die ebenfalls zur Untersuchung von Säuglingen nach Alkoholexposition eingesetzt wird, stellt das Informationsverarbeitungsparadigma unter Verwendung des Fagan Visual Recognition Test (Seherkennungstest nach Fagan) sowie der Cross-Modal Transfer Task (Kreuzübertragungsaufgabe) dar. So ist nach Jacobson et al. (1993b, 1994b) eine enge Wechselbeziehung zwischen der pränatalen Alkoholexposition und einer längeren Fixationsdauer und langsameren Reaktionszeit in Abhängigkeit von der Dosis bei Kindern im Alter von 6,5 und 12 Monaten festzustellen, was auf weniger effiziente Informationsverarbeitung hindeutet.
6.2. Vorschulalter
Zahlreiche prospektive Studien wurden im Anschluß an das Kleinkindalter fortgesetzt, um die Auswirkungen der pränatalen Alkoholexposition im Vorschulalter zu untersuchen. So wurden in zwei prospektiven Studien große Gruppen von Kindern unter Verwendung der Wechsler Preschool Primary Scale of Intelligence (WPPSI - Primäre Klassifizierung der Intelligenz im Vorschulalter nach Wechsler) untersucht. In einer Gruppe von 465 4jährigen Kindern, bei denen eine Alkoholexposition vorlag, ergab die Seattle Longitudinal and Prospective Study on Alcohol and Pregnancy (Prospektive Längsschnittstudie über Alkohol und Schwangerschaft von Seattle) mit zunehmender Alkoholexposition deutlich abnehmende Geistesfunktionen. Nahmen die Mütter nach eigenen Angaben mehr als 45g reinen Alkohol pro Tag zu sich, führte dies zu einer Verminderung des IQ um 5 Punkte (1/3 der Standardabweichung), wobei diese Ergebnisse nicht durch zahlreiche andere prä- und postnatale Faktoren, die potentiell in Frage kämen, wie maternales Rauchen, Einfluß anderer Mittel, Status des Elternhauses in Hinsicht auf Demographie und Bildung, bedingt waren. In dieser Studie besaß die Alkoholexposition auf der Grundlage der WPPSI zwar einen hohen Vorhersagewert in Hinsicht auf den Performance IQ (Leistungs-IQ), jedoch nur einen geringen Voraussagewert bezüglich des Verbal IQ (verbaler IQ). Im Gegensatz dazu wurden in einer anderen Untersuchung an 359 4jährigen Kindern mit mäßiger bis starker Alkoholexposition, in der die gleichen kognitiven Fähigkeiten überprüft wurden, keine signifikanten Bezüge zur Alkoholexposition festgestellt (Greene et al. 1990). Demgegenüber ermittelten Russel et al. (1991) in einer auf der Grundlage der WPPSI durchgeführten Stichprobenuntersuchung an 313 Kindern mit hoher Alkoholexposition niedrigere verbale IQ-Ergebnisse sowie größere Störungen bei einem rezeptiven Sprachtest. Hingegen konnten Greene et al. (1990) bei einem anderen Sprachtest eine derartige Beziehung nicht feststellen. Larroque und Mitarbeiter (1995) untersuchten 155 französische Kinder von mäßigen bis schweren Trinkerinnen im Alter von 4 Jahren anhand der McCarthy Scales of Childrens Abilities (Skalen von McCarthy zur Bewertung der Fähigkeiten von Kindern). Ein Alkoholkonsum von 45 g reinem Alkohol pro Tag während der Schwangerschaft stand in engem Zusammenhang mit einem durchschnittlich um 7 Punkte niedrigeren Wert beim General Cognitive Index nach Berücksichtigung der familiären und demographischen Faktoren. Besondere Schwierigkeiten waren im Hinblick auf verbale, perzeptorische und quantitative Fähigkeiten zu beobachten. Die zwischen den oben genannten Untersuchungen auftretenden Diskrepanzen spiegeln die Unterschiede bei der Stichprobenauswahl, den Verfahren zum Ausgleich von Störfaktoren und der Festlegung gruppenspezifischer Kriterien für Kinder mit Alkoholexposition wider.
In der Studie aus Seattle wurden bei 4jährigen Kindern andere Parameter ermittelt, und zwar fein-/grobmotorische Fähigkeiten. Zu den festgestellten signifikanten Auswirkungen einer erhöhten Alkoholexposition zählen: schlechtere Bewältigung von Aufgaben zur Feinmotorik, Schwierigkeiten beim Halten des Gleichgewichts, bei der Koordination von Bewegungsabläufen und der Einschätzung von Entfernungen bei Aufgaben zur Grobmotorik (Barr et al. 1990), wobei diese Ergebnisse mit den klinischen Berichten über die Zerebellumzeichen bei Kindern mit FAS übereinstimmten (Marcus 1987). Unter Anwendung einer computergestützten Methode zur Bewertung der Konzentrationsfähigkeit dieser Kinder wurde festgestellt, daß eine höhere pränatale Alkoholexposition eindeutig mit einer verlängerten Reaktionslatenz und einer geringeren Genauigkeit bei der Ausführung aller drei Testübungen einhergeht (Streissguth et al. 1994b). Mit einer weiteren Studie von Landesman-Dwyer et al. (1981) erfolgte bei einer Gruppe von 128 4jährigen Kindern einer anderen Kohorte von mäßigen Trinkerinnen eine Bewertung der Aufmerksamkeit, wobei festgestellt wurde, daß trotz der Ausschaltung des Einflusses von Kovarianten, wie pränatales maternelles Rauchen und die Bedingungen im Elternhaus, signifikante Auswirkungen der Alkoholexposition zu verzeichnen waren. So führte pränatale Alkoholexposition zu kürzeren Phasen der Aufmerksamkeit, häufigem Abschweifen der Gedanken, verstärkter Nervosität und einem höheren Anteil von Perioden der Unaufmerksamkeit. Hingegen konnten Boyd et al. (1991) unter Verwendung eines der Seattle-Studie entsprechenden Paradigmas bei einer Bewertung der Aufmerksamkeit bei 245 4jährigen Kindern keine Auswirkungen der pränatalen Alkoholexposition auf die Aufmerksamkeit ermitteln. Allerdings lagen Unterschiede in der Auswahl der Kinder vor, die für die Abweichung der in den beiden Untersuchungen gewonnenen Ergebnisse verantwortlich sein können.
6.3. Kindheit
Mit Längsschnittstudien werden die Auswirkungen einer pränatalen Alkoholexposition auf die Entwicklung von Kindern bis in das Schulalter hinein untersucht. Mit der Längsschnittstudie von Seattle erfolgte beispielsweise die Untersuchung von 486 Kindern von der Geburt bis zum Alter von sieben Jahren (Streissguth et al. 1990, 1993a), wobei eine Vielzahl von Bewertungstests, wie neuropsychologische Tests, Leistungstests, Konzentrationsaufgaben und die Beurteilung des schulischen Verhaltens durch Lehrer, einbezogen wurden. Aus den Ergebnissen kann darauf geschlossen werden, daß die Folgen einer Alkoholexposition auf die Intelligenz, schulischen Leistungen und die Seh- und Orientierungsfähigkeit dauerhaften Charakter haben. Die pränatale Alkoholexposition stand in einer engen Wechselbeziehung mit verminderten geistigen Fähigkeiten (Wechsler Intelligence Scale for Children Revised), schlechteren Leistungen beim Lesen, Schreiben und Rechnen nach dem WRAT-R, und weniger Mitarbeit im Unterricht, stärkerer Impulsivität und Desorganisation. Darüber hinaus waren bei erhöhter Alkoholexposition schwächere Leistungen bei Tests zur Orientierungsfähigkeit und zum räumlichen Denken, zum verbalen Gedächtnis, bei der Lösung von Problemen, der Bewegungskontrolle und Aufmerksamkeit (unter Anwendung einer computergestützten Methode zur Bewertung der Konzentrationsfähigkeit) zu verzeichnen. Diese Ergebnisse wurden durch andere Untersuchungen nicht bestätigt (Boyd et al. 1991; Greene et al. 1991).
In einer vorläufigen Untersuchung von 244 Kindern mit pränataler Alkoholexposition im Alter von 7,5 Jahren, deren Mütter mäßige Trinkerinnen und sozioökonomisch benachteiligte hauptsächlich afroamerikanische Frauen waren, bewerteten Lehrer diese Kinder als unaufmerksamer und impulsiver als Kinder von Abstinenzlern (Jacobson et al. 1998). Die Regressionsanalyse ergab, daß der Effekt von Alkohol auf die Aufmerksamkeit mit dem WISC-II-Aufmerksamkeitsfaktor korrelierte, nicht jedoch Aggression und Impulsivität. Anhand von vorläufigen Ergebnissen zeichnet sich ab, daß pränatale Alkoholexposition sozioemotionale Defizite und die emotionale Kontrolle beeinflußt. Auf der Basis vorläufiger Daten kamen Jacobson und Mitarbeiter (1998) beim gleichen Patientengut zu dem Ergebnis, daß Alkoholexposition zwar nicht mit den Gesamtsymptomenkomplexen des WISC-III Intelligenztests korrelierte, wohl aber mit dem Kaufman-Freedom-From-Distractibility-Faktor (Ablenkbarkeitstest nach Kaufman). Die Ergebnisse konzentrieren sich eher auf spezifische kognitive Defizite infolge mäßiger pränataler Alkoholexposition als auf diffuse globalere Beeinträchtigungen. Auch bei diesen Studien spielen methodische Unterschiede eine große Rolle.
Die Fortsetzung der Längsschnittstudie von Seattle an 458 Kindern zeigte auch im Alter von 11 Jahren eine Übereinstimmung mit den im Alter von 7 Jahren gewonnenen Ergebnissen. So erwies sich, daß eine erhöhte pränatale Alkoholexposition eindeutig mit einer schlechteren Beurteilung der schulischen Leistungen durch die Lehrer bzw. verminderter Bildungsfähigkeit verbunden war, wie anhand eines landesweiten, standardisierten Leistungstests in den Schulen ermittelt wurde (Carmichael Olson et al. 1992b).
6.4. Jugend
Die Längsschnittstudie von Seattle ist derzeit die einzige Untersuchung, in der eine Gruppe von Kindern mit mäßiger Alkoholexposition von der Geburt bis zum Alter von 14 Jahren überwacht wurde, wobei die Ergebnisse der Studie an den 462 Kindern eine Kontinuität der im Alter von 4, 7 und 11 Jahren gewonnenen Resultate in Hinsicht auf die Auswirkungen der pränatalen Alkoholexposition erkennen lassen. Besonders deutlich war die dosisabhängige Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit und der Gedächtnisfunktion. In der im Alter von 14 Jahren durchgeführten Nachfolgeuntersuchung (Streissguth et al. 1994 b) wird von mangelnder Aufmerksamkeit berichtet, was mit der im Alter von 11 Jahren durch die Lehrer vorgenommenen Beurteilung in Hinsicht auf Ablenkbarkeit und Unaufmerksamkeit übereinstimmt und auch mit den entsprechenden im Alter von vier und sieben Jahren erhobenen Laborwerte (Streissguth et al. 1995). Dies belegt den kontinuierlichen Charakter der durch eine pränatale Alkoholexposition hervorgerufenen Beeinträchtigungen.
Zwei neue Arbeiten zur Seattle-Studie befassen sich mit den Effekten der pränatalen Alkoholexposition auf das Verhalten und die Lernprobleme von Heranwachsenden. Selbst unter Berücksichtigung anderer Faktoren bei der Entwicklung war die pränatale Alkoholexposition (und insbesondere das Gelegenheitstrinken großer Mengen von Alkohol und das Trinken in der frühen Schwangerschaft) mit einem Profil antisozialen Verhaltens, Schulproblemen und selbst festgestellten Lernproblemen bei Heranwachsenden verbunden (Carmichael Olson et al. 1997b). Diese Ergebnisse basieren auf den Angaben der Betroffenen, ihrer Mütter und den Psychologen und ergänzen die tatsächlichen kognitiven Defizite, die mangelnde Aufmerksamkeit und die Probleme beim Rechnen, die bei diesen Heranwachsenden ebenfalls mit der pränatalen Alkoholexposition in Zusammenhang stehen (Streissguth et al.1994a, b).
Beim Patientengut der Seattle-Studie stand die pränatale Alkoholexposition auch mit vermehrtem Alkoholkonsum und Alkoholproblemen bei 14jährigen im Zusammenhang. Überraschenderweise hat die pränatale Alkoholexposition sogar einen stärker prädiktiven Wert, was den Alkoholkonsum und die Entwicklung von Alkoholproblemen beim Heranwachsenden angeht, als Alkoholprobleme in der Familiengeschichte. Der prädiktive Wert der pränatalen Alkoholexposition bestand selbst nach Berücksichtigung von Alkoholproblemen in der Familiengeschichte und anderen pränatalen Stör- und Umweltfaktoren fort. Dagegen erwies sich die nominal signifikante Korrelation zwischen der Familiengeschichte und dem Alkoholkonsum und den Alkoholproblemen der Heranwachsenden als schwächer nach Berücksichtigung der pränatalen Alkoholexposition. Wurden die übrigen relevanten Kovariablen berücksichtigt, verschwand sie sogar völlig (Baer et al. 1998).
(weiter zu Teil 2)
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